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Freispruch im Mordprozess Kuciak
Mutmaßliche Auftraggeber wurden trotz starker Indizien entlastet
Um 10 Uhr trat das Spezialgericht im slowakischen Pezinok zusammen, um das lang erwartete Urteil im spektakulärsten Mordprozess der Slowakei zu sprechen. Im Februar 2018 waren der Enthüllungsjournalist Ján Kuciak und seine Lebensgefährtin Martina Kušnírová in ihrem Haus in Vel’ká Mača kaltblütig erschossen worden.
Nach nunmehr zehn Monaten Prozessverlauf sollte das Gericht klären, wer die Mörder und wer ihre Auftraggeber waren. Bereits in abgetrennten Verfahren waren Zoltán Andrusko als Übermittler des Mordauftrags zu 15 Jahren Haft und der Ex-Elitesoldat Miroslav Marček als Todesschütze zu 23 Jahren Haft verurteilt worden. Ihre jeweils verminderten Haftstrafen hatten sie dem Umstand zu verdanken, dass sie die Ermittler bei ihren Untersuchungen unterstützten und über ihre Tatbeteiligung selbst geständig waren.
Auf der Anklagebank verblieben nun Marian Kočner, Alena Zsuzsová und Tomáš Szabó, Letzterer als Mithelfer Marčeks. Die Vorsitzende Richterin Ružena Sabová verlas das Urteil gegen Szabó: 25 Jahre Haft wegen Mittäterschaft des Mordes. Die beiden Angeklagten Kočner und Zsuzsová wurden hingegen vom Vorwurf des Mordauftrags und seiner Übermittlung freigesprochen. Das Gericht sah sich von der Beweisführung der Staatsanwaltschaft nicht überzeugt. Die Anwälte der Opferfamilien kündigten unmittelbar nach Urteilsverkündung an, vor dem Obersten Gericht in Bratislava in Revision gehen zu wollen.
Der slowakische Ministerpräsident Igor Matovič verlautbarte nach der Urteilsverkündung, es »schien so, als ob die eigentlich für den Mord Verantwortlichen der Gerechtigkeit entgehen sollten. Lassen Sie uns glauben, dass sie sie doch noch erreichen wird.«
Staatspräsidentin Zuzana Čaputová zeigte sich schockiert über den Prozessausgang: »Ich muss dieses Urteil erst einmal verstehen. Natürlich respektiere ich das Gericht, aber ich hoffe, dass vor der Obersten Rechtsinstanz die Gerechtigkeit doch obsiegen wird. In diesem Moment bin ich ganz bei den Familien von Ján und Martina und wünsche ihnen die Kraft, dies alles durchzustehen.«
Auch Peter Pellegrini, der Nachfolger des zur Mordzeit im Amt befindlichen Premiers und Chefs der Sozialdemokraten, Robert Fico, erklärte, dass das Urteil zunächst zu respektieren sei. »Immerhin ist es der Polizei gelungen, die drei Täter dieses abscheulichen Mordanschlags zu ermitteln und ihrer Verurteilung zuzuführen.« Pellegrini, der seit Juni 2020 Vorsitzender der neu gegründeten Partei »Hlas - Sociálna Demokarcia« (Stimme - Sozialdemokratie) ist, erklärte ferner, dass die slowakische Rechtsordnung es zuließe, dass die Staatsanwaltschaft gegen das Urteil vorgehe, wenn sie überzeugt sei, dass ihre Argumente zur Mitschuld von Kočner und Zsuzsová überzeugend und unwiderleglich seien. Viele Beobachter hatten in diesem Sinne schon im Vorfeld eine Vertagung der Urteilsverkündung erwartet, da die Staatsanwaltschaft neue Beweismittel angekündigt hatte.
Der Mord an Kuciak und Kušnírová hatte zu einer gesellschaftlichen Explosion in der kleinen Donaurepublik geführt. Der 27-jährige Enthüllungsjournalist hatte über die korrupten und teils mafiosen Verstrickungen von Wirtschaft und Politik berichtet. Immer wieder fielen bei den Reports auch die Namen Kočner und Fico. Der Unternehmer hatte dem Journalisten bereits Monate vor dem Mordanschlag gedroht, ihn und seine Familie »auszurotten«.
Als der Mord dann tatsächlich begangen wurde, brachen die Proteste in den slowakischen Städten und Gemeinden los. Die Regierung Robert Ficos musste abdanken. Doch die Aufarbeitung war eher halbherzig, denn Ficos Partei Smer-SD blieb an der Macht, Parteikollege Pellegrini übernahm den Regierungssessel. In der Folge wurde jedoch die Bürgerrechtlerin Čaputová zur Staatspräsidentin gewählt. Und bei den dann folgenden Parlamentswahlen musste die Sozialdemokratie die Rechnung bezahlen - Sieger der Wahlen wurden die »Gewöhnlichen Leute« (OLaNO) unter Igor Matovič. Wichtiger Erfolg bei den Ermittlungen im Mordprozess Kuciak: 13 Richter und Justizbeamte mussten wegen korrupter Verquickung und Behinderung früherer Ermittlungen in Sachen Wirtschaftspolitik ihre Ämter aufgeben.
Der jetzige Regierungschef mag von Glück reden, dass das Jahr 2020 von der Covid-Pandemie überschattet war. Denn OLaNO hatte sich zwar den Kampf gegen Korruption und Nepotismus im Lande auf die Fahnen geschrieben, doch vielfach wird in der Slowakei die Meinung geäußert, dass diese Kampagne noch nicht den rechten Erfolg zu verzeichnen hatte. Zudem muss sich der Premier derzeit selbst einem Plagiatsvorwurf stellen, der besagt, dass sein Studienabschluss nicht allein auf seinen wissenschaftlichen Untersuchungen beruhen sollte.
Umfragen zufolge sinkt die Zustimmung zur Regierung derzeit. Obwohl Matovič keine Gelegenheit auslässt, mitunter auch vollmundig gegen Korruption zu wettern, bleiben die Reden meist folgenlos. Beobachter kritisieren, dass der Regierungschef wichtige Posten gern ihm loyalen Personen zukommen lässt. Umfragewerten zufolge hat die Zustimmung zu OLaNO seit Februar 2020 sieben Prozentpunkte eingebüßt und liegt derzeit bei 18 Prozent.
Es bleibt abzuwarten, wie die Rechtssache Mord an Kuciak und Kušnírová vor dem Obersten Gericht ausgeht. Auch weitere gesellschaftliche Verwerfungen sind in diesem Zusammenhang nicht ausgeschlossen.
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