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Verdächtige Abfragen
»NSU 2.0«-Drohungen: Polizisten aus Hamburg und Berlin griffen auf Daten von Betroffenen zu
Seit zwei Jahren bereits werden immer wieder Drohungen, die mit dem Kürzel »NSU 2.0« unterzeichnet sind, an Personen des öffentlichen Lebens verschickt, die sich in unterschiedlichen Formen gegen Rechtsextremismus oder Rassismus positionieren. Vor allem Frauen sind betroffen, darunter die Taz-Kolumnistin Hengameh Yaghoobifarah, die mit ihrem Text »All cops are berufsunfähig« im Zuge der Diskussion um Rassismus und Polizeigewalt für Aufsehen gesorgt hatte, und die Kabarettistin Idil Baydar. Daten der beiden wurden - wie bereits in anderen »NSU 2.0«-Fällen zuvor - von Polizeicomputern abgefragt. Wie der Westdeutsche Rundfunk und die »Süddeutsche Zeitung« berichten, seien deshalb in Hamburg und Berlin jeweils zwei verdächtige Polizeibeamte von für die bundesweiten Ermittlungen zuständigen Sonderermittlern aus Hessen befragt worden.
Ein Polizist aus dem Revier in Hamburg-Neugraben soll, zu den Gründen für den Datenzugriff befragt, erklärt haben, er sei wütend über die Polizei-Kolumne Yaghoobifarahs gewesen und habe Anzeige erstatten wollen. Auf diese habe er dann aber verzichtet, als er mitbekommen habe, dass die Deutsche Polizeigewerkschaft dies bereits getan habe, so die Recherchen des WDR. Die verdächtige Polizistin, die im Polizeirevier Hamburg-Mitte arbeitet, habe erklärt, sie sei nur neugierig gewesen, wer die Kolumnistin sei. Beide Verdächtige bestritten demnach, in die Serie der »NSU 2.0«-Drohmails involviert zu sein oder etwas mit Rechtsextremismus zu tun zu haben. Sie dürfen weiterhin zum Dienst erscheinen. Der Fall der unerlaubten Datenabfrage liege nun beim Hamburger Datenschutzbeauftragten zur Prüfung etwaiger disziplinarischer Schritte.
»Wir haben keine Hinweise darauf, dass die Daten verwendet oder weitergegeben wurden«, wird in dem Bericht eine Sprecherin der Hamburger Polizei zitiert. »Ebenso haben wir keine Erkenntnisse, dass wir es hier mit rechten Strukturen zu tun haben. Aus unserer Sicht gibt es keinen Bezug zu anonymen Drohschreiben NSU 2.0.«
In Berlin wurden den Berichten zufolge ebenfalls zwei Polizeibeamte, die in den Bezirken Spandau und Neukölln Dienst tun, befragt. Sie sollen ohne dienstlichen Grund auf die persönlichen Daten von Baydar zugegriffen haben. Im Berliner Fall sei vor allem eine Abfrage als besonders auffällig gewertet worden, da diese am 5. März 2019 erfolgte - am selben Tag habe es auch in einem Polizeirevier in Wiesbaden eine solche Abfrage gegeben. Laut WDR und »Süddeutscher Zeitung« hätten die Berliner Beamten keine stichhaltigen Gründe für die Datenabfragen geliefert. Von Seiten der Ermittler hieß es, dass es sich auch nur um eine sehr oberflächliche Abfrage gehandelt habe, die nicht viele private Informationen über Baydar erbracht habe. So seien keine Namen von Familienangehörigen abgefragt worden, die aber in einer anonymen Droh-SMS, die Baydar nur wenige Tage später erhalten habe, genannt worden wären.
Im Mittelpunkt des Falls der »NSU 2.0«-Drohungen stehen bislang Hessen und die dortigen Polizeibehörden, in deren Reihen ein rechtsextremes Netzwerk vermutet wird und wo es ebenfalls Datenabfragen zu Personen gegeben hatte, die kurz darauf Drohschreiben mit nicht öffentlichen Details erhielten. Seit Bekanntwerden der Vorfälle kritisiert insbesondere die hessische Linkspartei immer wieder die ausbleibenden Ermittlungserfolge sowie das Verhalten des Wiesbadener Landesinnenministers Peter Beuth von der CDU.
Am Montag erklärte Hermann Schaus, innenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im hessischen Landtag: »Eigentlich wäre es seit zwei Jahren die Aufgabe der Polizei, die Urheber der ›NSU-2.0‹-Drohungen zu ermitteln, Fehlverhalten auch in den eigenen Reihen aufzuklären und Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen. Und eigentlich wäre es Aufgabe des Innenministers, das Parlament und die Öffentlichkeit über Sachverhalte, Bedrohungen und Ermittlungsergebnisse frühzeitig zu unterrichten.« Fast nichts davon passiere. »Allein in den vergangenen Tagen sind so viele neue brisante Details von der Presse veröffentlicht worden, dass einem schwindelig werden kann«, so Schaus. Mit Agenturen
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