• Berlin
  • Wem gehört die Stadt?

Sozialisierung wird totverhandelt

Das Berliner Volksbegehren »Deutsche Wohnen & Co enteignen« hängt wegen Koalitionsstreit weiter fest

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 4 Min.

Eigentlich ist der Senatsbeschluss zur Zulässigkeit des Volksbegehrens »Deutsche Wohnen & Co enteignen« bereits formuliert. Der entscheidende Satz steht an erster Stelle. »Der Antrag auf Einleitung des Volksbegehrens ist formal und materiell-rechtlich zulässig«, heißt es in dem »nd« vorliegenden Entwurf. Doch der in der rot-rot-grünen Koalition anhaltende Streit um die Sozialisierung verhindert den tatsächlichen Beschluss weiterhin.
»Im Verfahren um die Zulassung des Enteignungs-Volksbegehrens werden nun schon zum zweiten Mal feste Zusagen im Hinblick auf eine schnelle Prüfung gebrochen«, sagt Ralf Hoffrogge empört zu »nd«. Er ist eine der Vertrauenspersonen des Volksbegehrens »Deutsche Wohnen & Co enteignen«. Zunächst hatte die »Berliner Zeitung« über die erneuten Verzögerungen berichtet.

Seit über 14 Monaten hängt das Volksbegehren in der rechtlichen Prüfung der Verwaltung von Innensenator Andreas Geisel (SPD). Es ist ein offenes Geheimnis, dass dies vor allem an der politischen Ablehnung der Sozialdemokraten liegt. Martin Pallgen, Sprecher des Innensenators, bestreitet das allerdings auf nd-Anfrage: »Es ist Unsinn, dass wir verzögern würden. Es gab allerdings in der Zwischenzeit einen Senatorenwechsel in der Stadtentwicklungsverwaltung. Die internen Abstimmungen laufen.«

Inzwischen ist der Beschluss der Zulässigkeit des Sozialisierungs-Volksbegehrens so lange aufgeschoben, dass das Ziel einer Abstimmung darüber parallel zur Abgeordnetenhaus- und Bundestagswahl im September 2021 gefährdet ist.

»Koalition und Senatsverwaltung haben uns bereits zweimal zugesichert, dass juristische Bedenken ausgeräumt seien und wir mit einer schnellen Zulassung rechnen können«, so Hoffrogge. Das sei zunächst in einer Runde mit den Koalitionsparteien im Juni und kurze Zeit später mit Beamten der Senatsinnenverwaltung der Fall gewesen. »Jedes mal erfuhren wir erst aus der Zeitung, dass die gemachten Zusagen hinfällig sind.«

Zuletzt Ende Juli war man bei »Deutsche Wohnen & Co enteignen« davon ausgegangen, dass bereits auf der Senatssitzung am 4. August endlich der Beschluss zur Zulässigkeit fällt. Da hatte ein Plenum darüber befunden, wie der Beschlusstext angepasst werden soll, damit er den juristischen Forderungen der Senatsinnenverwaltung genügt.

»Schon die Praxis, dass der Senat uns zu Formulierungsänderungen im Antragstext gedrängt hat, ist hart an der Grenze der Legalität«, sagt Hoffrogge rückblickend. »Nun ist die Grenze zum Verfassungsbruch überschritten, weil die Koalition eine juristische Prüfung ganz offen in eine politische Arbeitsgruppe verlagert«, erklärt er angesichts der jüngsten Entwicklung. Tatsächlich soll in den nächsten Tagen eine Sechserrunde aus je zwei Vertretern der Koalitionspartner SPD, Linke und Grünen aus Senat und Partei über den Text des Senatsbeschlusses konferieren.

»Wir arbeiten mit Hochdruck und viel Energie an einer gemeinsamen Stellungnahme«, sagt die Berliner Linken-Chefin Katina Schubert auf nd-Anfrage. Dass es in der Koalition unterschiedliche Auffassungen zum Volksbegehren gibt, sei seit über einem Jahr bekannt. »Wir versuchen bis spätestens nächste Woche zu einer Einigung zu kommen«, verspricht Schubert.

Dabei ist der von der Stadtentwicklungsverwaltung unter Senator Sebastian Scheel (Linke) formulierte Beschlussvorschlag zur Zulässigkeit des Volksbegehrens schon äußerst zurückhaltend formuliert. So heißt es, dass das »grundsätzliche Ziel der Initiatoren, den ›gemeinwirtschaftlichen‹ Anteil am Wohnraumangebot zu erhöhen« vom Senat »ausdrücklich unterstützt« werde. Es wird auch darauf hingewiesen, dass die Auswirkungen des Mietendeckels »bereits jetzt den Mieterinnen und Mietern zugutekommen, deren Wohnungen nach den Vorstellungen der Initiatoren sozialisiert werden sollen«.

Es sei »ein Vergesellschaftungsgesetz erforderlich«, wird gegen Ende des Beschlussentwurfs festgestellt. Dies hätte weitreichende Bedeutung und »wäre – erneut – juristisches Neuland«. Es bedürfe »einer angemessenen Legitimation und auch in den Details ausführlicher Debatten sowie umfangreicher Recherchen«.

»Eigentlich hätte ich als eine der Vertrauenspersonen des Volksbegehrens von der Verwaltung über den Stand der Prüfung informiert werden müssen. Das ist weder informell noch offiziell geschehen, seit dem 2. September antwortet die Innenverwaltung nicht auf Nachfragen«, erklärt Ralf Hoffrogge. »Direkte Demokratie ist kein Gnadenakt, sondern ein Verfassungsrecht. Tragen Grüne und Linke diesen Rechtsbruch mit?«, will er wissen. Für 'Deutsche Wohnen & Co enteignen' stelle sich die Frage, »wie handlungsfähig die rot-rot-grüne Koalition überhaupt ist«.

»Wenn wir als Rot-Rot-Grün glaubhaft eintreten wollen für die direkte Demokratie, dann darf es keine Verzögerungen mehr geben«, sagt auch die Grünen-Wohnungspolitikerin Katrin Schmidberger zu »nd«. Sie beklagt die »Verzögerungstaktik« des Koalitionspartners SPD, die auch von Grüner Seite im Koalitionsausschuss, der am Mittwoch getagt hatte, heftig kritisiert worden sei. »Man muss dann aber auch schnell anfangen, mit der Initiative ›Deutsche Wohnen & Co enteignen‹ über einen konkreten Gesetzestext zu verhandeln«, fordert Schmidberger. Es sei zu spät, damit erst nach dem Volksentscheid beginnen zu wollen, wie es letztlich der Beschlussentwurf des Senats nahelegt. »Ich glaube, dass man den Vergesellschaftungs-Entscheid eher gewinnen kann, wenn man konkret zeigt, wie man es angehen möchte«, ist die Politikerin überzeugt.

»Deutsche Wohnen & Co enteignen« prüft nun, ob die Beantragung einer einstweilige Verfügung der im Mai beim Verwaltungsgericht gegen den Senat eingereichten Klage wegen der Verzögerungen zum Erfolg verhelfen kann.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!