»Es muss nicht jeden Tag Fleisch sein«

Nora Seitz stellt Gin-Tonic-Roster her, macht Wurst mit Weihnachtswürzung und kocht in ihrer Fleischerei in Chemnitz auch vegan und vegetarisch

  • Lisa Kuner
  • Lesedauer: 7 Min.

Seit 1932 ist die Fleischerei Thiele ein Familienbetrieb: Es gibt einen Laden, einen Partyservice und sieben Mitarbeitern. Der kleine Betrieb liegt in Chemnitz Sonnenberg, ein Viertel, das sich erst langsam von Verfall und Verwahrlosung erholt. Ich treffe mich im Hinterraum mit der energiegeladen 36-jährigen Fleischermeisterin Nora Seitz, die das Unternehmen zusammen mit ihrer Mutter führt. Alle drei Generationen einschließlich der Großeltern leben im selben Haus direkt über der Fleischerei.

Frau Seitz, seit wann sind Sie heute schon auf den Beinen?

Ich habe heute Morgen um fünf Uhr angefangen und muss jetzt nach unserem Gespräch noch Fleisch für den Partyservice ausfahren. Dann bin ich vielleicht um 18 Uhr fertig. Solche langen Tage sind normal. Bei unseren Mitarbeitern achten wir aber genau darauf, dass sie nicht zu viel arbeiten. Ich habe überhaupt nichts davon, wenn ich die ausbeute.

Grelles Neonlicht, lange Tage hinter der Theke - das ist, was sich viele vom Alltag in einer Fleischerei vorstellen. Stimmt das?

Das Bild ist nicht falsch, aber der Beruf ist auch total vielfältig: Der Fleischer ist kundenorientiert, der Fleischer macht Partyservice, er berät, er macht vor… Er produziert viel mit seinen Händen. Das ist noch ein richtiges Handwerk.

Fleischerei ist nicht gerade der Traumberuf vieler junger Frauen. Was hat Sie dafür begeistert?

Eigentlich wollte ich Schauspielerin werden und alles andere als Fleischerei machen. Aber die Schule war jahrelang eine Qual für mich. Fürs Schauspielen wäre ein Abi gut gewesen, deswegen entschied ich mich, eine Lehre zur Fleischereifachverkäuferin zu machen und hatte dort plötzlich schulische Erfolge. Meine richtige Liebe zum Beruf kam dann aber in der zweiten Ausbildung zur Fleischerin.

Warum?

Fleischereifachverkäuferin war mir zu wenig Arbeit mit den Händen, ich wollte was erschaffen. Als Fleischerin kann ich jetzt viel ausprobieren, zum Beispiel Food-Pairing, also das Kombinieren von verschiedenen Geschmäckern. Wir machen viele Roster (Anm.: Bratwurst), und da habe ich in diesem Jahr einen Gin-Tonic-Roster entwickelt und mit Ziegenkäse und Rote Beete experimentiert oder auf den Wunsch eines Kunden hin eine Wurst mit Weihnachtsgewürzen kreiert. Das wurde total gut angenommen.

In Ihrem Beruf gibt es eher wenige Frauen. Wie hat Sie das in Ihrer Ausbildung beeinflusst?

In meiner Fleischerausbildung war ich in einem Betrieb die einzige Frau. Der Chef dort sagte, das sei ein Experiment, ob ich das auch aushalte. Ich hatte dann zwar hier und da mal einen blöden Spruch abgekriegt, aber sonst lief das ganz wunderbar. Trotzdem könnte es mehr Frauen in der Fleischerei geben. Mir fehlt manchmal ein bisschen die Dynamik durch Frauen, denn die denken den Beruf ganz anders und bringen neue Ideen ein. Auch in meiner Familie gab es zuerst Vorurteile: Mein Großvater hat jahrzehntelang damit gehadert, dass er keinen Sohn hat. Ich glaube, heute ist er froh, dass die Frauen in der Familie den Betrieb weiter führen.

Sie sprechen von Ihrem Opa, gerade sind uns schon Ihre Oma und Ihre Mutter begegnet. Wie ist das, in einem Familienbetrieb zu arbeiten?

In unserer Familie gibt es viele starke Frauen. Das ist nicht nur schön, denn es gibt schon Diskussionen zwischen den Generationen. Als ich neu eingestiegen bin, habe ich zum Beispiel das Sortiment umgekrempelt und angefangen, Allergene in Form von Zusatzstoffen aus Produkten rauszunehmen, mit dem Geschmack mussten wir dann erstmal ein bisschen experimentieren. Das war für meine Großmutter erstmal ein Schlag ins Kontor, und sie musste sich umgewöhnen. Die Käseknacker, die ich eingeführt habe, mochte sie gar nicht, aber die laufen gut. Meiner Mutter bin ich da schon näher, wir ergänzen uns gut. Man muss sehen, dass zwischen mir und meiner Großmutter eine Generation liegt: Sie hat noch die Erfahrungen aus der DDR, und da war auch nicht alles falsch.

War das Handwerk denn in der DDR anders?

Ja. Meine Großeltern haben Montag bis Freitag gearbeitet und Sonnabend nur Reste verkauft. Das geht heute nicht mehr, wir müssen auch viel in der Freizeit arbeiten. Außerdem spielte Qualität nicht dieselbe Rolle: In der DDR war man froh, wenn es etwas gab. Für meinen Großvater ist es immer noch ein Wunder, dass wir jetzt ganze Tiere zum Zerlegen haben. In der DDR sind manche Fleischteile direkt zum Export in den Westen gegangen.

Gesellschaftlich ist das Bild von Fleischerei eher negativ. Passt das zu dem, was Sie jeden Tag tun?

Nein. Wenn es irgendwo einen Skandal gibt, dann waren das gleich alle. Man muss das differenzierter sehen. Bei uns stehe ich als Fleischermeisterin hinter der Theke, und unsere Fachverkäuferinnen haben drei Jahre lang gelernt und sind mit viel Herzblut bei der Arbeit. Damit stärken wir regionale Strukturen, aber müssen auch den Euro mehr verlangen. Dafür muss es auch nicht jeden Tag Fleisch sein.

Sie denken also selbst als Fleischerin, man muss nicht jeden Tag Fleisch essen?

Ja, es muss nicht jeden Tag Fleisch sein. Ich esse auch nicht jeden Tag Fleisch. Hier im Betrieb kochen wir für den Partyservice auch vegetarisch und vegan. Junge Menschen befassen sich mehr mit Ernährung, und es gibt mehr Menschen mit Allergien, die bedenken wir auch, wenn wir kochen.

Sie geben aber nicht nur im Familienbetrieb alles. Wofür setzen Sie sich noch ein?

Weil mein Großvater mir das praktisch vorgelebt hat, bin ich viel im Ehrenamt tätig. Heute bin ich Vizepräsidentin des deutschen Fleischerverbands, dafür fahre ich regelmäßig nach Frankfurt am Main, und ich bin Landesinnungsmeisterin für den sächsischen Landesverband in Dresden.

Und was genau machen Sie da?

Ich halte ab und zu meinen Kopf in die Kamera und engagiere mich politisch für meine Kollegen. Aktuell sitze ich in Gremien der sächsischen Landesregierung zum Beispiel mit dem Landwirtschaftsminister Wolfram Günther. Da darf ich dann meine Meinung zur Stärkung der regionalen Verarbeitung, wie zum Beispiel das Thema Schlachtung in Sachsen und regionale Eigenmarken, einbringen. Mein Schwerpunkt ist die Berufsausbildung für Fleischer und Fachverkäufer, den vertrete ich auch in Frankfurt am Main für ganz Deutschland. Ich habe zum Beispiel eine Nationalmannschaft des Fleischerhandwerks gegründet.

Was macht diese Nationalmannschaft?

Wir haben ein massives Imageproblem innerhalb unseres Handwerks. Wir wollen da zeigen, welche schönen und großartigen Seiten das Handwerk hat und was für motivierte junge Menschen es gibt. Die besten jungen Menschen nehmen für uns zum Beispiel an Wettbewerben teil wie den Skills (Anm.: Meisterschaft für berufliche Fähigkeiten).

Denken Sie, diese Arbeit bringt etwas?

Ja. Wir schaffen es Vorurteile abzubauen und wir kommen viel besser mit jungen Menschen ins Gespräch. Auf Ausbildungsmessen sind wir inzwischen mit anderen Fragen konfrontiert als früher. »Hast du kein schlechtes Gewissen, wenn du den ganzen Tag mit toten Tieren arbeitest«, ist da ein Beispiel. Die jungen Leute können dann viel besser erklären, wie vielfältig und interessant die Arbeit ist und was für ein umfangreiches Wissen man braucht.

Auch wenn Sie sagen, dass bei Ihnen im Betrieb vieles gut läuft: Es gibt große Probleme im Fleischerhandwerk. Was müsste man dagegen tun?

Man müsste politisch besser differenzieren zwischen Handwerk und Industrie. Es gibt seit dem Skandal bei Tönnies viele Maßnahmen, zum Beispiel die elektronische Zeiterfassung, aber die treffen kleine Betriebe besonders hart, und am Ende profitiert davon die industrielle Wirtschaft.

Liegt das auch am Verbraucher?

Ja, wer für 2,49 einen Zehnerpack Bratwürste kauft, hat sein Recht, über Fleischpreise zu diskutieren, abgegeben. Unter den aktuellen Bedingungen braucht es auf jeden Fall eine gehörige Portion Idealismus, um sich als Fleischer selbständig zu machen. Ich glaube aber, dass die junge Generation sich von dem Gedanken, Fleisch auf Masse zu konsumieren, emanzipiert und die Dinge mehr hinterfragt. Das ist in der Beratung zwar mehr Arbeit, aber das mache ich gerne.
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