Prozessbedingungen intolerabel

Linken-Abgeordnete Heike Hänsel beobachtet das Auslieferungsverfahren gegen Julian Assange

  • Daniel Lücking
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Bundesregierung geht davon aus, dass das Verfahren um die Auslieferung von Julian Assange nach rechtsstaatlichen Prinzipien abläuft. Wie sehen Sie das nach den Geschehnissen der vergangenen Woche?

Bedingungen wie in diesem Prozess habe ich noch nicht erlebt. Selbst bei Verhandlungen in der Türkei war mehr Öffentlichkeit zugelassen. Mit der Verlegung in das Old Bailey-Gericht hat sich die Zahl an Prozessbeobachterplätzen noch einmal reduziert. Außer akkreditierten Journalist*innen und den wenigen parlamentarischen Beobachter*innen haben keine weiteren Organisationen, wie Reporter ohne Grenzen oder Amnesty International, Zugang zum Prozess.

Heike Hänsel

Die stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion beobachtet gemeinsam mit mehreren Fraktionskolleg*innen den Prozess um Julian Assange und war in der vergangenen Woche in London vor Ort. Daniel Lücking sprach mit ihr über den Ablauf des Verfahrens und die Prozessbedingungen. Der Prozess um die Auslieferung des Australiers Assange an die USA war seit Februar wegen der Corona-Pandemie unterbrochen und ist jetzt in der Schlussphase.

Assange ist weiterhin im Hochsicherheitsgefängnis in Belmarsh untergebracht.

Schon das ist ungewöhnlich für ein Auslieferungsverfahren. Ja, Assange hatte sich vor einigen Jahren in die ecuadorianische Botschaft geflüchtet, aber das ist kein akzeptabler Grund für die derzeitigen Haftbedingungen. Während andere Häftlinge wegen der Corona-Pandemie aus der Haftanstalt entlassen wurden, muss Assange trotz Zugehörigkeit zur Hochrisikogruppe im Gefängnis bleiben und erhielt erstmals Ende August eine Atemschutzmaske anlässlich eines Besuchstermins. Auch die Familie ist von den Restriktionen betroffen. Julians Vater konnte ihn im letzten halben Jahr wegen der Corona-Beschränkungen nicht besuchen. Seine Lebensgefährtin hatte lediglich einen Besuchstermin. All das ist völlig unverhältnismäßig.

Warum gibt es keine Videoübertragung?

Eine Begründung dafür hat das Gericht nicht geliefert. Nur noch akkreditierte Journalist*innen hatten einen Videolink - allen anderen wurde er entzogen. Das betrifft auch Abgeordnete und Mitarbeiter*innen aus der Linksfraktion, die den Prozess digital begleiten wollten. Die Öffentlichkeit besteht im Gerichtssaal selbst nur aus den fünf Familienmitgliedern und vielleicht vier oder fünf Journalist*innen.

Wie sah die Prozessvorbereitung aus?

Assange steht weiterhin kein Computer zur Verfügung und die Kommunikation mit dem Anwaltsteam ist kaum möglich gewesen. Seit vor sechs Wochen die Anklage ihre Klageschrift erweitert hat, hatten die Anwälte nur zwei Telefonate mit Assange. Jetzt muss sich vor Beginn eines Prozesstages eilig mit Assange besprochen werden, der weiterhin in einem Glaskasten keinen direkten Kontakt zum Anwaltsteam hat.

Worum geht es in der Erweiterung?

Es wurden zusätzliche Aktivitäten von Wikileaks hinzu genommen und weitere Personen benannt. Die Richterin hat diese erweiterte Anklage akzeptiert. Die dadurch eigentlich entstandene neue Anklage kann die Verteidigung aber so nicht bearbeiten. Eine beantragte Vertagung und Prozessfortsetzung im Januar 2021 hat die Richterin ebenfalls abgelehnt. Immerhin darf die Verteidigung nun mehr Zeugen aufrufen, aber auch das erfordert Vorbereitung.

Welche Zeugen wurden bisher gehört?

Es sind bisher nur Zeugen der Verteidigung aufgetreten. Das waren vor allem Experten, darunter auch Anwälte, die Prozesse auf Grundlage der Wikileaks-Dokumente geführt haben, bei denen es um Guantanamo-Inhaftierte ging. Ein Journalismusprofessor hat ausgesagt, dass in den USA noch nie ein Journalist aufgrund der Veröffentlichung von geleaktem, also durchgestochenem, Material angeklagt wurde. Die Anklage versucht aber, genau diese alltäglichen redaktionellen Arbeitsprozesse zu kriminalisieren.

Wie argumentiert die Anklage?

Es geht tatsächlich nicht um Veröffentlichungen, wie das Video »Collateral Murder« auf dem zu sehen ist, wie US-Soldaten auf Reuters-Journalisten im Irak schießen. Laut Anklage habe Assange zum Geheimnisverrat angestiftet, Spionage betrieben und beim hacken von Computern geholfen. Außerdem habe er durch die Veröffentlichung von ungeschwärztem Material Personen gefährdet. All diese erneuten Anschuldigungen sind aber längst im Prozess gegen die Informantin Chelsea Manning widerlegt worden. Es konnte auch keine einzige Personengefährdung nachgewiesen werden.

Wie argumentiert die Verteidigung?

Es war nicht Assange, der ungeschwärztes Material veröffentlicht hat. Wikileaks hat intensiv am Material gearbeitet, anonymisiert und geschwärzt. Ungeschwärzte Inhalte kamen letztlich durch andere Medien in die Öffentlichkeit. Assange hat sogar das Weiße Haus kontaktiert, vor der Veröffentlichung von ungeschwärztem Material und davor gewarnt.

Welche Verfahrensdauer erwarten Sie?

Derzeit sind drei bis vier Wochen vorgesehen. Dies ist für die umfangreiche neue Anklage und wegen der limitierten Zeit für die Verteidiger eigentlich nicht zu leisten. Man kann hier nicht von einem fairen Prozess sprechen.

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