Provokation mit Baggern

Kohleförderer Leag beginnt im sächsischen Dorf Mühlrose mit dem Abriss von Gebäuden

  • Hendrik Lasch, Mühlrose
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Bagger überragt den Fliederbusch deutlich. Er steht auf einer schon länger nicht mehr gemähten Wiese in Sichtweite eines alten Gehöfts aus Backstein im sächsischen Dorf Mühlrose, das er beseitigen soll. So plant es zumindest der Braunkohleförderer Leag, der in der sächsischen und brandenburgischen Lausitz vier Kohlegruben betreibt. Dem Tagebau Nochten soll nach dem Willen des Unternehmens auch Mühlrose weichen. Die darunterliegenden 150 Millionen Tonnen Kohle, so bekräftigte man jetzt noch einmal, seien »unverzichtbar«.

Mit dem geplanten Abriss wird neues Öl ins Feuer gegossen. Der Konflikt schwelt anhaltend, auch wenn er im März 2019 mit der Unterzeichnung eines Umsiedlungsvertrages augenscheinlich befriedet wurde. Dieser regelt rechtliche und finanzielle Details dafür, dass unter anderem die Bewohner von 38 der 60 Wohngrundstücke gemeinsam in den benachbarten Ort Schleife ziehen können. Die Mehrzahl der Einwohner hatte schon vor mehr als zehn Jahren dafür votiert, den Ort zu verlassen, der wegen der Kohle bereits 1966 und 1972 in Teilen abgerissen worden war und dessen endgültige Abbaggerung man ab 2007 zu planen begann.

Allerdings gibt es eine Minderheit, die nicht weichen will. Sie schöpfte Hoffnung nach dem ebenfalls 2019 besiegelten Kohlekompromiss, der den Ausstieg aus der Verstromung von Braunkohle in der Bundesrepublik bis 2038 vorsieht. Die verbreitete Wahrnehmung ist, dass damit zumindest in der Lausitz und im mitteldeutschen Revier bei Leipzig keine Dörfer mehr abgebaggert werden müssen. Ein Gutachten der Unternehmensberatung Ernst & Young im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft hat errechnet, dass in den genehmigten Tagebauen in der Lausitz 877 Millionen Tonnen Kohle liegen, der Bedarf für die Restlaufzeit der Kraftwerke aber nur bei 797 Millionen Tonnen liege.

Das »Sonderfeld Mühlrose« ist in den bisher genehmigten Flächen nicht enthalten. Es gebe für eine Förderung der dortigen Kohle bisher »keine bergrechtliche Genehmigung«, sagt Sachsens grüner Umweltminister Wolfram Günther. Der Politiker war kurz nach Auffahren der Bagger nach Mühlrose gefahren, wohl wissend, dass ein tatsächlicher Abriss von Gebäuden enormen politischen Sprengstoff birgt. Seit Ende 2019 sitzen die Grünen in Sachsen mit in der Regierung. Der Erhalt der von der Kohle bedrohten Dörfer ist eines ihrer zentralen politischen Anliegen. Während das aber für den Ort Pödelwitz im Leipziger Revier im Koalitionsvertrag festgeschrieben wurde, enthält dieser für die Lausitz eine weit weniger konkrete Formel. Man sei sich »einig«, heißt es in dem Vertrag mit CDU und SPD, dass dort »keine Flächen in Anspruch genommen oder abgesiedelt werden, die für den Betrieb der Kraftwerke im Rahmen des Kohlekompromisses nicht benötigt werden«. An diesem Dienstag befasst sich der Landtag auf Antrag der Linken mit dem Thema.

Für Braunkohlengegner ist die Sache klar: Die Kohle unter Mühlrose braucht es definitiv nicht mehr. Es gebe »keine energiewirtschaftliche Notwendigkeit« für die Zerstörung des Ortes, sagt Daniel Gerber, der Energieexperte der Grünenfraktion, unter Verweis auf Gutachten und Einschätzungen von Fachleuten. Er wirft der Leag vor, mit dem Abriss sei »eine Grenze überschritten«. Die Leag betont indes, ihre Planungen zur Inanspruchnahme des Teilfelds Mühlrose hätten »weiter Bestand«. Thomas Penk, für Planungen zuständiger Leiter, verweist darauf, dass für diese Einschätzung auch Transportwege und Qualität der Kohle eine Rolle spielten. Er kündigt ein neues Revierkonzept an.

Das war eigentlich bereits für den Sommer avisiert, liegt aber bisher nicht vor. Es wäre auch nur Voraussetzung dafür, dass eine Abbaggerung von Mühlrose überhaupt beantragt werden könnte. Folgen müssten ein neuer Braunkohleplan für das Revier, der nach Ansicht von Experten in der bis 2024 laufenden Legislatur kaum zu erstellen ist, und ein Regionalplan. So lange sie fehlten, gebe es für das Abbaggern keine Grundlage, sagt Grünen-Fraktionschefin Franziska Schubert. Dass die Leag dennoch Bagger auffahren lasse, sieht sie als »Brandfackel, um Macht zu demonstrieren«. Sie betont, Mühlrose sei »das Symbol« dafür, wie der Kohlekompromiss in der Lausitz umgesetzt werde. Nach Ansicht der Grünen Liga will die Leag mit den beginnenden Abrissarbeiten »Bleibewillige psychisch unter Druck setzen«, sagt Sprecher René Schuster.

Der Kohleförderer interpretiert Kritik an den Abrissen als Aufkündigung des Umsiedlungsvertrags. Den Vorwurf weisen Kritiker strikt zurück. Es gehe nicht darum, den Umsiedlungsvertrag infrage zu stellen, betont Schubert. Ihre Landtagskollegin Antonia Mertsching von der Linken zitiert dazu den Lausitzer Liedermacher Gerhard Gundermann: »Alle, die gehen wollen, sollen gehen können.« Allerdings sollten auch »alle bleiben können, die bleiben wollen« - und jene, die »kommen wollen, sollen kommen können«. Derzeit gehören fast alle Wohnhäusern in Mühlrose der Leag. Mertsching würde gern eines kaufen: »Ich glaube an die Zukunft von Mühlrose und würde dorthin ziehen.«

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