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Authentizitätsversprechen, gemeinsame Abscheu und die Alltäglichkeit des Verbrechens: Wie Polizeiserien im Reality-TV Empathie mit den Sicherheitsbehörden erzeugen

  • Sandra Beck
  • Lesedauer: 6 Min.

Die Klagen über die Krimi-Flut im deutschen Fernsehen sind alt. Die Sichtung des Fernsehprogramms nach etwaigen Krimi-Anteilen konzentriert sich dabei meist jedoch nur auf das Angebot der Öffentlich-Rechtlichen. Zusammengestellt werden im kulturkritischen Eifer endlose Listen der bekannten Serien. Die qualitativen Unterschiede zwischen den einzelnen Formaten und ihre unterschiedlichen Erzählmuster werden in solch einer Kritik aber kaum erfasst. Es ist verwunderlich, dass in der Debatte um die mediale Überrepräsentation von Kriminalität die massenhaft produzierten Scripted-Reality-Formate der privaten Sender unbeachtet bleiben. Es scheint kaum erwähnenswert zu sein, wenn Geschichten auf der Basis »echter Polizeiberichte« (»Auf Streife«) über Erlebnisse von »echten Beamten« (»Die Straßencops - Ruhrgebiet«) entworfen und »wie im echten Leben« (»Die Ruhrpottwache«) erzählt werden.

Dabei verdienen gerade Formate mit dieser inhaltlichen Schwerpunktsetzung Aufmerksamkeit. Denn mit den Scripted-Cop-Shows hat sich das Reality-TV nach der Hochphase der Gerichtsshows einen weiteren gesellschaftlich relevanten Bereich angeeignet. Kennzeichnend ist eine Erzählstruktur, in der Empathie mit der Polizei in der gemeinsamen Erhebung über das lächerliche, verabscheuungswürdige und absurde Leben der Anderen entwickelt wird: Die »echten« Polizist*innen erscheinen nicht nur als Bewertungsinstanz für gesellschaftlich richtiges Verhalten. In ihrem normierenden Blick wird auch vorbuchstabiert, was als das Böse, Verwerfliche und Lächerliche der Gegenwart zu gelten hat. Der Anspruch auf Authentizität ist in der Formel zusammengefasst: »Hier handeln echte Polizisten. Die Inhalte werden nach realen Einsätzen frei erzählt« (»Auf Streife«).

In dieser Kombination aus »realem Fall« und »freier Erzählung« wird ein Modell der Kriminalfallgeschichten aufgerufen: Hatte der französische Advokat François Gayot de Pitaval im 18. Jahrhundert sein Projekt der Causes Célèbres begonnen, um mit der erzählerischen Aufbereitung realer Kriminalfälle das Publikum zu unterhalten und über juristisch kniffelige Detailfragen zu belehren, so reklamierte sein Nachfolger François Richer unter der Formel »arranger les faits« mehr Freiheit für die literarische Gestaltung. Die novellistische Zuspitzung merkwürdiger Fälle und ihre spannungsvolle Darbietung verband sich mit dem Anspruch, aus der kleinen Erzählung des Rechtsfalls historiografisches und juristisches Wissen um den gesellschaftlichen Kontext zu erzeugen.

»Die Straßencops«, »Auf Streife« oder »Die Ruhrpottwache« im Privat-Fernsehen folgen nach eigenem Bekunden ebenfalls diesem Erzählverfahren der aktenmäßigen Darstellung: So sind die eingesetzten Mittel darauf zugeschnitten, über unsauberen Ton, das Überpiepsen personenbezogener Daten oder eine wackelige Handkamera ein unmittelbares Erzählen aus der Wirklichkeit zu simulieren. Die Erfassung und Deutung des Verbrechens im Verhältnis zu seiner Zeit spielen jedoch kaum noch eine Rolle. An die Stelle berühmter Kriminalfälle ist die Banalität der Affekthandlung getreten, die keine weiterführende Bedeutung beansprucht, sondern nur als Störung alltäglicher Normalität inszeniert ist.

Ein Mindestmaß an Spannung generieren die Serien, indem sie die Zuschauer*innen mit den Polizist*innen in eine unübersichtliche Situation versetzen. Wir sehen durch das Fenster einen Mann mit Waffe, der Restaurantbesucher bedroht; wir treffen plötzlich eine verletzte Frau mit Messer auf der Straße an; wir sind dabei, wenn eine Polizistin in einem Kothaufen den auf Packpapier gekritzelten Hilferuf einer Entführten findet. Es ist typisch für kriminalliterarisches Erzählen, die Publikumsperspektive mit dem Wahrnehmungshorizont der Ermittler*innen zu verschränken. Diese Gleichsetzung der Blicke verbindet sich mit spezifischen Emotionalisierungsstrategien. Denn vor der Folie der eigenen Angst und Überforderung hebt sich die besonnene Vorgehensweise der Polizist*innen umso nachdrücklicher ab - sie sorgen souverän für Ordnung, beruhigen Beteiligte, ermitteln den Sachverhalt, kurz: sie hegen Emotionalität ein und verschaffen rationalem Handeln Raum.

Vorgestellt werden die Beamt*innen - im Unterschied zu ihren fiktiven Serienkolleg*innen wie Gereon Rath und Kurt Wallander oder den Kult-Polizisten Toto & Harry - nur als entpersonalisierte Blaupausen. Relevant ist nicht ihre individuelle Geschichte, sondern ihre Funktion. Ihr Handeln macht deutlich, dass nur berufliche Expertise und der daran geknüpfte Verhaltenskodex eine effiziente Ermittlung und eine den Menschen zugewandte Haltung ermöglichen. Eingelöst wird, was die Produktionsfirma von »Auf Streife« verspricht: »Die Polizeibeamten nehmen uns mit in ihren Polizeialltag in Köln. Sie sind dabei Vorbild, Autoritätsperson, Freund und Helfer zugleich«.

In dieser vierfachen Rollenzuschreibung wird das Verhältnis zwischen Bürger*innen und Polizist*innen verdichtet und die Erzähllogik dieser Formate komprimiert. Vor Augen geführt werden nicht - wie noch in »Die Kölner Fahrrad-Cops« - Polizist*innen, die sich herablassend oder rassistisch äußern, sondern vertrauenswürdige Vertreter*innen des Rechtsstaats, die die eigenen Emotionen stets kontrollieren. Anders als dem journalistischen Ethos verpflichtete Dokumentationen ermöglicht es Scripted Reality, Idealbilder von Beamt*innen zu konstruieren, die allein der Aufklärung von Straftaten und der tätigen Hilfe für die Opfer verpflichtet sind. Ressentiments oder Fehlverhalten im Dienst bleiben ungezeigt.

Aufgrund der engen erzählerischen Taktung, die nicht mehr als fünfzehn Minuten für den Einzelfall vorsieht, gibt es in diesen Formaten weder Zeit für detaillierte Spurensuche noch eine Reflexion der Ermittlungspraktiken. Erfassung des Sachverhalts und Aufklärung des Falls erscheinen als sachliches, auf Erschließung der Fakten konzentriertes Gespräch, das im Vertrauen auf den »gesunden Menschenverstand« die Glaubwürdigkeit der Vernommenen einschätzt. Nicht selten endet dies im abrupten Geständnis: »Ja, mein Gott, ich war’s. Aber sie hat’s auch verdient.« Allein die körperliche Präsenz der Polizei wirkt als Wahrheitsserum. Jede andere Reaktion als erleichterte Dankbarkeit im Angesicht der Beamt*innen und vollumfängliche Kooperation ist als verdächtig markiert.

Die Formate entwerfen somit Idealbilder der Polizei und inszenieren ebenso das angemessene Verhalten unbescholtener Bürger*innen der Polizei gegenüber. Denn ihr Benehmen wird nicht nur strafrechtlich bewertet, sondern überdies moralisch beurteilt. Angeleitet wird dies durch den Zuschnitt der übersteigerten Alltagsfälle, die zwischen Merkwürdigkeit und Kuriosität schwanken und überwiegend im privaten Nahraum situiert sind. Ein wiederkehrendes Thema ist Sexualität. Da zwingt eine Mutter die 17-jährige Tochter ihre Jungfräulichkeit über das Internet zu versteigern, da stehlen zwei minderjährige Mädchen im Wissen um die Affäre des Vaters Dessous für ihre Mutter, da verabreicht eine geldgierige Enkelin der eigenen Oma K.O.-Tropfen und nutzt Stripper als unwissende Boten. Indem derart ausführlich von kriminellen Taten erzählt wird, die aus fehlender Affektkontrolle und der Zerstörung der heteronormativen familiären Einheit entstehen, erscheinen dysfunktionale Familien nicht nur im privaten, sondern ebenso im gesellschaftlichen Raum als gefährdeter und gefährlicher Bereich der Normalität.

Im Grenzbereich von faktualer Dokumentation und fiktionaler Repräsentation simulieren diese Scripted-Reality-Formate eine direkte Teilnahme der Zuschauer*innen am »echten« Arbeitsalltag der Polizei und geben so vor, polizeiliches Handeln für die Öffentlichkeit transparent zu machen. Dieses Versprechen wird im Darstellungsmodus aber verkehrt: Allenfalls in dem als Off-Kommentare eingesprochenen Erläuterungen der Polizist*innen oder der Auflösung des Akronyms »Spusi« für Spurensicherung nimmt man Rudimente einer informierenden Wissensvermittlung wahr. Aus der Darstellung scheinbarer Alltäglichkeit beziehen diese Formate vielmehr den Vorwand, um jede kleinste Verfehlung und Störung der gesellschaftlichen Ordnung im umherschweifenden Blick der Ordnungshüter*innen zu erfassen und der Aufmerksamkeit der Macht zu unterwerfen. Dieser mikroskopische Blick erfasst Szenarien, die gerade in ihrer Alltäglichkeit das schockierte Votum des Unglaublichen produzieren.

Es sind Formate, die auch deswegen in Serie gehen, weil sie den immer krasser zurecht gestellten Einzelfall nichts bedeuten lassen außer eine eklatante Abweichung von Normalität. Anstatt den Einzelfall als Indikator aktueller gesellschaftspolitischer Verwerfungen vorzustellen, beharren diese Erzählungen auf der Allgegenwart des Verbrechens, da jeden Moment der Alltagsmensch in Folge mangelnder Affektkontrolle nicht nur das Gesetz übertritt, sondern kulturelle Normen verletzt. Die Ordnungsmacht Polizei muss in ihren wechselnden Verkörperungen immer anwesend sein. Die Setzung von Normalität darf nie enden.

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