Erfurter Legende
Die Verfälschung der Biografie des Kommunisten Paul Schäfer in der DDR.
»Im Kampf gegen den Faschismus gab er sein Leben« - so stand’s in Erfurt jahrzehntelang nicht nur auf einer Gedenktafel. Der Kommunist Paul Schäfer gab den Namen einer Straße, einer Kita und auch der Schuhfabrik, in der er einmal gearbeitet hatte. Einer wie er, 1933 geflohen und später im Kampf gegen Franco gefallen, war ein Held der DDR. Doch ist diese Geschichte am Ende grundfalsch: Der 1894 geborene Schäfer war zwar wirklich ein mutiger Antifaschist, doch starb er nicht 1937 in Spanien, sondern wurde 1938 bei Moskau exekutiert. Bitterer noch: Er wollte tatsächlich in den Kampf gegen Franco, doch kam es nicht dazu. Stattdessen erschoss man ihn als »faschistischen Spion«.
Wie konnte eine solche Legende so lange erzählt werden? Wer hat sich das ausgedacht? Wer schwieg? Diese Fragen wurden in Erfurt schon öfter gestellt, zuletzt 2018 in einer Ausstellung und 2019 in einer Diskussion. Nun liegt, unter Beteiligung des Urenkels Thomas Schäfer, eine gut recherchierte Antwort vor.
In die Welt gesetzt wurde die Geschichte demnach 1945 von Karl Reimann, einem kommunistischen Überlebenden von Buchenwald, der in den frühen 1920ern zur KP-Linksabspaltung KAPD gestoßen war und später die Rote Hilfe in Thüringen leitete. Nach der Befreiung nahm Reimann in Erfurt Anträge auf Anerkennung als »Opfer des Faschismus« entgegen. Ausweislich der Handschrift war er es, der eigenhändig in den Antrag von Paul Schäfers Witwe Hulda einen knappen Vermerk zum vermeintlichen Spanientod eintrug, obwohl es dafür keinen Beleg gab. Ob er das von Hulda übernahm, die nach Schäfers Emigration kaum in Kontakt zu ihm stand, ob er irgendwie erfahren hatte, dass Schäfer zumindest nach Spanien wollte, ob er die Wahrheit ahnte oder wusste: All das bleibt unklar.
Anfangs ging es also vor allem um einen Gefallen für die Witwe eines Genossen und Freundes. Dann aber hob die Legende ab, wobei sie sich mehrfach veränderte. So verschwand der Moskau-Aufenthalt mit den Jahren - und wurden die vermeintlichen Zeugnisse zugleich detaillierter und widersprüchlicher. Einzelne »Zeugen« mag vielleicht die Erinnerung getrogen haben. Doch belegt der Band, dass die verschiedenen Versionen der Geschichte auf Initiative von immer weiter oben entstanden. 1946 hatte der Thüringer SED-Vorstand Erich Kops der Witwe vom Spanientod ihres Mannes geschrieben. Eine Version von 1968 - die Schäfer von einem Panzer- zu einem Meldeoffizier umfirmierte und in die offizielle Geschichte einging -, hatte der Spanienkämpfer Fritz Rettmann angestoßen, der im FDGB-Vorstand saß und Historiker an der Hochschule des Gewerkschaftsbundes war.
Wer die Saga an Schulen verbreitete, hatte keinen Grund, an einer Geschichte zu zweifeln, die sich so ähnlich oft ereignet hatte. Wissentlich geschwiegen hat dagegen nicht nur Schäfers Moskauer Lebensgefährtin. Auch Prominente deckten die Legende: Elisabeth und Erich Weinert setzten sich noch in Stalins Moskau mutig für ihn ein, hielten später aber dicht. Und nicht nur Wilhelm Pieck, der den Mann, dessen Parteiausschluss er 1938 gutgeheißen hatte, persönlich kannte und die entsprechenden Listen nach Berlin brachte, muss um die Wahrheit gewusst haben. Wie ziemlich sicher auch Walter Ulbricht - und der spätere westdeutsche SPD-Grande Herbert Wehner.
Ob all jene, die es besser wussten, jemals Hemmungen hatten, lässt auch das quellenreiche Buch offen. Es besticht dadurch, dass es ihm nicht weniger um die wahre Geschichte Paul Schäfers geht als um die Anatomie der Legende um ihn. So bietet es en passant auch Einblick den Irrsinn von Stalins Terror: Kurz nach seiner Erschießung saß ein neuer Militärrichter an Schäfers Fall - um aus den offensichtlich unsinnigen Vorwürfen gegen ihn eine Anklage gegen seine Ankläger zu basteln. Wären die nicht anderweitig verurteilt worden, hätte man als zynischen Nebeneffekt Paul Schäfer womöglich schon 1939 und nicht erst 1989 rehabilitiert.
Annegret Schüle, Stefan Weise, Thomas Schäfer: Paul Schäfer. Erfurter Kommunist, ermordet im Stalinismus. 168 S., brosch. Kostenfrei zu beziehen bei der Thüringer Landeszentrale für politische Bildung.
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