»Einseitig und politisiert«

Aktivistin Fatuma Musa Afrah erklärt, warum es inklusiver ist, Newcomer anstelle von Flüchtling zu sagen

  • Julia Trippo
  • Lesedauer: 4 Min.

Fatuma Musa Afrah kam selbst als geflüchtete Frau nach Deutschland. Mittlerweile unterstützt sie als Aktivistin, Gründerin und Vorsitzende ihres eigenen eingetragenen Vereins geflüchtete »Newcomer«-Frauen, wie sie sie nennt.

Sie bevorzugen das Wort Newcomer, anstelle von Flüchtling. Wieso?

Fatuma Musa Afrah

Geboren wurde Fatuma Musa Afrah in Somalia. Sie floh vor dem Bürgerkrieg nach Kenia, wo sie aufwuchs. In Mombasa und Nairobi studierte sie Entwicklungs- und Sozialarbeit und arbeitete für internationale Hilfsorganisationen wie Terre des Hommes und Save the Children sowie in dem Flüchtlingslager Dadaab in Kenia. 2014 kam sie nach Deutschland und gründete den Verein United Action.

In ihrer Arbeit will sie Newcomer-Frauen und Mädchen in Berlin und Brandenburg über ihre Rechte informieren und sie in ihrem neuen Leben in Deutschland unterstützen. Ein weiteres Ziel ist es, Kontakt zwischen den Newcomer-Frauen untereinander, aber auch zu den ortsansässigen Frauen herzustellen. Sie ist Aktivistin, freiberufliche Speakerin und Beraterin.

 

»Newcomer« ist einladender und inklusiver. Wenn Deutsche nach Afrika kommen, wie wird über sie gesprochen? Sie sind Expats, Wissenschaftler, Touristen oder Diplomaten. Wie werden wir genannt? Migrant oder Flüchtling. So wie das Wort Flüchtling, ist auch der Begriff Integration einseitig und politisiert. An den Begriff Integration sind bestimmte Erwartungen geknüpft, eine bestimmte Art von Menschen und Gemeinschaft ist gemeint. Durch Inklusion, anstelle von Integration, haben Minderheiten dann nicht das Gefühl, dass mit dem Finger auf sie gezeigt wird.

Welche konkreten Herausforderungen für Newcomer-Frauen beobachten Sie in Ihrer Arbeit?

Da gibt es den Kulturschock. Zum Beispiel sind Frauenrechte in Deutschland viel weiter fortgeschritten als in den Herkunftsländern der Frauen. Sie sind erstaunt darüber, wie Männer und Frauen hierzulande versuchen, gleichberechtigt zu leben. Jedoch ist die Sprachbarriere ein großes Problem. Die isoliert sie genauso wie Flüchtlingsheime. Diejenigen, die dort leben, haben nicht viel Kontakt zur Außenwelt. Und natürlich erleben sie viel Diskriminierung und Rassismus.

Wenn Sie eine Sache verändern könnten, was wäre es?

Die Möglichkeit zu arbeiten und das Angebot von Kindergartenplätzen. Denn derzeit ist der Zugang zum Arbeitsmarkt für Newcomer-Frauen wahnsinnig schwer; sie werden oft wegen ihrer Kleidung diskriminiert. Auch Kontakt mit anderen Frauen ist wichtig. Sobald Arbeit und Kontakt da ist, kommt alles andere von alleine.

Sie selbst haben eine Fluchtgeschichte und sind als Muslima, Schwarze Frau nach Deutschland gekommen. Haben Sie Rassismus in Deutschland erfahren?

Ich bin nicht Schwarz. Ich glaube nicht daran, dass du weiß bist und ich Schwarz. Es ist eine schmutzige Art der Gesellschaft, Menschen zu beschreiben. Kein Mensch sollte einen anderen als Schwarz oder weiß bezeichnen. Wir sind alle wunderbar unterschiedlich in unserer Pigmentierung. Wir gehören alle zur Menschheit. Unter unserer Haut sind wir alle gleich, wir haben alle rotes Blut.

Ich erlebe oft Diskriminierung. Ich bin eine Frau, ich habe diese wunderschöne Hautpigmentierung, ich trage ein Kopftuch und komme von dem Kontinent Afrika. Menschen haben viele Annahmen dazu und es gab Situationen, in denen auf mich hinab geschaut wurde. Einige Leute gingen davon aus, dass ich nicht gebildet sei. Erfahren habe ich Rassismus von deutscher Seite, aber auch durch andere Communities. Er kommt auch von Frauen, mit denen ich zusammenarbeite – wegen der Hautpigmentierung.

Ich verstehe noch immer nicht, warum Menschen unterschiedlich behandelt werden. Meine Hautpigmentierung macht mich zu einer Zielscheibe. Um Rassismus zu beenden, brauchen wir starke Strukturen und Strategien, die Rassismus nachhaltig und in vollem Umfang bekämpfen. Und es braucht Bildung. Wir müssen über unangenehme Themen sprechen.

Was wäre denn eine unangenehme Diskussion?

Rassismus und Kolonialismus haben Geschichte. Wenn Menschen aus ihren Ländern fliehen und Schutz suchen, müssen wir uns fragen, was in ihren Ländern passiert. Es herrscht Krieg! Wer profitiert von Krieg? Wie viele Waffen produziert und exportiert Deutschland im Jahr? All diese Fragen muss man sich mal stellen! Um Menschenleben zu retten, dürfen Waffen nicht weiter produziert und verkauft werden.

Welche Auswirkungen hat das Coronavirus auf Ihre Arbeit und das Leben der geflüchteten Frauen?

Viele Frauen haben nicht genug Kontakt in die Außenwelt und vielen geht es in der Quarantäne psychisch nicht gut. Einige geflüchtete Mütter können ihre Kinder nicht bei den Hausaufgaben unterstützen, weil sie weder lesen noch schreiben können. Und die Rate an häuslicher Gewalt ist auch gestiegen. Manche Frauen haben mir auch von Rassismuserfahrungen im Kontext mit Corona berichtet: Sie wurden auf dem Weg zum Supermarkt attackiert, bespuckt, mit Gegenständen beworfen. Einer Frau wurde sogar unterstellt, das Virus eingeschleppt zu haben.

Was ist das nächste große Projekt Ihres Vereins?

Wir haben ein Frauen-Inklusionsprojekt geplant. In den Prinzesinnengärten in Berlin-Kreuzberg wollen wir Newcomer-Frauen und ältere Berlinerinnen durch gemeinsame Gartenarbeiten zusammenführen. Wir wollen Austausch. Es ist wichtig, dass die deutschen Frauen erklären, wie sie für ihre Rechte gekämpft haben. Viele Newcomer-Frauen denken, Frauenrechte wären eine europäische oder amerikanische Sache. Sie müssen verstehen, dass das ein Menschenrecht ist, das auch ihnen zusteht. Die Spaltung, Unterteilung und Konkurrenz, die durch die Rhetorik der AfD kreiert wird, wollen wir bekämpfen, indem wir Frauen zusammenbringen, im Namen der Frauen.

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