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Befreit von Vorwürfen und Klischees
Krzysztof Pilawski und Holger Politt stellen Zeugnisse der Familie von Rosa Luxemburg vor
Es ist ein bemerkenswerter, lesenswerter Band, den der Warschauer Publizist Krzysztof Pilawski sowie Holger Politt, Übersetzer und Herausgeber des polnischen Werkes von Rosa Luxemburg sowie Leiter des Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Warschau, auf den Buchmarkt gebracht haben. Sie haben bisher kaum beachtete Quellen akribisch ausgewertet und stellen auf dieser Grundlage mosaiksteinartig weitgehend unbekannte Dokumente und Details aus dem Leben und Wirken der Familie Luxemburg vor (divergierend in den Unterlagen auch Luxenburg und Luksenburg).
Zeitlich spannt sich der Bogen von 1830 bis 1945. Von Walter Benjamin angeregt, bedienen sich die Autoren einer Form der Darstellung, die das nicht Abgeschlossene der Forschung betont. Fragmente, Anekdoten, Reiseberichte, Tagebucheinträge werden historisch eingeordnet und mit Porträts einzelner Familienmitglieder verwoben, wobei immer wieder auch das Verhältnis von Rosa Luxemburg zu jenen zur Sprache kommt. Auch Einleitung und Anhang lassen den Einfluss von Benjamin erkennen auf Pilawski und Politt erkennen: Dialektisches Denken ist politisch und sollte Wissen produzieren, damit es zu eingreifendem Denken führt.
Anlass für dieses Buch waren wüste Beschimpfungen Rosa Luxemburgs als Polenhasserin. Diese unbegründeten Vorwürfe dürften unter anderen dadurch begünstigt worden sein, dass in der Tat lange Zeit in polnischer Sprache verfasste Schriften von Rosa Luxemburg kaum bekannt waren. Hinzu kam der Kampfbegriff »Luxemburgismus«, der sich über Jahrzehnte nicht nur gegen die polnisch-deutsche Revolutionärin und Theoretikerin, sondern gegen sogenannte »Abweichler« in der kommunistischen Bewegung schlechthin wandte. Also jene klugen Köpfe, deren Ansichten sich vermeintlich oder auch tatsächlich vom Kanon des offiziellen Marxismus-Leninismus, von Lehrbuchmeinungen und insbesondere den von Stalin vorgegebenen Doktrinen unterschieden. Von Stigma der »Abweichung« betroffen waren einst gerade auch Rosa Luxemburgs Arbeiten zu polnischen Fragen.
Die »Spurensuche« von Pilawski und Politt ist ein neuerlicher, verdienstvoller Beitrag, einerseits Rosa Luxemburg vom Konstrukt »Luxemburgismus« zu befreien, andererseits einer Romantisierung ihrer Person entgegenzuwirken. Die jüdische Familiengeschichte der wohl weltweit bekanntesten Sozialistin ungeschönt und nicht geradlinig oder gar vorherbestimmt darzustellen, bedeutet, persönliche Schicksale mit der Dramatik des Weltgeschehens zu verknüpfen. Die Eltern und Großeltern von Rosa Luxemburg, ihre Onkel Nathan und Benjamin Löwenstein, ihre Geschwister und deren jeweilige Familien werden kenntnisreich und mit Empathie vorgestellt.
Józef Luxenburg, ein Bruder Rosa Luxemburgs, war ein bekannter Arzt und Spezialist für Infektionskrankheiten, Maxymilian Luxemburg, ein anderer Bruder, ein erfolgreicher Geschäftsmann, der während des Zweiten Weltkrieges, unter deutscher Okkupation, in Warschau ausharrte, wo er 1943 starb. Seine Frau wurde 93 Jahre alt und lebte bis 1964 als angesehene Rechtsanwältin in der polnischen Hauptstadt. Der älteste Sohn der beiden, Jerzy, hatte im Ersten Weltkrieg in den Reihen der Polnischen Legionen gekämpft. Im polnisch-sowjetischen Krieg 1920 zum Leutnant ernannt, war er zum Zeitpunkt des Überfalls Hitlerdeutschlands auf Polen Hauptmann. Er kämpfte später im Untergrund gegen die deutschen Okkupanten, geriet in die Hände der Besatzer und wurde 1942 im KZ Auschwitz ermordet, wie auf der gemeinsamen Grabplatte für die Familie auf dem Evangelisch-Reformierten Friedhof in Warschau zu erfahren ist.
Auch Antoni Luxemburg, Bruder von Maxymilian, und seine Frau Helena waren im aktiven illegalen Widerstand gegen die deutschen Aggressoren. Ihr weiteres Schicksal ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Wahrscheinlich wurden sie im Vernichtungslager Majdanek ermordet. Der Arzt und Reserveoffizier Jerzy Edward Luxenburg, Sohn von Rosa Luxemburgs Bruder Józef, wurde 1940 im Wald von Katyn erschossen, wo auf Stalins Geheiß 4400 Polen, mehrheitlich Offiziere, erschossen worden sind. Pilawski und Politt gehen davon aus, dass die sowjetischen Behörden sehr wohl wussten, dass es sich bei ihm um einen engen Verwandten Rosa Luxemburgs handelte.
Die kurzen und prägnanten Ausführungen im Anhang zu Galizien, zum Königreich Polen sowie zur im November 1918 gegründeten Republik Polen dienen der Orientierung auf einem schwierigen historischen und bis heute umstrittenen Terrain. Die Forschungen von Pilawski und Politt bieten somit nicht nur einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Geschichte, sondern auch der gegenwärtigen Situation in Polen. Einfache Antworten zum wiedererstarkten Nationalismus und Patriotismus in Polen, zur politischen Spaltung des Landes zwischen Stadt und Land, der jungen und der älteren Generation, den »einfachen Leuten« und Intellektuellen gibt es nicht. Pilawski und Politt geben Anregungen zum Verständnis des Bündels von Problemen im heutigen Polen. Sie empfehlen, die Perspektive zu ändern und auf den moralischen Zeigefinger zu verzichten.
Krzysztof Pilawski/Holger Politt (Hg.): Rosa Luxemburg. Spurensuche. Dokumente und Zeugnisse einer jüdischen Familie. VSA, 152 S., br., 19,80 €.
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