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»Die Kommunisten unterstützen das Establishment«
Jan Trnka, stellvertretender Vorsitzender der neuen Linkspartei »Budoucnost« (Zukunft) in Tschechien, zu den Lokal- und Senatswahlen
Am 2. und 3. Oktober werden in der Tschechischen Republik sowohl die Regionalräte als auch der Senat, einer der zwei Kammern des Parlaments, gewählt. Auch wenn die Partei »ANO« des tschechischen Ministerpräsidenten Andrej Babíš durch die erneute Verschärfung der Coronakrise zum ersten Mal seit 2017 in den Wahlprognosen eingebüßt hat, steht sie in den neuesten Umfragen mit 29,6 Prozent immer noch bequem vor der zweitstärksten Piratenpartei mit 12,8 Prozent. Zwei »klassische« linke Wahlalternativen auf dem Wahlzettel sind die kommunistische Partei, die bei den letzten Wahlen um die zehn Prozent erzielte, und die Grünen. Warum sehen Sie diese nicht als die Zukunft linker parlamentarischer Politik?
Weil die Kommunistische Partei ohne zu zögern das aktuelle Establishment unterstützt und dies - mit Ausnahme einer kurzen Phase nach 1989 - immer getan hat. Sie stellt leider keine radikale linke Alternative dar, denn trotz ihres starken sozialen Programms ist sie, was Fragen wie Klima, Gender oder Geflüchtete angeht, extrem konservativ. Allein, dass sie offiziell die Regierung des Milliardärs Andrej Babiš stützt, zeigt, was das für eine »kommunistische« Partei ist. Ich und andere haben uns während meiner beinahe zehn Jahre bei den Grünen bemüht, die Partei von Mitte-rechts nach links zu verschieben, aber wir haben erkannt, dass es mehr Sinn macht, eine neue Partei zu gründen.
Jan Trnka ist außerordentlicher Professor und Leiter der Abteilung für Biochemie, Zell und Molekularbiologie an der Karls Universität in Prag. Er war auch Co-Autor des Wahlprogramms der Grünen zum Thema Bildung und Wissenschaft im Jahre 2013. Seit März ist er Teil der Initiative Model anti-COVID-19 für die Tschechische Republik und seit Juni stellvertretender Vorsitzender der Partei »Budoucnost«. Im Prager genossenschaftlich organisiertem Bistro »Střecha« traf sich mit ihm Emil Rothermel, um für »nd« über die anstehenden Regional- und Senatswahlen zu reden.
Dieses Jahr wurden drei neue Parteien gegründet, die sich alle als linke Alternative verstehen. Was führte dazu und wie ist ihr Verhältnis zu den anderen Parteien?
Ich denke, das ist ein Zeichen dafür, dass eine linke Partei in Tschechien fehlt. Als wir den Prozess anfingen, der zu dem geführt hat, was heute »Budoucnost« ist, saßen wir mit Menschen der »Idealisté« (Idealisten) und auch der »Levice« (Linke) an einem Tisch. Diese haben sich aber entschieden, eigene Wege zu gehen. Wir probieren das wieder zusammenzuführen, denn es ist klar, dass drei Kleinstparteien keine Überlebenschance haben.
Was sind eure Themenschwerpunkte?
Für uns sind bedeutende Themen der Schutz der arbeitenden Bevölkerung durch die Erhöhung des Mindestlohns und eine Reform des Steuersystems, welches momentan die oberen zehn Prozent der Bevölkerung übervorteilt. Klimagerechtigkeit und der Übergang zur kohlefreien Energie sind für uns essenziell. Und Investitionen in öffentliche Dienstleitungen, welche in den letzten 30 Jahren kontinuierlich gekürzt und privatisiert wurden. Damit sind auch die Wohnungspolitik und die Entwicklung der Regionen verbunden, welche gegenüber Prag langfristig vernachlässigt wurden.
Was sind die größten Fehler der Regierung?
Es ist offensichtlich das Ziel der Regierung, die Geschäfte von Andrej Babiš und seiner Freunde zu fördern. Das geht durch staatliche Förderung der eigenen Unternehmen und das Abgreifen und Kürzen öffentlicher Gelder und öffentlicher Investitionen. Dazu kommt, dass wir auf der Welt pro Kopf einer der größten Produzenten von CO2 sind, aber die Regierung so tut, als sei das überhaupt nicht unser Problem.Wie seht ihr eure Zukunft?
Für uns sind die Parlamentswahlen im nächsten Jahr wegweisend. Die werden zeigen, ob dieses Projekt vorangeht oder ob wir das noch mal überdenken müssen. In vier Jahren will ich diese Partei im Parlament sehen, und zwar als die Partei, die Themen einbringt, die sonst niemand behandelt. Und wir machen alles dafür, dass das klappt.
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