- Politik
- US-Präsidentschaftswahl
Einfach mal Mikro aus!
Max und Moritz analysieren im Chat und Podcast den US-Wahlkampf
Hallo Max! Wir müssen – wohl oder übel – über die Präsidentschaftsdebatte aus der Nacht zum Mittwoch sprechen. Auch wenn sie mit einer zivilisierten Diskussion nicht viel zu tun hatte, bestimmt sie ja trotzdem die Schlagzeilen in den USA. Nach solchen Debatten gibt es immer Blitzumfragen. Wer hat das Duell gewonnen?
Max Böhnel ist USA-Korrespondent des »nd« und lebt seit 1998 in New York. Dort arbeitet er für mehrere Publikationen und Radiosender in Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Moritz Wichmann ist Redakteur im Onlineressort des »nd«, sein Schwerpunkt sind die USA. Er studierte Politik und Soziologie in Berlin und New York. Ein Teil seiner Familie lebt in den USA.
Oliver Kern ist Redakteur im Sportressort des »nd«. Er studierte einst in einer Kleinstadt in Ohio. Bis heute hält er sich auf dem Laufenden, was politisch in den USA los ist.
Das kann man nicht sagen. Kurz nach so einem einschneidenden Ereignis sollte man nicht mit einem fundierten Umfrageergebnis rechnen. Auf Twitter wurden mehrere »Umfragen« gemeldet, in denen Trump vorne lag. In Blitzumfragen großer Fernsehsender hielt eine Mehrheit Biden für den Sieger. Aber was heißt schon Sieger? Ich glaube, es dürfte kaum einen Trump-Fan geben, der sagen würde: Trump hat verloren. Und ich glaube auch, es gibt keinen Demkokraten, der das von Biden sagen würde. Man müsste also Menschen fragen, die noch unschlüssig sind, wen sie wählen wollen. Aber die muss man mit der Lupe suchen.
Allen war vorher klar, Trump liegt seit Monaten in der Wählergunst hinten und muss aufholen. Kann er das mit dieser Vorstellung geschafft haben?
Nein, auf keinen Fall. Denn das würde ja bedeuten, dass er Zweifler oder gar Biden-Anhänger auf seine Seite gezogen hätte. Das kann man ausschließen. Eine andere Frage wäre, ob Trump Nichtwähler überzeugen konnte, jetzt wählen zu gehen. Auch das glaube ich nicht. Welcher Nichtwähler würde sich ausgerechnet so eine Debatte anschauen?
Und das auch noch über 90 Minuten lang! Biden liegt seit Langem vorn und musste nur Fehler vermeiden. Ist ihm das gelungen?
Er wurde ja von Trump seit Wochen als senil und unzurechnungsfähig gezeichnet. Deshalb habe er sich angeblich auch in seinem Keller versteckt, anstatt Wahlkampfreden vor Anhängern zu halten. Das war der Eindruck, den Trumps Leute vermitteln wollten. Nun ist Joe Biden tatsächlich alt, das sieht man ihm auch an. Und er verhaspelt sich oft. Aber als einer, der manchmal Zahlen durcheinanderbringt und über den eigenen Satz stolpert, ist Joe Biden seit Jahrzehnten in den USA bekannt. Das hat er auch wieder bei dieser TV-Debatte gemacht. Aber es war eben nichts Neues. Trump bezeichnet Biden außerdem seit langem als »Sleepy Joe«, was ich nie für besonders treffend hielt. Die Messlatte hatte Trump vor der Debatte also sehr sehr niedrig gelegt. Und natürlich ist Biden nicht vor laufender Kamera eingeschlafen. Auf der anderen Seite ist er trotz der vielen Angriffe und Beleidigungen von Trump nie ausgerastet. In keine dieser Fallen tappte Biden. Er hat die Contenance behalten. Bei besonders verrückten Ausfällen von Trump hat er sogar einfach nur gelächelt.
Auch wenn es nach solch einer Debatte schwerfällt, auf inhaltliche Themen einzugehen: Trump hat versucht, seinen Gegner von den Demokraten in eine linke Ecke zu drängen. Biden hat aber explizit die Forderungen des progressiven Flügels abgelehnt: der Polizei Geld zu entziehen, die Abschaffung von privaten Krankenversicherungen, der Green New Deal. War das die richtige Strategie?
Den Progressiven bei den US-Demokraten ist längst bewusst, dass Biden für den zentristischen Mainstream-Flügel der Partei steht. Diese Absagen, etwa an den Green New Deal, waren für sie also nichts Neues. Bei einem Großteil der Linken herrscht mittlerweile die Auffassung, dass Biden gegenüber Trump das kleinere Übel ist, und dass man ihn eben wählen muss. Linke verprellen kann Biden nicht mehr, glaube ich. Neu war das alles eher für Konservative. Trump behauptet immer wieder, dass Biden eine Marionette von Sozialisten sei. Vielleicht hat Bidens Distanzierung bei einigen Rechten sogar Zweifel ausgeräumt, und sie wählen ihn jetzt. Dann wäre das ja gut.
Kurz vor der Debatte veröffentlichte die »New York Times« Einkommenssteuererklärungen von Donald Trump. Demnach hat er in 15 der letzten 20 Jahre nichts gezahlt, und 2016 sowie 2017 nur 750 Dollar, also viel weniger als Krankenschwestern, Feuerwehrleute oder Busfahrer. Viele haben erwartet, dass Biden das ausnutzen kann. Hat er meiner Ansicht nach aber nicht gemacht.
Ich denke auch, Biden hätte Trump hier mehr angreifen können. Aber solche Attacken wären bei Trumps Anhängern ohnehin auf taube Ohren gestoßen. Die pflegen die Denkweise: Wer will denn nicht sein Geld behalten und die Steuer bescheißen? Trump ist für sie ein Fuchs, und sie hätten auch gern seinen Steuerberater. Außerdem kümmern sie Trumps Steuern nicht, sondern nur ihre eigenen. Dennoch hatte man schon den Eindruck, dass Biden anfangs kaum eigene Akzente setzte und überrumpelt wirkte von dem ständigen Chaos, das Trump verbreitete.
Ja, das fand ich auch. Da war Biden sehr defensiv und ließ sich vom Rüpel überfahren. Ich dachte mir, bei manchen Zuschauern ist der Inhalt nicht so wichtig. Die wollen nur sehen, wer mehr Energie ausstrahlt, und das war eindeutig Trump.
Könnte schon sein, dass er hier gepunktet hat. Das ganze Format TV-Duell und die Sprache, die damit kommuniziert wird – Zweikampf, Gewinner, Sieger, Durchhaltevermögen – das ist wie Leistungssport. So ein Format begünstigt von vornherein den Jüngeren, den Mächtigeren und den Aggressiveren. Und das ist Trump. Er ist ein Meister des Reality-TV und beherrscht dessen Regeln. Er war 14 Jahre die Hauptfigur in der Show »The Apprentice«. Ich glaube also, er kam möglicherweise als Sieger in seiner eigenen Reality-TV-Show rüber.
Die Mehrheitsmeinung war aber, dass dies die hässlichste und am wenigsten informative Debatte der Geschichte war. Manche fordern nun, dass Biden an den zwei weiteren Debatten nicht mehr teilnehmen sollte. Wäre das politisch klug?
Schon vor der ersten rieten ihm einige Demokraten davon ab, sich auf eine Bühne mit Trump zu stellen. Aber eine Nichtteilnahme wäre von Trump ausgeschlachtet worden als feiges Kneifen, als »Verstecken der Senilität« von Biden. Jetzt hat er nachgewiesen, dass er nichts verstecken muss. Würde er nun also sagen, so ein Theater mache ich nicht noch mal mit, wäre das eher verständlich. Ob es politisch klug wäre, ist schwer zu sagen, denn Trump würde ihn trotzdem kritisieren, und Biden wäre gezwungen zu reagieren. Als faschistoider Rechtspopulist weiß Trump genau, wie man ein Medienspektakel inszeniert. Er gedeiht und blüht im Chaos auf. So was lässt sich politisch nicht kalkulieren.
Wenn Biden also doch weitermacht, wie kann er verhindern, dass Trump wieder so die Initiative an sich zieht?
Die Kommission, die diese TV-Debatten organisiert, hat unmittelbar nach diesem Skandal angekündigt, die Regeln zu verstärken und umzuschreiben. Was das genau bedeuten soll, wurde noch nicht ausgeführt. Sinnvoll wäre: Wenn ein Kandidat redet, wird dem anderen das Mikro abgedreht.
Manche Beobachter meinten vor dem ersten TV-Duell, es sei Trumps letzte Chance aufzuholen. Bis zum zweiten Mitte Oktober werden vermutlich schon 30 Millionen Wähler ihre Stimme abgegeben haben. Womit könnte er das Ding jetzt noch rumreißen?
Wären das normal verlaufende Wahlen, würde also jede Stimme zählen, würde Trump auf jeden Fall abgewählt werden. In den Umfragen führt Biden seit Monaten konstant. Aber das sind ja keine normal verlaufenden Wahlen. Trump hat schon offen angekündigt, dass er die Wahlen anzweifeln wird, sollte er nicht gewinnen. Ich kann mir vorstellen, dass er vor Gericht geht und sich selbst zum Sieger erklärt. Erschreckenderweise hat er in der Debatte an neofaschistische Schlägertypen unter seinen Anhängern appelliert, sich bereitzuhalten: »Stand back and stand by!«, hat er gesagt. Eigentlich ein Militärbefehl: »Haltet euch zurück und haltet euch bereit!« Wenn er das Schiff noch mal wenden kann, dann mit undemokratischen Methoden. Und indem er Chaos sät und mit Gewalt droht.
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!