Ein Opfer, viele Motive

Eine vierteilige Dokumentation widmet sich dem Mord an Treuhand-Chef Detlev Karsten Rohwedder

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 5 Min.

Wer erschoss Detlev Karsten Rohwedder? Diese Frage stellt pünktlich zum 30. Jahrestag der Wiedervereinigung die vierteilige Netflix-Doku-Miniserie »Rohwedder - Einigkeit und Mord und Freiheit«. Als »perfektes Verbrechen« bezeichnet einer der zahlreichen in der Doku auftretenden Zeitzeugen die Ermordung des Treuhand-Chefs. Der wurde am 1. April 1991 um 23.30 Uhr aus gut 60 Metern Entfernung durch eine nicht gepanzerte Fensterscheibe im ersten Stock seines Düsseldorfer Wohnhauses mit einem Präzisionsgewehr erschossen. Die RAF bekannte sich zu dem Anschlag, am Tatort fand sich ein Bekennerschreiben, ein dort aufgefundenes Haar konnte später per DNA-Test dem RAF-Mitglied Wolfgang Grams zugeordnet werden.

Richtig aufgeklärt wurde die Tat aber bis heute nicht. Immer noch fehlen schlüssige Ermittlungsergebnisse, um einen oder mehrere Täter zu bestimmen und den Tathergang genau zu rekonstruieren. Die insgesamt knapp drei Stunden umfassende Dokumentation der Regisseure Georg Tschurtschenthaler und Jan Peter fächert ein Panorama der deutschen Wende auf, das weit über diese - im ersten Teil eher kriminalistisch hinterfragte - Tat hinausgeht und beleuchtet dabei auch kritisch die Rolle Rohwedders und der Treuhandanstalt.

Neben Treuhand-Mitarbeitern und anderen aus dem Umfeld Rohwedders kommen viele weitere Zeitzeugen zu Wort. Die ehemalige DDR-Wirtschaftsministerin Christa Luft erzählt von der Zeit der Wende und den versteinerten Mienen in der Kohl-Regierung, als sie in Bonn vergeblich um einen Kredit bat. Peter-Michael Diestel, letzter Innenminister der DDR, ist ebenso zu sehen wie Ex-Hausbesetzer Freke Over. Zwei Mitglieder der sogenannten zweiten Generation der RAF, Lutz Taufer und die für zehn Jahre in der DDR untergetauchte Silke Maier-Witt geben Auskunft über die RAF. Zahlreiche Politiker, unter anderem Ex-Bundesfinanzminister Theo Waigel, und diverse Sicherheitsbeamte von Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt sprechen über Rohwedder und den Anschlag.

Rohwedder galt in Sicherheitskreisen als eine der gefährdetsten Personen der Bundesrepublik, weshalb er einen speziellen Status erhielt, wie Rainer Hofmeyer betont, früher Leiter der Terrorismusbekämpfung beim BKA. Nur wurden damit verbundene Sicherheitsanforderungen (unter anderem Panzerglas für alle Fenster von Rohwedders Wohnhaus) vom zuständigen LKA in Düsseldorf nicht umgesetzt. Die Frage, ob die Sicherheitsbehörden einfach ihre Arbeit schlecht gemacht hatten oder es ein Informationsleck gab, wird mehrfach aufgeworfen.

Aber die Dokumentation spielt auch Theorien über mögliche andere Täter und Szenarien durch. Denn ob wirklich die sogenannte dritte Generation der RAF für den Mord verantwortlich war oder ob womöglich die Stasi oder auch andere geheimdienstliche Kräfte hinter dieser Tat standen, wird Stück für Stück bearbeitet.

Das passiert in Form von nachgestellten Doku-Fiktion-Elementen, in denen die möglichen Varianten mit Schauspielern durchgespielt werden. Mal kommen die RAF-Täter, die ziemlich hipstermäßig aussehen, auf Enduros angedonnert, um dann von einem Schrebergarten aus den Treuhand-Chef zu erschießen. In einer immer wiederkehrenden Szene erreicht ein Mann mit Sturmhaube und in einer Art DDR-Uniform im Schlauchboot über den Rhein das Nachbargrundstück, um von dort aus mit dem Präzisionsgewehr Rohwedder zu ermorden. Oder ein militärisch aussehender Schütze mit übergeworfenem Tarnnetz gibt den Todesschuss ab, und hinterher kommt ein ganzes Tatort-Reinigungskommando, um die Spuren, die wir heute kennen, sorgsam zu legen: Handtuch, Fernglas, Zigarettenkippen, Bekennerschreiben und ein Haar von Wolfgang Grams.

Quasi als Kronzeuge jener Theorie, die die Stasi hinter dem Mord sieht und darin ein »Racheattentat« ausmacht, tritt der Ex-BND-Mitarbeiter und ehemalige Verfassungsschützer Klaus-Dieter Matschke auf. Oder war es ein »tiefer Staat«, der die Unzufriedenheit der Menschen im Osten mundtot machen wollte? Diese für viele verschwörungstheoretisch klingende These vertritt der frühere Leiter der Abteilung Staatsschutz für die ostdeutschen Bundesländer, Rechtsextremismus-Experte und »Exit Deutschland«-Gründer, Bernd Wagner. Wobei er die These, dass es sich hier um einen Killer gehandelt haben könnte, der im Auftrag »westlicher Machtinteressensträger« handelte, durchaus vorsichtig und keineswegs platt formuliert.

Wer hatte ein Interesse am Tod Rohwedders? Diese Frage zieht sich als roter Faden durch die Dokumentation, die auch die sozialpolitische Dimension der Treuhand nicht ausspart. Wobei es hier nicht um die Skandale der Treuhand geht. Auch wird die Abwicklung der DDR-Volkswirtschaft nicht dezidiert kapitalismuskritisch analysiert. Die Dokumentation fängt eher eine gefühlige Stimmung gegen diesen Prozess ein, wenn Passanten recht ungeschminkt Vorbehalte, Ängste und Abscheu gegen die brutale Zerschlagung jahrzehntelang gewachsener Strukturen zum Ausdruck bringen.

Die Wiedervereinigung und die damit einhergehende nationalistische Fahnenschwenkerei wird ebenfalls kritisch in Szene gesetzt. So sind auch Bilder der »Deutschland halt’s Maul«-Demo am Abend des 3. Oktober 1990 zu sehen, als Tausende zum Teil militant gegen Wiedervereinigung und Nationalismus auf die Straße gingen und die West-Berliner Polizei »das erste Mal in Ost-Berlin die Sau rausgelassen hat«, wie es Freke Over beschreibt. Insofern fällt die Doku weit weniger staatstragend aus, als man das angesichts des 30. Jahrestages der Wiedervereinigung erwarten würde.

Die Dokumentation spürt auch der Person Rohwedder nach. Wer war dieser Mann, der in den 80er Jahren als Hoechst-Manager mit massiven Sanierungen unzählige Arbeitsplätze abgebaut hatte und dann für die Bonner Regierung in Ost-Berlin den real existierenden Sozialismus ökonomisch in die Knie zwang? Oder war Rohwedder gar nicht der Hardliner? Immerhin nahm die Privatisierung der DDR-Betriebe unter seiner Nachfolgerin Birgit Breuel erst richtig Fahrt auf, wie ein Mitarbeiter der Treuhand betont. Und immer wieder geht es um das vierseitige Bekennerschreiben der RAF, um dessen Authentizität schon damals auch in der linken Szene gestritten wurde. »Diese Erklärung, die ist glaube ich das Beste, was die RAF je geschrieben hat«, kommentiert Lutz Taufer den Text, der sich von anderen Schreiben der RAF unterscheidet und sich stellenweise wie ein linksradikaler Feuilletonartikel liest, in dem sogar Ronald M. Schernikau zitiert wird. Klare Antworten gibt die Dokumentation keine, sie wirft vielmehr jede Menge Fragen auf, ohne etwas essenziell Neues beizutragen. Zumindest bietet sie einige durchaus interessante Blicke auf den Wiedervereinigungsprozess.

»Rohwedder« auf Netflix

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