Auszeichnung als Botschaft

Chemie-Nobelpreis an Entdeckerinnen von Crispr/Cas9

  • Steffen Schmidt
  • Lesedauer: 5 Min.

Den diesjährigen Chemie-Nobelpreis kann man auch als Botschaft sehen. Der Preis geht an die in Berlin arbeitende Emmanuelle Charpentier (Frankreich) sowie an Jennifer A. Doudna (USA) für die Entwicklung einer Genschere zur gezielten Erbgut-Veränderung. Das Crispr/Cas9-Verfahren habe die molekularen Lebenswissenschaften revolutioniert, trage zu innovativen Krebstherapien bei und könne den Traum von der Heilung von Erbkrankheiten wahr werden lassen, teilte die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften in Stockholm zur Begründung mit. Es ist der erste Naturwissenschafts-Nobelpreis, den sich ausschließlich Frauen teilen. In der Chemie gab es zuvor überhaupt erst fünf Preisträgerinnen.

Ein Vergleich mit dem Chemie-Nobelpreis von 1944 für Otto Hahn ist in mehrfacher Hinsicht interessant. Zum einen wurde der brillante Chemiker Hahn allein ausgezeichnet, der an Arbeiten beteiligte Chemiker Fritz Straßmann und die vor den Nazis nach Schweden geflüchtete Physikerin Lise Meitner gingen leer aus. Auch hatten bzw. haben beide Entdeckungen - die Kernspaltung ebenso wie die präzisen Genscheren des Crispr-Systems - das Zeug zur grundlegenden Weltveränderung. Hahn scheint die dunkle Seite seiner Entdeckung erst nach dem Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki erkannt zu haben, während Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna schon frühzeitig vor der Janusköpfigkeit ihrer Entdeckung warnten.

Patentstreit um Verfahren

Und auch hier gab es weitere Wissenschaftler, die die Ehrung verdient hätten, bei der Preisverleihung aber unberücksichtigt blieben: zum einen der Litauer Virginijus Šikšnys, der den gleichen Mechanismus entdeckt hatte wie Doudna und Charpentier, allerdings das Pech hatte, dass sein Artikel vom Fachjournal »Cell« abgelehnt wurde und deshalb erst nach dem »Science«-Artikel von Doudna/Charpentier in den »Proceedings« der Nationalen Akademie der Wissenschaften der USA (»PNAS«) erschien. Und zum anderen die beiden US-Genetiker George Church und Feng Zhang, die einige Monate nach der Entdeckung der Genschere zeigten, dass diese auch in menschlichen Zellen funktioniert, und das sofort zum Patent anmeldeten. So kann man die Preisvergabe auch als Ansage in dem Patentstreit mit Church und Zhang verstehen. Dieser Patentstreit ebenso wie das äußerst umstrittene Experiment des chinesischen Forschers He Jiankui, das Erbgut mehrerer Babys zu verändern, mag einer der Gründe dafür sein, dass der Preis erst jetzt kommt. Denn spätestens seit 2016 - als die Fachzeitschrift »Science« Crispr/Cas zum »Durchbruch des Jahres« kürte, wurden Charpentier und Doudna als heiße Kandidaten sowohl für den Medizin- als auch Chemie-Nobelpreis gehandelt.

In der Begründung der Preisvergabe schreibt das Komitee, die Genschere sei eine »unerwartete Entdeckung mit atemberaubendem Potenzial«, und der Generalsekretär der Königlich-Schwedischen Akademie der Wissenschaften, Göran Hansson benennt Crispr/Cas9 als »elegantes System, als schärfstes und genauestes Werkzeug der Gentechnik«. Und so ist der Preis wohl auch eine Botschaft an Gentechnik-Kritiker, die prompt reagierten. So schreibt der Biologe Christoph Then vom Verein Testbiotech: »Das ist ein Nobelpreis für die Büchse der Pandora. Die Zukunft des Lebens auf diesem Planeten hängt ganz wesentlich davon ab, ob wir es schaffen, den Anwendungen dieser neuen Gentechnik klare Grenzen zu setzen. Wir müssen verhindern, dass das Erbgut von Mensch, Tier und Pflanzen zum Spielball von Profitinteressen und technischer Hybris wird.«

Das war dem Komitee bei seiner Auswahl durchaus bewusst. »Wie jede mächtige Technologie muss auch diese Genschere reguliert werden«, heißt es in den Erläuterungen zum Nobelpreis. Das sieht auch Charpentier so: »Wir brauchen eine verstärkte Debatte und internationale Regularien zu den potenziellen Risiken von Crispr/Cas9 als Gen-Editing-Technik«, sagte sie 2018. »Als Wissenschaftler tragen wir auch eine gewisse Verantwortung: Wir müssen sicherstellen, dass es für jede potenzielle Therapie am Menschen angemessene Sicherheits- und Effizienz-Maßnahmen gibt, und dass jede ethisch fragwürdige Nutzung dieser Technik verboten wird.«

Das Crispr/Cas-System ist ein biologischer Mechanismus, den schon die ältesten Bakterien und Archaeen nutzen, um sich gegen Viren zu verteidigen. Dass es sich dabei um ein Abwehrsystem dieser Organismen handelt, wurde erst 2007 entdeckt. Zuvor galten die zuständigen Gene im Erbgut als nutzloser Schrott. Viren - im Falle der Bakterien sogenannte Bakteriophagen - bringen bei einer Infektion ihr Erbgut in die Wirtszelle ein und programmieren sie um zu einer Fabrik, die neue Viren herstellt. Dagegen wehrt sich das Bakterium, indem es feindliches Erbmaterial zerstört, bevor neue Viren gebildet werden. Die Einzeller besitzen dafür spezielle Werkzeuge. Eines davon hört auf den sperrigen Namen Crispr - Clustered Regulatory Interspaced Short Palindromic Repeats: Aneinandergereihte Palindrome, die immer wieder durch unterschiedlich kurze DNA-Stücke unterbrochen werden. Das sind Relikte eines Virusangriffs, den das Bakterium überlebt hat. Das Bakterium speichert diese Fragmente als genetischen Fingerabdruck des Angreifers zwischen den Crispr-Sequenzen ab. Wenn die gleichen Viren das Bakterium angreifen, werden passende RNA-Moleküle zu dieser Virus-DNA produziert. Diese Fingerabdruck-RNA lagert sich an das die Virus-DNA an, und das Enzym namens Cas9 zerschneidet die Virus-DNA an dieser Stelle. Für das Virus ist das tödlich. Höhere Organismen allerdings besitzen DNA-Reparaturmechanismen, die solche Strangbrüche - die auch durch Strahlung oder Chemikalien ausgelöst werden können - wieder zusammenflicken.

Universelle Genschere

Dieser Mechanismus funktioniert bei allen Zellen - Hefen, Pflanzen, Tieren und auch beim Menschen. Soll eine bestimmte DNA-Abfolge aus dem Erbgut entfernt werden, so muss man ein RNA-Molekül mit der passenden Sequenz herstellen. Kommt diese Guide-RNA in die Zielzelle, findet sie die gewünschte Schnittstelle, woraufhin das angekoppelte Protein Cas den Erbgutstrang an dieser Stelle zerschneidet. Im einfachsten Fall kann so ein Gen entfernt werden. Bringt man mit der Gen-Schere zugleich eine Art Kopiervorlage in die Zelle, kann auch deren Erbinformation an der geschnittenen Stelle eingefügt werden.

Dieses sogenannten Genome Editing, also das Entfernen, Einfügen und Verändern von DNA, avancierte nach der Veröffentlichung von Charpentier und Doudna schnell zum Favoriten der Gentechniker, da es weitaus einfacher, schneller und präziser ist als bisherige gentechnische Verfahren, die eher dem Schießen mit der Schrotflinte ähnelten.

Charpentier leitet derzeit in Berlin die Max-Planck-Forschungsstelle für die Wissenschaft der Pathogene. Trotz ihrer gentechnischen Pionierarbeit ist sie ihrem eigentlichen Forschungsschwerpunkt treu geblieben, den bakteriellen Krankheitserregern und ihrer Abwehr. Doudna hingegen gründete mehrere auf ihrer gemeinsamen Entdeckung basierte Biotechnologie-Unternehmen.

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