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  • Beilage zur Buchmesse Frankfurt Main

Blicke hinter Höckes Kulissen

Eva Kienholz analysiert die völkischen Nationalisten

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Mit Büchern über Nazis, Kameradschaften, die Neue Rechte und Rechtsterroristen ließe sich längst eine komplette Bibliothek füllen. Auch für die AfD bräuchte es darin einige Regalmeter. Ihr rasanter Aufstieg wie auch das Erstarken reaktionärer Kräfte weltweit beschäftigen die Gesellschaft. Der Bedarf an Analysen, Beschreibungen und Erklärungsversuchen ist groß.

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Eva Kienholz: Ihr Kampf. Wie Höcke & Co. die AfD radikalisieren.
Das Neue Berlin, 160 S., br., 16 €.

Vor einem Problem stehen vermutlich alle Autoren, die sich mit der AfD auseinandersetzen: So beständig das ideologische Fundament der extrem rechten Partei ist, so austauschbar und wechselnd ist ihr Personal. Bernd Lucke? Frauke Petry? André Poggenburg? Wer waren die doch gleich? Einige einst herausstechende Köpfe der Partei verschwanden innerhalb kürzester Zeit in der politischen Bedeutungslosigkeit. Das macht es nicht gerade leicht, Netzwerke innerhalb der AfD so zu beleuchten, dass die Informationen zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung nicht schon wieder veraltet sind.

Auch die Journalistin Eva Kienholz stand für das Buch »Ihr Kampf« vor dieser Herausforderung. Sie setzt sich mit einer politischen Strömung auseinander, die von vielen Beobachtern in den Anfangsjahren der AfD in ihrer schon damals vorhandenen Dominanz zunächst unterschätzt wurde: die völkischen Nationalisten. Lange Zeit unter der Bezeichnung »Flügel« organisiert, hat sich die Gruppierung, bei der es nicht einmal Mitgliederlisten gab, vergangenes Frühjahr aufgelöst, wenngleich die Netzwerke informell wenig überraschend fortbestehen.

Kienholz liefert einen Überblick zu den wichtigsten Akteuren des Ex-»Flügels«. Björn Höcke als Posterboy der Völkischen fehlt dabei ebenso wenig wie Götz Kubitschek, der, außerhalb der Partei stehend, schon viele Jahre über strategische und ideologische Fragen innerhalb der Neuen Rechten sinniert, lange bevor es die AfD gab. Auch Andreas Kalbitz, aktuell kein Parteimitglied, aber dennoch weiter wirkend, widmet Kienholz ein eigenes Kapitel.

Die dargelegten Fakten, Zusammenhänge und Schlussfolgerungen sind allesamt nicht neu. Wer sich bereits länger und intensiver mit der Neuen Rechten beschäftigt, wird bei der Lektüre keinen Aha-Moment erleben. Die Stärke dieses Buches liegt denn auch darin, für den Einstieg in die Materie einen Überblick zu Entstehung, Entwicklung und Vernetzung der völkischen Kräfte innerhalb der AfD zu liefern. So läuft man nicht Gefahr, sich durch die anfangs erwähnten Regalmeter arbeiten zu müssen und sich dabei in abschreckend wirkenden Details zu verheddern.

Genau dies vermeidet Kienholz geschickt. »Ihr Kampf« liefert eine Zusammenfassung zu sieben Jahren AfD, die inhaltlich rafft, aber nicht verkürzt, zudem sprachlich schnörkellos, weshalb die Lektüre kein Studium der Politikwissenschaft voraussetzt. Das ist deshalb hervorzuheben, weil die AfD uns vor Fragen stellt, auf die nur die gesamte Gesellschaft Antworten finden kann. Dafür ist es notwendig, zu verstehen, warum der Ex-»Flügel« zu jener bestimmenden Kraft wurde, die er ist.

Kienholz liefert dazu eine aufschlussreiche Perspektive in Form mehrerer Reportagen. Der Journalistin gelang es, an einem Fest des »Flügels« in Binz auf Rügen teilzunehmen, wie auch am »Neuen Hambacher Fest«, bei dem sich die extreme Rechte in- und außerhalb der AfD versammelte. Beide Veranstaltungen fanden 2019 statt. Kienholz war inkognito dabei, weil Presse bei dieser Art Event nicht gern gesehen ist. Der Grund ist simpel: Während Parteitage auch immer eine Inszenierung für die Öffentlichkeit darstellen, sollen Veranstaltungen wie das »Flügelfest« die Bewegung nach innen stärken. Entsprechend treten Teilnehmer anders auf, weil sie nicht permanent damit rechnen, in den Abendnachrichten zu landen. Kienholz bekam Einblick in eine Welt, die eigentlich nicht für die Öffentlichkeit gedacht ist. Die Autorin bezeichnet die Veranstaltung auf Rügen als ein Klassentreffen. Höcke wurde dort von einem Besucher halb scherzhaft mit Hitler verglichen. Die Schilderungen in diesem Buch sind so atmosphärisch, dass sofort klar wird, warum die extreme Rechte niemals unterschätzt werden darf.

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