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Die Coronakrise als Bretton-Woods-Moment
Die weltweite Staatsverschuldung wächst, doch es braucht zusätzliche Konjunkturprogramme. Davon könnten auch IWF und Weltbank profitieren
Die Coronakrise überschattet das Treffen des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbankgruppe in dieser Woche. Wie bereits beim Frühjahrsmeeting im April findet auch die Jahrestagung fast ausschließlich digital statt. Das ist gut für die CO2-Bilanz der Megaveranstaltung, zu der früher Tausende Teilnehmer aus allen möglichen Ländern anreisten. Das Treffen der Lenkungsausschüsse der beiden internationalen Finanzinstitutionen, das am Donnerstag und Freitag stattfindet, wird ja auch von Beratungen der einschlägigen Staatengruppen garniert, die ihre Positionen dabei abstimmen.
Doch die Entscheidungsfreudigkeit wird durch die virtuelle Ausrichtung offenbar nicht gefördert. So konnte sich die Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) lediglich auf eine Verlängerung des Schuldenmoratoriums für die allerärmsten Staaten um sechs Monate einigen. Und das zum Ärger von Weltbankchef David Malpass, der schon vor dem Treffen vor wachsender Ungleichheit und einem starken Anstieg der Armut warnte.
In einem weiteren wichtigen Punkt gibt es nicht einmal eine Minieinigung: Eigentlich wollte die G20 jetzt die Eckpunkte einer länderübergreifenden Besteuerung der großen Digitalkonzerne beschließen. Diese werden wirtschaftlich immer wichtiger, doch dank ihres Geschäftsmodells gelingt es ihnen, sich der Besteuerung weitgehend zu entziehen. Die US-Regierung unter Donald Trump, die sich schützend vor »ihre« Konzerne stellt, bremste die Pläne aber erst einmal bis zur Präsidentschaftswahl aus. Neuer Fahrplan: Einigung bis Juni 2021.
Dabei würden die Einnahmen aus einer solchen Steuer vielerorts dringend benötigt werden: Die Anti-Corona-Maßnahmen lassen wegen der weltweit sinkender Wirtschaftsleistung - die revidierte IWF-Schätzung für 2020: minus 4,4 Prozent - die Staatseinnahmen fallen, während gleichzeitig die Ausgaben für Konjunkturprogramme steigen. Der Währungsfonds geht in einer am Mittwoch veröffentlichten Analyse davon aus, dass die Neuverschuldung in diesem Jahr um neun Prozent des weltweiten Bruttoinlandsproduktes steigen wird. Die globale Staatsverschuldung dürfte am Jahresende fast 100 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung betragen. Die finanzielle Wirkung der Coronakrise beziffert der IWF auf 11,7 Billionen US-Dollar.
Fondsdirektorin Kristalina Georgiewa setzt derweil darauf, dass die Folgen der Pandemie auch zur Stärkung ihrer Institution durch die Mitgliedstaaten führen werden. Es ist absehbar, dass demnächst auch größere Schwellenländer oder gar Industriestaaten um Finanzhilfen beim IWF ersuchen werden. Dutzende Entwicklungsländer hatten bereits angefragt, Kredite in Höhe von 100 Milliarden Dollar sind zugesagt worden. Von einem »neuen Bretton-Woods-Moment« sprach Georgiewa bei ihrer Eröffnungsrede am Donnerstag in Anspielung an das Gründungstreffen von IWF und Weltbank 1944. »Beim Fonds arbeiten wir unermüdlich daran, eine dauerhafte Erholung zu unterstützen.« Sie äußerte sich aber nicht zu der Kritik, dass die Auflagen für Kreditprogramme immer noch oft zulasten sozialstaatlicher Maßnahmen gehen. Die IWF-Direktorin will Schwerpunkte in den Bereichen Klimawandel, Digitalisierung und Wissensgesellschaft setzen.
Der Schwesterinstitution Weltbank will angesichts der starken Zunahme extremster Armut vor allem in Südasien und Subsahara-Afrika den Schwerpunkt auf Armutsbekämpfung setzen. Im Rahmen eines neuen Programmes sollen rund zwölf Milliarden Dollar für Coronatests und -impfungen in armen Staaten bereitgestellt werden, die bei der Verteilung der ersten verfügbaren Impfstoffe im kommenden Jahr leer auszugehen drohen. Auch beim Klimaschutz will die Weltbank ihnen helfen, doch die Realität sieht zuweilen anders aus: Rund 10,5 Milliarden Dollar habe sie seit 2015 in neue Projekte für fossile Brennstoffe gesteckt, kritisiert die Umweltorganisation Urgewald.
In Sachen Corona ist die Botschaft der IWF-Weltbank-Jahrestagung indes eindeutig: Das entschlossene Eingreifen der Staaten habe geholfen, »Leben und Existenzen zu retten und eine Finanzkatastrophe zu verhindern«, erklärte IWF-Chefökonomin Gita Gopinath. Trotz steigender Schulden sei weitere fiskalische Unterstützung notwendig, denn die wirtschaftliche Erholung werde »langwierig, holprig und hoch unsicher«.
Dem wird bei der Tagung wohl kein Teilnehmer widersprechen. Bei früheren IWF-Weltbank-Treffen gab es heftigen Streit zwischen Regierungen darüber, ob die Konjunkturstärkung wirtschaftspolitisch im Vordergrund stehen solle oder, wie es vor allem deutsche Vertreter forderten, der Schuldenabbau. Diesmal dürfte Einigkeit bestehen - zumindest in dieser Frage.
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