Mitsprache der Parlamente gefordert

Nach dem Bund-Länder-Treffen zur Strategie gegen Corona stehen nicht nur die Beschlüsse in der Kritik. Auch die fehlende Beteiligung der Legislative wird moniert

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder wollte einen »großen Wurf«, die Beratungen zwischen Kanzlerin Angela Merkel und den Ministerpräsidenten fanden erstmals seit Monaten ob der »historischen Dimension« nicht im virtuellen, sondern ganz realen Raum des Kanzleramtes statt und die Mahnungen der Wissenschaft waren eindeutig - und doch: Am Tag danach herrschte vor allem Unzufriedenheit mit den Ergebnissen.

Maskenpflicht, private Feiern, Kontaktbeschränkungen, Sperrstunden, Veranstaltungen: In diesen Punkten konnten sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten am Mittwoch in einer achtstündigen Beratung auf ein einheitliches Vorgehen in der Coronakrise einigen. Beim im Vorfeld umstrittensten Thema allerdings, den Beherbergungsverboten, wurde kein Ergebnis erzielt. Darüber soll erneut am 8. November beraten werden.

Bei der Maskenpflicht und privaten Feiern einigten sich die Beteiligten der Bund-Länder-Runde auf eine Verschärfung der Maßnahmen bei Erreichen von 35 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen. Masken sollen dann auch überall da getragen werden, wo Menschen dichter beziehungsweise länger zusammenkommen. Die Teilnehmerzahlen bei privaten Feiern sollen auf 25 im öffentlichen und 15 im privaten Raum begrenzt werden. Ab 50 Neuinfektionen sollen es maximal zehn Teilnehmer im öffentlichen und höchstens zehn Teilnehmer aus zwei Hausständen im privaten Raum sein.

Auch bei Kontaktbeschränkungen, einer Sperrstunde und Veranstaltungen gilt die 50er-Grenze. Beim Übersteigen dürfen sich künftig nur noch maximal zehn Personen im öffentlichen Raum treffen und sollten die Anti-Corona-Maßnahmen zunächst keine Wirkung zeigen, gilt eine Begrenzung auf bis zu fünf Personen oder die Angehörigen zweier Hausstände. Für die Gastronomie soll eine Sperrstunde ab 23 Uhr gelten, Bars sowie Clubs sollen ganz geschlossen werden. Und bei Veranstaltungen wird die Teilnehmerzahl auf 100 Personen begrenzt, Ausnahmen müssen mit dem zuständigen Gesundheitsamt abgestimmt werden.

An diesen Beschlüssen, aber auch an ihrem Zustandekommen gab es am Donnerstag Kritik. »Dass die Infektionszahlen weiter ansteigen werden, ist absehbar, dennoch schaffen es Bund und Länder trotz Notlage nicht, an einem Strang zu ziehen«, erklärte etwa Achim Kessler, gesundheitspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag. »Die aktionistische Willkür von unterschiedlichen, teils unwirksamen Maßnahmen wie Beherbergungsverbote oder Sperrstunden bei gleicher Infektionslage ist jedoch Wasser auf die Mühlen derjenigen, die die Corona-Maßnahmen an sich ablehnen.«

Generell fordert Kessler, dass nicht nur Bundes- und Landesregierungen entscheiden: »Wir brauchen eine systematische Einbeziehung demokratischer Institutionen sowie fachlicher Expertise. Dafür muss das Parlament an der Diskussion der Corona-Maßnahmen beteiligt werden und über die Leitlinien entscheiden.« Zudem sei ein wissenschaftliches Beratergremium notwendig, das »interdisziplinär Gesundheitsschutz, soziale Absicherung und den Schutz von Grund- und Freiheitsrechten im Blick behält und den bisherigen Schlingerkurs bei Bedarf korrigiert«.

Auch FDP-Chef Christian Lindner fordert, nicht länger die Parlamente zu umgehen. Dafür seien die Lage und die Entscheidungen zu ernst, sagte er am Donnerstag. »Die Regierungen entscheiden allein über weitgehende Beschneidungen der Freiheit. Eine Debatte findet im Parlament zuvor nicht mehr statt. Der Deutsche Bundestag ist in eine Beobachterrolle geraten. In Grundrechte darf aber nur durch das Parlament eingegriffen werden.«

Die rechtspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Katja Keul, kritisierte, dass sich Bund und Länder nicht auf ein einheitliches Vorgehen beim Thema Beherbergungsverbot einigen konnten. »Eine Vertagung dieser Entscheidung scheint mir in Anbetracht der aktuellen Infektionsentwicklung eher unklug«, sagte sie dem »Handelsblatt«.

Auch Kanzleramtschef Helge Braun hielt mit seiner Unzufriedenheit nicht hinterm Berg. Im ARD-»Morgenmagazin« erklärte er, die Entscheidungen seien zwar ein »wichtiger Schritt, aber sie werden vermutlich nicht ausreichen«. Deshalb komme es jetzt auf die Bevölkerung an. Es solle jeder »nicht nur gucken, was darf ich jetzt, sondern wir müssen im Grunde genommen alle mehr machen und vorsichtiger sein als das, was die Ministerpräsidenten gestern beschlossen haben«. Mit Agenturen

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