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Auf der Geistermesse

Von zu Hause aus betrachtet: die Frankfurter Buchmesse im Krisenjahr 2020

  • René Hamann
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Beste am Leben sind ja die Pausen. Die Frankfurter Buchmesse hat sich diese Pause nicht gegönnt, im Gegenteil. Eine Zeit lang sah es sogar so aus, als ob sie auf Corona komm raus nicht von ihrem »physischen« Auftritt als weltgrößte Buchmesse lassen wollte. Am Ende verlegte sie sich vernunftgesteuert dann doch ins Digitale. Die zweite Welle sah auch aus der Entfernung, die der Sommer noch bot, allzu bedrohlich aus. Und ein Superspreaderevent wollte die Buchmesse auch nicht sein.

Also fand sie im Netz statt. Einerseits. Andererseits gab es eine große leerstehende Halle, die kurzerhand zum Fernsehstudio verwandelt wurde, und deren Atmosphäre zum Aufzeichnen und Livestreamen allemal gut genug war. Also wurde der tatsächlich üppige Netzauftritt mit allerlei Livestreams flankiert, und etwas mehr als der halbe Betrieb doch in die Stadt Frankfurt am Main gekarrt. Schließlich gab es auch immer noch Gelder zu verteilen.

Der Literaturbetrieb, insbesondere der in Deutschland, ist also nicht nackt im Angesicht der pandemischen Umstände, er weiß sich zu helfen, auch in dieser ungewöhnlichen Lage. Die alten Institutionen werden weiter bedient, es werden Zugtickets und Hotelzimmer gestellt, die Atmosphäre ist eben die Atmosphäre, der Ball muss rollen, die Show weitergehen, im Fußball geht das doch auch. Und warum auch nicht. Also sieht man sie statt durch einen Wald aus Köpfen eben im Netz auf dem »Blauen Sofa« sitzen, die Moderatoren und Moderatorinnen, Autoren und Autorinnen, und was nicht auf dem farbigen Sitzmöbel Platz findet, weicht auf das »Bookfest digital« aus, das in zwei »Studios«, also zwei Kanäle unterteilt ist, in den »Weltempfang« oder auf die »ARD-Buchmessenbühne«, Zweitverwertung garantiert.

Von zu Hause aus betrachtet war das alles höchst aufschlussreich. So konnte man sich den Klickterror bei Anmeldung auf der Startseite der Buchmesse weitgehend schenken, und auf der Rolle des Zusehenden auf dem grauen Sofa zu Hause hocken bleiben. Die Buchmesse digital war frei und umsonst. Man konnte lustig durch die Kanäle switchen, um sich einerseits einen Gesamteindruck zu verschaffen, andererseits sich nicht allzu sehr langweilen zu lassen, das war fast schon so wie bei der physischen Messe, nur, dass man sich eben nicht bewegen musste und sonst auch niemanden traf, trotz des Startseitenangebots eines »Matchmaking«, so einer Art Buchmessenbesucher-Tinder.

Die Streams waren gut und ruckelfrei, die Studios bestens ausgeleuchtet, die Moderatorinnen und Moderatoren vorbereitet, die Autoren und Autorinnen professionell eingestellt. Das Angebot war reichhaltig; es gab viel Literatur-Mainstream und genug Randständiges, wenn auch beinahe nichts, was man als Anti-Establishment missverstehen hätte können. Es gab Gesichter, die immer wieder auftauchten, weswegen ihnen schnell was Vertrautes anhing - und die gute Auflösung bot Raum für genauere Betrachtung.

Die Buchmessenhalle verströmte einen Sound, dessen Hall beinah an die Geisterspiele der Bundesliga erinnerte. Der Bildhintergrund war meist ausgesucht formschön und digital blau, fast wie bei der Tagesschau. Und die via Zoom zugeschalteten Daheimgebliebenen offenbarten die sympathischen Schwächen unprofessioneller Einrichtung - schiefe, vollgestopfte Bücherregale, aufgeräumte, fast klinisch wirkende Wohnzimmer; dann, besonders aus ferneren Gegenden, auch mal lustige Gegenprogramme: Plastikstühle in geschmacklos eingerichteten Wohnzimmern, auf denen Autoren mit ihren an die Wand gehängten Flachbildschirmen kommunizierten.

Aber auch in diesen Livestreams waren die Pausen das Beste: Die Momente, in denen beispielsweise Ulrike Draesner und ein Moderator sich gegenseitig auslächelnd schweigend gegenüber saßen, weil sie kurz noch ihr eigenes Lichtdouble spielen mussten, bevor es losgehen konnte. Aufgeregte Aufnahmeleiter, deren O-Töne nicht abgeschaltet waren (»Ich kann die Leiter auch stehen lassen«).

Auch über den immer etwas devoten, dabei gern zickigen Literaturjournalismus konnte man einiges lernen. Wie oft kann nach der Wichtigkeit des ersten Satzes beim Romanschreiben gefragt werden? Wie oft nach dem Prinzip Hoffnung in Zeiten von Corona? Wie bildungsbeflissen blöd kann mit Referenzen verschleiert werden, dass man auch nicht viel mehr als diese beiden Fragen auf dem Zettel hat? Selbst Margret Atwood, mittlerweile eine ältere Dame mit Silberpudelfrisur, musste zuerst über Vögel (zumindest die bei Emily Dickinson) und Hoffnung (über die ja Dickinson in ihrem Gedicht ... und so weiter) sprechen. Und dann erst über die anstehenden Wahlen in den USA.

Überhaupt Donald Trump und Joe Biden, die Wahlen vom 4. November: Kaum ein Slot, in dem nicht darüber geredet wurde. Corona und die Hoffnung und die Wahlen in den USA. War nicht Kanada das eigentliche Gastland? Egal. Greta Thunberg und die Cancel Culture gab es auch. Das war nicht uninteressant, im Gegenteil, aber ein wenig so wie die Talkshows im Fernsehen. Bloß etwas avancierter.

Vermisst wurde natürlich auch. Das Gewusel, die Betriebsamkeit, der Kontakt, vermutlich auch der Alkohol, die langen Nächte, und das Krankmachende einer echten Messe im echten Leben.

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