Klima: Keine Rolle rückwärts zulassen!

Kolumne: Corona hat die Erderwärmung auf der politischen Prioritätenliste nach unten rücken lassen, kritisiert Alexander Ulrich

  • Alexander Ulrich
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Corona-Pandemie hat die Klimakrise aus der öffentlichen Debatte verdrängt. Dabei sind die beiden Phänomene eng miteinander verknüpft: Seit Jahrzehnten kommt es immer häufiger zu Übertragungen infektiöser Viren von Wildtieren auf den Menschen. Es besteht kein Zweifel, dass eine der wichtigsten Ursachen für diese Entwicklung die Entwaldung des Planeten ist, da den Tieren dadurch ihre natürlichen Lebensräume genommen werden und sie immer häufiger mit Menschen in Kontakt kommen. Die Entwaldung wiederum ist auch einer der zentralen Faktoren der Erderwärmung. Dies ist nur ein Beispiel dafür, wie eng die Klimakrise und die Corona-Pandemie miteinander verwoben sind.

Doch nicht nur in der Entstehung hängen die beiden Menschheitsprobleme eng zusammen, sondern auch bezüglich der Möglichkeiten gegenzusteuern. Die Klimakrise wird oft als ein Problem der Zukunft betrachtet, entsprechend setzen sich die Regierungen gern Fernziele, etwa für 2030 oder 2050. In der Gegenwart passiert stets wenig. Die Corona-Pandemie hingegen kam plötzlich und wird als Gegenwartsproblem wahrgenommen. Die Politik reagiert daher im Hier und Jetzt. Dabei gibt es vieles an der Krisenpolitik der Bundesregierung und der EU zu kritisieren. Was sich aber klar zeigt: Noch immer sind wir als Gesellschaft in der Lage, auf große Probleme schnell mit großen Antworten zu reagieren. Wer hätte vor einem Jahr etwa geglaubt, dass die EU-Staaten gemeinsame Schulden aufnehmen würden, die Staaten massiv Unternehmensanteile kaufen und sogar in Deutschland »schwarze Null« und Schuldenbremse fast über Nacht außer Kraft gesetzt werden können? Wenn so weitreichende Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie ergriffen werden, dann muss das auch im Kampf gegen die letztlich wesentlich bedrohlichere Klimakrise möglich sein. Die Zeit der Ausreden ist vorbei!

Doch Corona hat die Erderwärmung nicht nur aus der öffentlichen Debatte verdrängt. Auch auf der politischen Prioritätenliste rückt sie weit nach unten. Das Argument: Jetzt muss so viel Geld ausgegeben werden, um die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu begrenzen, da müssen die Klimaschutzinvestitionen eben warten. So ein Quatsch! Die Investitionen zur Stützung der Wirtschaft müssen genutzt werden, den längst überfälligen sozial-ökologischen Umbau der europäischen Wirtschaft voranzutreiben!

Es ist daher vollkommen unverständlich, warum die EU-Institutionen nun ihren eigenen »Green Deal« gerade dort aufweichen, wo Zukunftsinvestitionen ermöglicht würden - nämlich beim »Just Transition Fonds«, mit dem besonders hart von den Umbrüchen betroffene Regionen gestützt werden sollen. So wurden die ursprünglich vorgesehenen Mittel für diesen Fonds zuletzt von ohnehin knapp bemessenen 40 Milliarden auf 17,5 Milliarden Euro mehr als halbiert - und zwar unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft. Die Bundesregierung trägt für die klimapolitische Rückwärtsrolle der Staatengemeinschaft daher eine zentrale Verantwortung.

Dass ausgerechnet beim »Just Transition Fonds« gekürzt wird, stellt den gesamten ökologischen Umbau infrage. Dieser kann nur gelingen, wenn er sozial ausgewogen über die Bühne geht. Andernfalls wird die Klimapolitik auf enorme Widerstände stoßen, blockiert werden und auf der politischen Ebene viele Verlierer in die Arme rechter Rattenfänger treiben. Die deutsche Ratspräsidentschaft muss daher dringend den Kurs ändern und dafür sorgen, dass die gegenwärtigen Investitionen vor allem in den sozial-ökologischen Umbau fließen und die strukturellen Veränderungen mit großem Augenmerk auf das Soziale konzipiert werden.

Die Mittel des Fonds müssen unbedingt wieder auf mindestens 40 Milliarden Euro aufgestockt werden - die aus dem gemeinsamen EU-Haushalt zu stemmen sind und nicht aus dem Wiederaufbaufonds oder durch sonstige Taschenspielertricks, bei denen die Gelder nur von einem Topf in den anderen gebucht werden, ohne dass sich viel ändert. Darüber hinaus muss unbedingt das so genannte Partnerschaftsprinzip gewahrt werden: Gewerkschaften, Beschäftigte, Umweltverbände und andere Interessensgruppen vor Ort müssen eng in die Planungen für einen gerechten Übergang eingebunden werden. Anders wird dieser nicht funktionieren.

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