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Die Ausweitung der Demokratie
Der PKK-Mitbegründer Abdullah Öcalan bekräftigt in seinem neuen Buch die Abkehr von staatlichen Strukturen
Worum geht es in Öcalans neuem Buch »Soziologie der Freiheit«?
Die zentrale These der gesamten Reihe ist, dass die Hauptachse der gesellschaftlichen Widersprüche zwischen der staatlichen Zivilisation und allen, die dagegen stehen, verläuft. Klassenkämpfe sind davon nur ein Teil. Der dritte Band analysiert die Probleme des 21. Jahrhunderts in zwölf Bereichen und schlägt für jeden dieser Bereiche eigene Lösungen vor. Deren Grundlage ist die Überwindung von Machtmonopolen und Staaten. Es sollen selbstbestimmte, demokratische Strukturen aufgebaut werden, die alle gesellschaftlichen Bereiche auf allen Ebenen umfassen. Hinzu kommt eine Analyse der gegenwärtigen systemoppositionellen Kräfte, darunter auch die sozialistische Bewegung mit ihren Stärken und Schwächen.
Was ist Öcalans Kritik am Sozialismus?
Nach einer ausführlichen Würdigung des jahrelangen Kampfes für den Sozialismus ist sein Hauptkritikpunkt die Rolle, die die Sozialisten dem Staat zugedacht haben. Für Öcalan steht die Idee, wonach der Staat als Instrument zur Befreiung genutzt werden könne, im Widerspruch zur Natur dieses Apparats. Statt der Übernahme muss eine Alternative zum Staat aufgebaut werden. Darin steckt sowohl eine Kritik an den ehemaligen Positionen der PKK, an nationalen Befreiungsbewegungen, als auch an der Sozialdemokratie.
Wie ist es möglich, die Idee einer demokratischen Gesellschaft gegen autoritäre Staaten durchzusetzen und zu verteidigen?
Das Konzept ist ein anderes als das der revolutionären Machtergreifung. Es geht vielmehr um eine Ausweitung des demokratischen Bereichs und ein Zurückdrängen des vorhandenen Staates. Vor allem spielt dabei die Organisierung aller gesellschaftlichen Bereiche eine Rolle. Diese Errungenschaften müssen zur Not eben auch bewaffnet verteidigt werden. Obwohl wir hier praktisch über Kurdistan sprechen, ist das Konzept nicht an ethnische Vorstellungen geknüpft. Das Ziel ist letztendlich ein globales, konföderales System. Der Erfolg dieser Idee in Form der HDP (Demokratische Partei der Völker) führte ab 2015 dazu, dass die türkische Regierung alle Verhandlungen mit der PKK beendete und wieder zu massiver Repression überging.
Wie wird das Buch innerhalb der kurdischen Bewegung besprochen? Welche Möglichkeiten der Debatte mit dem Autor der Kritik an ihm gibt es?
In der Bewegung wird das Werk von allen Kadern gelesen und breit diskutiert. Das hängt auch mit dem Inhalt des Buches zusammen, in dem kein festes politisches Programm oder eine zu erreichende Utopie vorgegeben sind, sondern vielmehr die aktuelle und historische Lage der Bewegung analysiert wird. Mit dem Autor selbst ist jedoch keine Diskussion möglich, da alle Kommunikationskanäle geschlossen sind. Die Bücher können auch nur erscheinen, weil sie Eingaben bei Gericht sind.
Gibt es Aspekte des Buches, die besonders für die linke Bewegung in Deutschland relevant sind?
Zum einen ist es die Kritik am akademischen Betrieb und der Organisierung der Wissenschaft. Das Problem darin sieht Öcalan an der Nähe des Wissenschaftsbetriebs zu den staatlichen und finanziellen Machtmonopolen, in Folge derer sich Wissenschaft von gesellschaftlich relevanten Fragestellungen entfernt. Er schlägt vor, innerhalb der Bewegung eigene Akademien aufzubauen um sich selbst bisher ausgegrenzte Themen wieder anzueignen.
Zum anderen ist es die grundlegende Feststellung, dass das Patriarchat alle anderen Herrschaftsverhältnisse durchzieht. Das Verschieben der Frauenbefreiung auf die Zeit nach der Revolution, wie es andere linke Gruppen oft getan haben, lehnt Öcalan ab.Generell wichtig für Europa ist auch die Diagnose, dass durch die kapitalistische Moderne die Gesellschaftlichkeit als solche aufgelöst wurde, was Öcalan als »Soziozid« benennt. Durch die Individualisierung werde die Fähigkeit von Menschen zerstört, sich gesellschaftlich zu organisieren. Dies sieht man aus dem Nahen Osten mit einem klareren Blick, als wir hier selbst es sehen können.
Die kurdische Diaspora kündigt an, ab Oktober ihre Aktionen rund um die Forderung nach einer Freilassung Öcalans zu intensivieren. Wie würde eine tatsächliche Freilassung die Politik der Türkei verändern?
Öcalan will ganz konsequent die Position des Friedenstifters einnehmen, ohne jedoch die Klassenwidersprüche zu ignorieren. Der gesamte Nahe Osten würde eine wichtige Führungsperson gewinnen, für eine demokratische und sozialistische Veränderung der ganzen Region.
Wie kann man in Deutschland die Forderung nach Öcalans Freilassung unterstützen?
Die Repressionen gegen die kurdische Bewegung nimmt eine spezielle Rolle in der staatlichen Repressionspolitik in Deutschland ein. Anhand von migrantischen Gemeinden werden in Deutschland Maßnahmen normalisiert, die man als Linke nicht akzeptieren kann. Es ist deshalb letztendlich auch ein Kampf für demokratische Rechte in Deutschland, dies zurückzudrängen. Unter dem Motto »Der Hauptfeind steht im eigenen Land« muss man sich bewusst darüber werden, was die Rolle des deutschen Imperialismus ist und letztendlich auch hier die Forderung nach der Freilassung aufnehmen. Es ist nicht nur die Beziehung zur Türkei, die einem Sorge bereiten sollte - sondern allgemein die deutschen Beziehungen zu Diktaturen weltweit.
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