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»Das ist Sklaverei«
Amnesty International veröffentlicht Bericht zur Situation von Arbeitsmigrantinnen in Katar
Sie kommen auf der Suche nach einer besseren Zukunft für sich und ihre Familien, die sie mit ihrem Einkommen unterstützen. So zumindest die Hoffnung. Um in den reichen Golfstaaten arbeiten zu können, zahlen manche sogar Tausende US-Dollar an sogenannte Vermittlungsagenturen in Indien, Bangladesch oder in Philippinen. Alleine in Katar leben und arbeiten laut Zahlen der Menschenrechtsorganisation Amnesty International 173 000 ausländische Haushaltskräfte. Wie die Lebensrealität dieser Menschen aussieht, zeigt der neue Bericht der Menschenrechtsorganisation.
Insgesamt 105 im kleinen Golfstaat Katar lebende und arbeitende Frauen wurden dafür zu ihrem Alltag befragt. Das Ergebnis ist erschreckend: Fast 85 Prozent gaben an, noch nie einen freien Tag während der gesamten Dauer ihres Arbeitsverhältnisses gehabt zu haben. 83 Prozent wurde der Pass bei der Einreise entzogen - ein beliebtes Druckmittel, um die Arbeitskräfte zu absolutem Gehorsam zu zwingen. 86 Prozent gaben an, täglich mehr als 14 Stunden zu arbeiten; die Hälfte von ihnen sogar mehr als 18. Von den 105 Frauen gaben 23 an, nicht ausreichend mit Essen versorgt zu werden. 47 berichteten von verbaler und körperlicher Misshandlung. Fünf gaben an, sie seien sexuell belästigt oder gar vergewaltigt worden.
Rechtlich dagegen vorzugehen, ist quasi unmöglich. Das Arbeitsrecht in Katar, aber auch in den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain, dem Oman und Saudi-Arabien ist maßgeblich von einem Bürgschaftssystem geprägt, Kafala genannt. Darin ist etwa vorgeschrieben, dass ausländische Arbeitskräfte einen Bürgen haben müssen, auch Kafil oder Sponsor genannt. Im Regelfall ist dies der Arbeitgeber. Ohne diesen erhält man keine Einreiseerlaubnis oder Arbeitsgenehmigung; ohne seine Erlaubnis darf man die Arbeitsstelle nicht wechseln. Dieses Bürgschaftssystem gilt nicht nur für Haushaltskräfte, sondern auch etwa bei Bauarbeitern, Taxifahrern oder Angestellten im akademischen und medizinischen Bereich. Jedoch leiden vor allem Arbeitskräfte aus Afrika, Indien, Pakistan, Bangladesch und Südostasien schwer darunter.
Denn in den Golfstaaten lebt die dort Jahrhunderte alte Praxis der Sklaverei durch das Kafalasystem, aber auch innerhalb der Gesellschaft weiter. Der letzte offizielle Sklavenmarkt wurde erst in den 1950er Jahren geschlossen. Er befand sich in der Stadt Buraimi im Oman. Trotzdem werden Menschen aus ärmeren Regionen der Welt und vor allem jene mit dunklerer Haut bis heute als Untertanen angesehen und auch so behandelt.
Dass sich in naher Zukunft die Situation zugunsten der Arbeitenden bessert, ist deshalb höchst unwahrscheinlich. Bereits 2020 wurden Teile des Kafalasystems in Katar reformiert, bis vor kurzem durfte man in Katar nicht einmal ohne dessen Genehmigung das Land verlassen. Doch damit wird sich noch lange nicht das gesellschaftliche Selbstverständnis der Kataris ändern. »Die Bürgen folgen keinen Regeln. Sie machen ihre eigenen Gesetze«, wird im Amnesty-Bericht eine Frau namens Sheila zitiert. Sie selbst habe über ein Jahr lang jeden Tag 14 Stunden arbeiten müssen, ohne einen einzigen freien Tag. Danach habe man ihr lediglich zwei Monatslöhne ausgezahlt und ihr vorgeworfen, Sachen aus dem Haus entwendet zu haben. Auf ihre Bitte den Arbeitsplatz wechseln zu können, wurde eine Zahlung von knapp unter 1400 US-Dollar verlangt. »Das ist Sklaverei«, so Sheila. Laut dem Amnesty-Bericht floh sie vor ihrem Bürgen, der sie daraufhin wegen Flucht und Diebstahl anzeigte. Derweil wartet sie in der Hauptstadt Katars, Doha, auf das Gerichtsurteil.
Im Jahr 2022 soll in Katar die Fußball-WM ausgetragen werden. Bereits in den vergangenen Jahren hatte es vermehrt Kritik am Umgang des Golfstaats mit den dortigen Gastarbeitern gegeben. Bislang ist es jedoch von internationaler Seite bei leeren Drohungen und von katarischer Seite aus bei leeren Reformversprechungen geblieben. Daran dürfte sich wenig ändern, denn das derzeit reichste Land der Welt ist ein wichtiger Geschäftspartner für den Westen, aber auch für viele asiatische und afrikanische Länder.
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