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Autogerecht und grün zugleich
Klima- und Denkmalschutz bei neugestalteter Karl-Marx-Allee vereint
Im Nieselregen freut sich Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) am Montagmorgen, »diesen wichtigen Abschnitt der Magistrale nach vielen Jahren des Planens, des Diskutierens und 28 Monaten des Bauens der Stadt im neuen Gewande« übergeben zu können. Sie steht vor dem Café Moskau, es geht um die 800 Meter der Karl-Marx-Allee zwischen Strausberger und Alexanderplatz.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Ende 2019 hatte die Verwaltung von Regine Günther die Pläne für die Neugestaltung der Allee noch einmal umgeschmissen. Statt Parkplätzen auf dem zehn Meter breiten Mittelstreifen sollte nun ein Blühstreifen dort angelegt werden. Klimawandel und Mobilitätsgesetz erforderten dies. Anwohner waren erbost, Kultursenator Klaus Lederer (Linke) fürchtete um Denkmalschutzbelange und den beabsichtigten Weltkulturerbe-Status, der unter dem Titel »Doppeltes Berlin« gemeinsam mit dem Hansaviertel die Stadt gewordene Ost-West-Konfrontation in der Nachkriegsmoderne dokumentieren soll. Und Bezirks-Baustadtrat Ephraim Gothe (SPD) erklärte damals, dass der Bezirk die »Übergehung der Bürgerinteressen in diesem Stadium des Bauens« ausdrücklich infrage stelle.
Vergangene Zeiten. Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) nennt den bis zu vier Meter breiten Radfahrstreifen eine »Radbahn«. »Man kann überholen, ohne dass man sich und andere dabei gefährden oder sich als Rowdy fühlen muss«, erklärt er freudig und lobt den »sehr schnellen Belag«, wie man unter Rennradlern so sage.
»Ein beeindruckendes Ergebnis und auch das Ergebnis einer langwierigen und teilweise schwierigen Diskussion«, nennt der für den Denkmalschutz zuständige Staatssekretär Gerry Woop (Linke) die gefundene Lösung. Zwischen Café Moskau und dem Kino International ist der Mittelstreifen gepflastert worden, damit könne die »Ursprungsgestaltung der Straße erlebbar« gehalten werden. Auch am Alex und am Strausberger Platz wurden Platten auf der Verkehrsinsel verlegt, allerdings mit breiten Fugen und auf grobem Schotter gebettet, damit auch dort Regenwasser versickern kann. Denkmalschutz heiße nicht nur, »das als schön und gut Angesehene zu erhalten«, sagt Woop. Die Allee sei nun mal vom »Leitbild der autogerechten Stadt geprägt«.
Das scheinbar Unmögliche möglich gemacht haben die Beschäftigten der Verkehrs- und Umweltverwaltung. »Wir haben schlaflose Nächte gehabt«, sagt Heike Brummer, eine der Planerinnen, zu »nd«, und führt zu den vielen Gestaltungsdetails, in die sie offensichtlich viel Herzblut gesteckt hat. In den noch vorhandenen Hochbeeten wurden für die 1950er Jahre typischen Stauden gepflanzt. »Das war eine ganz schöne Arbeit, die Pflanzen so auszuwählen, damit sie fast das ganze Jahr blühen«, sagt Brummer. Sie zeigt auf die an den Straßenrändern wieder gepflanzten Buchsbaumhecken und den Metallzaun, der sich in deren Mitte befindet. »Damit die nicht gleich wieder niedergetrampelt werden.« Und auf die Laternen, die Nachbauten der Originalmodelle sind, nun allerdings in LED-Technik. Trotz des ganzen Aufwands sind die Maßnahmen im Kostenrahmen von 13,2 Millionen Euro geblieben. Die zahlreichen freien Parkplätze am Straßenrand deuten darauf hin, dass auch die Anwohner weiter ausreichend Stellplätze finden.
»Schön, dass die Umgestaltung der Karl-Marx-Allee endlich mal fertig geworden ist«, sagt Stefan Lehmkühler von der Initiative Stadt für Menschen. Angetan ist er ebenfalls von den entsiegelten Flächen, auf denen nun Regenwasser versickern kann. »So etwas wünsche ich mir auch bald auf der Leipziger Straße«, erklärt er. Im Februar ist er bei den Grünen eingetreten, um ihnen in der Verkehrspolitik Beine zu machen. Inzwischen ist er in Mitte als Direktkandidat für die Abgeordnetenhauswahl nominiert.
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