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Das Streben nach Würde

Eine Ausstellung in Dortmund nimmt die Roma-Baukultur in den Fokus

  • Stefanie Roenneke
  • Lesedauer: 4 Min.

Wen es in die Dortmunder Nordstadt verschlägt, oder wer eher zufällig dort landet, dem wird in der Schleswiger Straße ein Haus auffallen, das im starken Kontrast steht zu den anderen Gebäuden des als »Problemviertel« bekannten Stadtteils. Es hat eine mit geometrischen Formen gestaltete Fassade, die in Grün und Lila leuchtet. Auffallend sind zudem vier Embleme, die an das Versace-Logo erinnern. Ein silberiges Vordach grenzt das Erdgeschoss ab. Die Fassade wurde im September 2019 von der Werkstatt Mallinckrodtstraße umgestaltet: ein kollaboratives Kunstprojekt, das seit 2016 auf Einladung von Interkultur Ruhr besteht. Das Haus in der Schleswiger Straße ist eine Referenz an die Roma-Baukultur, die in den letzten 30 Jahren unter anderem in Rumänien entstanden ist.

Diese Gebäude, die für den Architekturhistoriker Rudolf Gräf zu den »spektakulärsten und einmaligen Entwicklungen im postkommunistischen Rumänien« gehören, sind geprägt von ausdrucksstarken Fassaden und dem Zusammenfließen verschiedener Gestaltungsformen in der Architektur. Typisch sind zudem Kuppeln, Burgzinnen oder silbrig schimmernde Zwiebeldächer. Es sind wahre Paläste, die mal an eine protzige Villa in Dallas oder an eine kitschige Version einer großbürgerlichen Residenz erinnern. Modelle dieser (Traum-)Häuser wurden ebenfalls in der Werkstatt Mallinckrodtstraße gefertigt - mit etwa 30 Akteur*innen aus der Roma-Community und zusammen mit den Künstlern Christoph Wachter und Mathias Jud. Als im Juni 2019 Inke Arns, Direktorin des HMKV (Hartware MedienKunstVerein), die Werkstatt besuchte, war für sie klar: »Wir holen das Projekt in das Dortmunder U, in den kulturellen Leuchtturm der Stadt, und machen das Projekt einer größeren und anderen Öffentlichkeit zugänglich.«

In den Räumen des HMKV sind bis Ende März kommenden Jahres nun in der Ausstellung »Faţadă/Fassade« 17 Häuser zu sehen, teilweise in großzügiger Puppenstubengröße, aber auch als raumhohe Modelle. Dazu gehört auch das Modell des Hauses in der Schleswiger Straße. Hier zeigt sich zudem, was dort nicht realisiert werden konnte: die pagodenhaften Dachaufbauten.

Zusätzlich wird im Laufe der Ausstellung die »innere Membran« des Dortmunder U von der Werkstattgruppe gestaltet, wodurch wieder eine Brücke zur Schleswiger Straße geschlagen wird. Der Eingangsbereich zu den Räumen des HMKV beeindrucken bereits durch opulente Muster, die von Versace- und Ferrari-Logos gerahmt werden.

Da der HMKV dafür bekannt ist, Ausstellungen als eine Einladung für einen Diskurs zu verstehen, werden mit »Faţadă/Fassade« die Bauten nicht nur vorgestellt, sondern im sozialen, politischen und ökonomischen Kontext der Roma-Gemeinschaften diskutiert. Zwar spielen Aspekte wie der Einfluss der Post-Internet-Ästhetik und architektonische Elemente ebenfalls eine Rolle, doch im Zentrum steht die Frage nach Repräsentation. Roma-Gemeinschaften gehören - wegen der seit dem Mittelalter erfahrenen unterschiedlichen Formen von Rassismus, Versklavung, Ausrottung und kultureller Kolonisierung - immer noch zu den am meisten von Rassismus und Marginalisierung betroffenen gesellschaftlichen Gruppen in Europa, die das ethnische Stigma zudem teilweise verinnerlicht haben und es zum Bestandteil eines kollektiven Modells gemacht haben. Die Ausstellung wie auch das Haus in der Nordstadt sollen daher ein »positives Zeichen setzen«, wie Fabian Saavedra-Lara von Interkultur Ruhr anmerkt. Und auch Künstler Mathias Jud betont, dass ein Gegennarrativ zu rassistischen Stereotypen entwickelt werden soll. Ob das in der Community ankommt? Die Künstler Cernat Siminoc (Roger) und Stefan Raul von der Werkstatt Mallinckrodtstraße erzählen, dass sie sehr glücklich darüber seien, mitmachen zu können und dass man stolz auf sie sei.

Die gezeigten Hausmodelle stehen folglich für den Versuch der Entstigmatisierung und (Re-)Konstruktion des ethnischen Selbstwertgefühls und der Anerkennung in der Gesellschaft - und das geht selbstredend deutlicher mit einem Palast und Markenästhetik statt mit moderner Sachlichkeit. Darüber hinaus lohnt es sich, neben dem spannenden Gesamteindruck die Geschichte zu jedem Modell zu erfahren, hinter die Fassade zu blicken, die als eine Art Interface zwischen innen und außen agiert. So gleicht das Modell eines real existierenden Hauses einem Justizgebäude: Es ist ein Kommentar des Bauherren zu dem korrupten Rechtssystem in Rumänien. Ein anderes verweist auf einen Rohbau, der in Timişoara stand und im Verlauf der Vorbereitungen zum Kulturhauptstadtjahr 2021 abgerissen wurde. Zwischen den opulenten Bauten fällt außerdem ein schlichtes Haus auf: Es ist ein Modell, das in Verbindung steht zu dem rumänischen Staatsbürger, der bei dem rassistischen Anschlag in Hanau getötet wurde.

»Faţadă/Fassade«: bis 21. März 2021, Hartware MedienKunstVerein (HMKV ), 3. Ebene im U, Leonie-Reygers-Terrasse, Dortmund

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