Unheimliche Wiedergänger

Florian Huber über die »Erfindung« des rechten Terrors in der Weimarer Republik und Parallelen zur Gegenwart

  • Manfred Weißbecker
  • Lesedauer: 5 Min.

Was wurde nicht schon alles über rechten Terrorismus geschrieben! Auch dass er »erfunden« worden sei, ist nicht neu. Dies bekundete vor vier Jahren die Historikerin Carola Dietze, ihn forsch mit dem Auftauchen der Eisenbahn in der europäisch-amerikanischen Welt des 19. Jahrhunderts vergleichend und als »Produkt der Moderne« darstellend. Lang ist die Liste der Publikationen über die Geschichte wie auch Gegenwart rechten Terrors. Wer auf die aktuell sich häufenden Untaten rechtsextremer Täter schaut, gleich ob mit Abscheu und Entsetzen oder Neugier und Verständnissuche, dessen Blick schweift unweigerlich zurück auf das mörderische Geschehen nach dem Ersten Weltkrieg. Damals gingen rechte, vor allem paramilitärische Organisationen mit militanter Intoleranz und brutaler Aktionsbereitschaft gegen jene Kräften vor, die um eine sozialere Gesellschaft und friedliche Verhältnisse der Menschheit rangen. Gegner der Novemberrevolution und Verlierer des Weltkrieges sannen sofort auf Rache, um alte Ziele deutscher Großmachtpläne neu zu erreichen, mit welchen Mitteln auch immer.

Begrüßenswert erscheint daher das Anliegen des Historikers Florian Huber, die damaligen politischen Morde in ein (allerdings nicht näher erläutertes) 100-jähriges »Zeitalter des Rechtsterrors« einzuordnen. Er untersucht die Untaten vor allem der »Organisation Consul«, die in den frühen 1920er Jahren nahezu 25 000 Mitglieder erfasste, und stellt Parallelen zu heute fest, beispielsweise zum NSU. Er spricht von einer Wiederkehr terroristischer Denkweisen, Sprachfiguren und Feindbilder. Seine Schlussfolgerung: »Wenn sich Geschichte wiederholt, dann in den Strukturen, Milieus und Mentalitäten, die in den letzten hundert Jahren nie mehr verschwunden und jederzeit möglich sind.« Wiederkehren würde zudem die »Gewöhnung an das Skandalöse«.

Sein Rückblick gilt einer Handvoll Männer, die ihm als »Erfinder« rechten Terrors gelten: Hermann Ehrhardt, Manfred von Killinger, Friedrich Wilhelm Heinz, Erwin Kern, Ernst von Salomon, die Brüder Tillesen und andere. Menschen, die »ihre Heimat verloren glaubten und in ihrer Zeit kein Lebensziel fanden, die sich überflüssig fühlten und aus ihrer inneren Leere heraus dem ›System‹ den Krieg erklärten«, urteilt Huber. Mit zerstörerischer Energie hätten sie sowohl Revolutionäre als auch Vertreter und Unterstützer der Weimarer Republik bekämpft, zudem »Verräter« aus den eigenen Reihen hingerichtet. Verstehen wollten sie sich selbst als »wahre« oder »letzte Deutsche«, als notwendige Verteidiger von Heimat und Wiederhersteller traditioneller Macht. Sie glaubten berechtigt zu sein, nach dem verlorenen Krieg nun Bürgerkrieg gegen jene führen zu müssen, deren »Dolchstoß« in den Rücken des eigentlich siegreiche Heeres die Niederlage 1918 herbeigeführt habe. Sie rechtfertigten nicht nur die Gewalt im Krieg, sondern priesen auch den Bürgerkrieg als notwendige »Gewalt in höchster Potenz«. All dies leitet Huber aus Selbstzeugnissen, Programmen und späteren Rechtfertigungsschriften ab.

In der Tat: Jenen zumeist jüngeren Männern, die im Grunde nichts anderes als das Kriegshandwerk kannten, hatte die Kriegsniederlage weitgehend soziale Existenzgrundlage und Statussicherheit entzogen. Sozial entwurzelte Offiziere, von Arbeitslosigkeit bedrohte Soldaten, Teile der Studentenschaft, Monarchisten, stockreaktionäre Abenteurer und Landsknechte feuerten mit überschäumendem Hass den Krieg im Inneren an, bereit zum »Kampf bis aufs Messer«, den beispielsweise der gemeinsam mit dem Königsberger »Generallandschaftsdirektor« Wolfgang Kapp putschende General Walther von Lüttwitz im März 1920 forderte. Der einflussreiche Großindustrielle Hugo Stinnes hatte wenige Wochen vorher erklärt, es sei »das Zeichen einer wahren Demokratie, dass sie in Zeiten der Todesgefahr ihren Diktator findet ... Wenn Deutschland anders handelt in der heutigen Lebensgefahr, wird es kaum wieder hochkommen«. Von der Reichsregierung forderte Stinnes: »Es muss gehandelt, nicht verhandelt werden.« Aus todbringendem Handeln und dem Streben nach »Rache«, gemeint als ein neuer Waffengang, erwuchs rechter Terror und damit eine der Grundlagen des deutschen Faschismus. Vor diesem Hintergrund bietet Huber zwei spannend ineinander verwobene Erzählstränge an: Der eine, überwiegend biografisch angelegt, schildert die Erlebnis- und Gedankenwelt derer, die politische Morde planten, befahlen oder ausübten. Der andere verfolgt Leben und Wirken von Walther Rathenau bis hin zum mörderischen Attentat auf den jüdischen Industriellen und um Versöhnung mit den einstigen Kriegsgegnern bemühten Reichsaußenminister am 24. Juni 1922.

Allen neun Kapiteln des Buches vorangestellt sind enthüllende Zitate aus Reden und Schriften heutiger Rechtsextremisten. Huber zeigt zudem Parallelitäten von damals und heute in Bildseiten, die zum Beispiel auf der einen Seite den deutschnationalen Antisemiten und Putschisten Hermann Ehrhardt, auf der anderen den rechtsradikalen norwegischen Massenmörder Anders Breivik zeigen, oder ein Freikorps und die bundesdeutsche Wehrsportgruppe Hoffmann. Der bekannten Warnung des deutschen Zentrumspolitikers Joseph Wirth »Der Feind steht rechts« von 1922 stellt der Autor fast wortgleiche Aussagen gegenwärtiger Politiker gegenüber - kommentarlos. Huber verweist zudem auf eine weitere Parallele: Habe zu Weimarer Zeiten schon der Prozess gegen die Rathenau-Mörder offenbart, dass keineswegs verwirrte »Einzeltäter« die Demokratie bedrohen, tut sich die deutsche Justiz noch heute schwer bei der Suche nach Netzwerken und Strukturen.

Dies alles zu erhellen, darf als Verdienst dieses Buches angesehen werden. Es regt zu weiteren Analysen geschichtlicher Prozesse an, zu kaum untersuchten Wechselwirkungen zwischen Tätern und offizieller Politik, zwischen individuellen Motiven und den Interessen jener, denen diese letztlich dienten. Anregend ebenso, den rechten Terror militärischer Kreise im Gleichklang mit dem Aufkommen des deutschen Faschismus zu sehen. Bereits in den frühen 1920er Jahren gab es ein explosives Gemisch aus völkisch-nationalistischem Antisemitismus, alldeutsch-rassistischer Selbstüberhebung, diktatorischen Herrschaftsplänen und aggressiven Revisionswünschen der Ergebnisse des Weltkrieges und der Revolution. Aus diesem Sammelbecken formierte sich die spezielle deutsche Art des europäischen Faschismus, die sich dann ihren täuschungsvollen Namen gab. Insofern ist gegen die Aussage des Autors Einspruch zu erheben, der Rechtsterror sei vor dem »Nationalsozialismus« entstanden. Und die These, die damaligen terroristischen Aktionen seien von der deutschen Öffentlichkeit nahezu vergessen worden, offenbart einen begrenzten Blick westdeutsch geprägter Historiographie: DDR-Autoren wie Kurt Finker, Kurt Gossweiler, Erwin Könnemann, Joachim Petzold oder auch das vierbändige Lexikon zur Geschichte bürgerlicher Parteien und Verbände kamen Huber offenbar nicht in den Sinn.

Florian Huber: Rache der Verlierer. Die Erfindung des Rechtsterrors in Deutschland. Berlin Verlag, 287 S., geb., 24 €.

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