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Iwanischwili träumt weiter
Opposition wirft Regierungspartei »Georgischer Traum« Wahlfälschung vor
Das offizielle Ergebnis der Wahlen in Georgien sorgt für Aufregung. Für den 8. November hat die Opposition zu Massenkundgebungen aufgerufen, mit denen die Proteste von Sonntag auf eine neue Stufe gehoben werden sollen. Laut vorläufigem Wahlergebnis hat die Regierungspartei »Georgischer Traum« 48,2 Prozent aller Stimmen geholt und ist klarer Sieger. Zweitstärkste Kraft wurde mit 27,1 Prozent die größte Oppositionspartei »Vereinte Nationalen Bewegung« (UNM), gefolgt von der Partei »Europäisches Georgien« mit 3,8 Prozent. Außerdem haben fünf weitere Parteien den Sprung ins Parlament geschafft. Die Wahlbeteiligung lag bei 56,1 Prozent.
Schon kurz, nachdem die Wahllokale am Samstagabend geschlossen hatten, verkündete der Multimilliardär Bidsina Iwanischwili den Wahlsieg. Iwanischwili ist Gründer und Vorsitzender der Partei »Georgischer Traum«, die bereits die Parlamentswahlen 2012 und 2016 für sich entscheiden konnte. »Georgien hat eine würdige Wahl getroffen und der von mir gegründete «Georgische Traum» ist ein würdiger Traum«, sagte Iwanischwili vor seinen Anhängern in Tiflis.
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Die Opposition meint, dass es keine würdige Wahl war. Allen voran die von Micheil Saakaschwili gegründete »Vereinte Nationalen Bewegung«. »Das war keine Wahl, das war ein Krieg. Wir haben diesen Krieg nicht verloren«, sagte UNM-Mitglied Nika Melia laut georgischen Medien. Seine Parteikollegin Tina Bokuchava wird mit den Worten zitiert: »Wenn die Regierung sich weigert, Neuwahlen abzuhalten, muss sich die Opposition weigern, am Parlamentsleben teilzunehmen, weil dies ein Parlament sein wird, das durch gefälschte Wahlen besetzt wurde.«
Die UNM profitiert trotz der vielen Skandale um Saakaschwili immer noch von ihrem Ruf als Reformpartei. Der Ex-Präsident wurde in seinem Heimatland zu zwei Haftstrafen verurteilt. Ihm wurde auch die georgische Staatsbürgerschaft entzogen. Derzeit lebt er in der Ukraine. Dort und in anderen Ex-Sowjetrepubliken ist Georgien aufgrund des vergleichsweise demokratischen Systems und der geringen Alltagskorruption für viele ein Vorbild. Auch in der Corona-Pandemie hatte das Land lange eine Vorreiterrolle inne. Wegen strikter Maßnahmen wie Ausgangssperren kamen auf die etwas mehr als 3,7 Millionen Einwohner bis Anfang September 1500 Infektionen und 19 Todesfälle. Dann gab die Regierung nach und lockerte die Regeln. Mit schwerwiegenden Folgen: Bis zum Wahltag waren knapp 39 000 Menschen an Corona erkrankt, 307 sind daran gestorben.
Internationale Wahlbeobachter konnten am Wochenende keine gravierenden Verstöße feststellen. Sie kritisierten allerdings, dass die Grenze zwischen Staat und Regierungspartei im Wahlkampf verschwommen und Wähler eingeschüchtert worden seien. Auch die EU begrüßte, dass es einen gesunden Parteienwettbewerb gegeben habe. Die Regierungspartei hatte vor den Wahlen versprochen, 2024 eine Beitrittsanfrage an Brüssel zu schicken. Damit befriedigt sie den Wunsch nach einer Annäherung an die EU und Nato, den laut Umfragen die Mehrheit der Georgier hegt. Vor allem die Jugend sehnt sich nach Westen. Sie feierte, als die EU dem Schwarzmeerstaat vor drei Jahren die lang ersehnte Visafreiheit zugestand. Gleichzeitig betreibt der »Georgische Traum« eine Schaukelpolitik zwischen Brüssel und Moskau. Russland kontrolliert seit dem Augustkrieg 2008 immerhin ein Fünftel des georgischen Staatsgebiets. Tiflis hat jeglichen Zugriff auf die De-facto-Staaten Abchasien und Südossetien verloren. Trotzdem hat sich das Land in den vergangenen Jahren immer mehr für Touristen und Investoren aus Russland geöffnet.
Die Opposition will verhindern, dass Iwanischwilis Partei weiter die Mehrheit im Parlament hat. Neben der UNM haben auch andere Parteien angekündigt, die Parlamentsarbeit und die Stichwahlen zu boykottieren, die in einigen Wahlkreisen ausstehen. Kommentar Seite 8
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