Instagram in nackt und bezahlt

Im Netzwerk OnlyFans können anzügliche Bilder kostenpflichtig geteilt werden. Wie kann es sein, dass Menschen, die sich gegen Sexualisierung wehren, dort aktiv sind?

  • Lena Fiedler
  • Lesedauer: 7 Min.

Ein Foto im Bikini hat genügt, um die erste Morddrohung zu kassieren - per Mail. Sie gehöre umgebracht, verdiene nicht zu leben. Maike K., 20 Jahre alt, hatte das Bild auf Insta-gram hochgeladen, ohne sich viel dabei zu denken. Das war vor etwa drei Jahren. Damals dachte K. noch, so eine Morddrohung sei normal für eine Frau, die sich im Internet bewegt. Sie dachte, das wäre der Deal: Als Frau muss man Aufmerksamkeit mit einem dicken Fell bezahlen. Schließlich gehörten sexistische Beleidigungen zum Alltag der Frauen, denen Maike K. auf der Gaming-Plattform Twitch folgte, ohne dass diese groß darüber gesprochen hätten, erinnert sie sich. Als sie selbst anfing, sich beim Spielen per Video zu streamen, schickten ihr Freunde Screenshots aus WhatsApp-Gruppen, in denen Leute aus der Twitch-Community ihre Fotos posten und kommentieren. »Sobald du eine Vagina hast, kommen die dummen Kommentare«, sagt K. Egal, wie sie aussehe, oder was sie trage, ihr Auftreten im Internet werde sexualisiert.

Obwohl sie diese Sexualisierung stört, hat sie seit etwa zwei Monaten einen Account auf OnlyFans, eine Plattform, auf der Videos und Fotos verkauft werden können. Im Gegensatz zu anderen sozialen Netzwerken wird Nacktheit dort aber nicht gelöscht oder zensiert, sondern gefördert. Die Anbieter*innen verdienen mit Bildern und Videos ihrer Körper Geld. Aber sie leisten Sexarbeit für eine Plattform, die mit Etiketten wie Feminismus oder Selbstbestimmung versuchen, den Einstieg ins Geschäft für Nicht-Sexarbeiter*innen so niedrigschwellig wie möglich zu gestalten. Maike K.s Fans können für 19,99 Dollar (etwa 16,85 Euro) pro Monat Videos und Fotos von ihr anschauen. Ihr Profil dort kann man sich wie eine Facebook-Seite vorstellen, ein Fotobanner (Maike K. in schwarzer Unterwäsche auf einem Bett), ein Profilbild (Maike K. im Nachthemd) und darunter ein Produktversprechen: »Ich teile hier täglich alles von süß, heiß, unzüchtig, bis zum Soft-Akt.« Wie kann es sein, dass eine Frau, die sich gegen Sexualisierung ausspricht, sexy Fotos verkauft? Ist sie damit nicht Teil eines Mechanismus, der Frauen zu Objekten erklärt? Wie kann es überhaupt sein, dass Nutzer*innen für nackte Haut bezahlen, obwohl Nudes und Pornos im Internet millionenfach und kostenfrei zur Verfügung stehen?

OnlyFans ist die nicht-jugendfreie Erweiterung der sozialen Medien. Weil die Plattform keine Startseite mit Profilvorschlägen hat, eignet sie sich vor allem für Anbieter*innen, die bereits eine Reichweite mitbringen. Über die Swipe-Up-Funktion können beispielsweise Instagramer in einer Story auf die unzensierte Variante ihres Contents verweisen. Ein reizvolles Angebot für Menschen, die schon häufiger fantasiert haben, wie ihre Lieblingsblogger*innen wohl nackt aussehen. Warum auf OnlyFans im Gegensatz zu Instagram und Facebook Nippel und Penisse erlaubt sind, liegt auch am Gründer Tim Stokely, der im Gegensatz zu Mark Zuckerberg nicht aus den USA kommt, sondern aus Großbritannien und kein Problem damit hat, Geld mit nackter Haut zu verdienen. Laut eigenen Angaben hat OnlyFans zurzeit mehr als 25 Millionen registrierte Nutzer*innen weltweit, von denen etwa 500 000 kostenpflichtige Inhalte anbieten. Rund 4000 Anbieter*innen kommen aus Deutschland, eine von ihnen ist Maike.

OnlyFans hat für sie als Witz auf Twitter angefangen, erzählt sie. Zwei Monate später ist aus der Schnapsidee eine Möglichkeit geworden, mit der Maike ihre Ausbildung zur Grafikdesignerin finanzieren kann. Von den 19,99 Dollar, die Maike K. für ein Abo nimmt, gehen 20 Prozent an die Plattform. Das Geschäftsmodell von OnlyFans erinnert an andere Unternehmen aus der Gig-Economy, wie Uber, Deliveroo oder Urban Sports: Das Unternehmen stellt eine Infrastruktur, die selbstständigen Anbieter*innen liefern den Inhalt, seien es Taxifahrten, Mahlzeiten, Sporteinheiten oder eben Bezahl-Content.

Mario Adrion hat vor etwa zwei Jahren in New York das erste Mal von OnlyFans gehört. Ein befreundetes Model, der ein Apartment in Manhattan hatte, erzählte ihm davon. Wie kann der sich das leisten, fragte sich Adrion und erfuhr, dass dieses Model einen OnlyFans-Account hat. Adrion, 26 Jahre alt, ist selbst Model, aber auch Entertainer, Instagramer und YouTuber. Er startete vor etwa einem Jahr das Experiment OnlyFans und würde heute nicht mehr auf die Plattform verzichten wollen. Die Argumente, die für ihn für die Plattform sprechen, unterscheiden sich von denen anderer Nutzer*innen. Und: Die Debatte um OnlyFans konzentriert sich häufig auf Frauen und die Frage, ob ihr Treiben auf der Plattform nun feministisch sei oder nicht. Adrion ist einer der wenigen männlichen Anbieter. Was denkt er über die Plattform, der als Mann doch von Sexismus verschont sein müsste?

Als Adrion versuchte, als Model in New York Fuß zu fassen, hat ein Fotograf während eines Shootings Nacktbilder von ihm aufgenommen. Er fühlte sich als Neuling in der Branche unter Druck gesetzt und gab sein Einverständnis unter der Voraussetzung, dass sie nicht veröffentlicht werden. Monate später fanden Freunde von Adrion diese Nacktbilder in einem Coffee Table Book. Diese und andere Erfahrungen habe er immer wieder gemacht: Fotografen, die Fotos von Adrion gegen seinen Willen in Foren und auf Webseiten veröffentlichen und verkaufen. »Auf OnlyFans habe nur ich die Entscheidungskraft darüber, was mit den Bildern passiert«, argumentiert er.

Wenn man Maike fragt, wie sie ihren Content beschreiben würde, sagt sie: ähnlich wie auf Instagram, »nur offensiver«. Es seien größtenteils Fotos in Unterwäsche mit eindeutigeren Posen als auf Instagram, aber keine Nacktfotos. Seit sie einen OnlyFans-Account hat, sei sie offener geworden und habe mehr Selbstbewusstsein in Bezug auf ihren Körper. »Man wird sein Leben lang angestarrt. Den anderen diese Macht zu nehmen, indem ich ihnen mein Bild freiwillig gebe, finde ich empowering.«

Klar ist: sich sexuell zu zeigen, bedeutet nicht, sexualisiert werden zu wollen. Niemand ist verantwortlich für die eigene Objektivierung durch andere. Aber ist eine Plattform, die aus der Sexualisierung des Körpers Kapital schlägt, der richtige Ort, um diesem Recht Ausdruck zu verleihen? Besonders wenn Geld fließt, und die Nutzer*innen sich mit den sexualisierenden Menschen in einem Dienstleistungsverhältnis befinden? Ob die Warenwerdung des selbstbestimmten Körpers dem Feminismus wohl einen guten Dienst erweist?

Vor einigen Wochen veröffentlichte Adrion auf YouTube und Instagram ein Video über Rassismus in der Pornoindustrie. Ein Schwarzes Model erzählt darin, dass seine weißen weiblichen Co-Darstellerinnen mehr Geld verlangen könnten, wenn sie mit Schwarzen Darstellern filmen. Es hat vergleichsweise wenig Aufrufe. Adrion macht den Algorithmus von YouTube dafür verantwortlich: Der Content, in dem es vermeintlich um Rassismus, Sex, Porno oder LGBTIQ-Themen geht, wird niedriger gerankt, weil er für Werbekund*innen nicht interessant sei. Auch Videos, in denen Adrion zum Beispiel das Wort »Coronavirus« sagt, werden automatisch demonetarisiert. Auch aus diesem Grund ist OnlyFans für Anbieter*innen zusätzlich interessant, weil es keinen Algorithmus gibt, der über ihre Einnahmen entscheidet, sondern ausschließlich ihre »Fans«, die Abos abschließen. OnlyFans hat es geschafft, Inhalte, die hinter einer PayWall stehen, zu vermarkten - eine Herausforderung, an der andere Branchen oft scheitern.

Die Pornoindustrie hat sich in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder verändern müssen. Die glamourösen Tage der Porn Stars und des Playboys sind vorbei. Mit OnlyFans hat die Pornoindustrie einen Höhepunkt ihrer eigenen Egalisierung erreicht, in der jede*r mit einem Internetanschluss zur Anbieter*in werden kann. Das könnte Sexarbeit normalisieren. OnlyFans könnte eine Plattform werden, in der man pornografische Inhalte mit einem besseren Gewissen konsumiert, weil man sich sicherer sein kann, dass die Anbieter*innen fair bezahlt werden.

Ein Aspekt, der in der Berichterstattung über OnlyFans außenvorgelassen wird, ist die Motivation derjenigen, die hier Abos abschließen, in einer Zeit, in der Millionen Bilder von Genitalien kostenlos zur Verfügung stehen. Der ausschlaggebende Unterschied ist die Chat-Funktion. Abonnent*innen können den Anbieter*innen Nachrichten schicken und für Extra-Content bezahlen. In einem Video auf Youtube werden diese Menschen die »Lonely Fans of OnlyFans« genannt, also die einsamen Fans der Plattform, die sich auf digitalem Weg eine Beziehung erkaufen wollen. Sowohl Adrion als auch Maike K. sind überrascht, wie viele ihrer Abonnent*innen sich mit ihnen austauschen wollen und versuchen, Kontakt zu halten. Ob sie wirklich einsam sind und sich finanziell ausnutzen lassen oder nicht, es passt in unsere Zeit.

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