Schreiben muss man lernen

Germanisten sichten die Prosa aus den Schreibschulen

  • Enno Stahl
  • Lesedauer: 3 Min.

»Institutsprosa« - das klingt eher abwertend. Feuilletonisten bedenken mit diesem Etikett die Literatur von Schreibschulabsolventen. Eine probate Technik in solchen Fällen ist es, den Begriff umzudrehen, ihn positiv aufzuladen. Unter diesem Titel ist ein germanistischer Sammelband erschienen, der literaturwissenschaftliche Perspektiven auf die akademischen Schreibschulen in Deutschland eröffnen möchte.

Dass man Schreiben lernen muss, ob mit Creative-Writing-Ausbildung oder ohne, steht außer Frage. Die meisten Autorinnen und Autoren, die in den letzten Jahren in die literarische Öffentlichkeit getreten sind, haben tatsächlich ein solches Studium absolviert. Doch nicht alle Schreibschüler werden automatisch Autoren, viele besetzen als Lektoren, Verleger oder Feuilletonisten beachtliche Marktpositionen. Dass sich so neue Praxisverbünde, literarische »Seilschaften«, im Betrieb herausgebildet haben, ist längst ein empirisches Faktum.

Während der Diskurs über Schreibschulen bislang vorrangig als reine Geschmacksdebatte geführt wurde, ist der Ansatz dieses Sammelbandes ein literatursoziologischer. Die Herausgeber*innen betrachten die Literatur von Schreibschulabgängern vornehmlich als »Poetik einer Produktionsgemeinschaft«. Eine Beschäftigung damit mache »die ökonomisch-symbolischen Ordnungen des Marktes« sichtbar.

Unter Bezug auf Andreas Reckwitz’ Figur des Kreativen bewerten sie die Schreibschule als »die exemplarische Ausbildungsform der Gegenwart«, in der »die Dialektik von Individualität und Standardisierung« sichtbar werde. Da ist etwas dran, und doch begnügt dieser Gedanke sich mit der Phänomenologie. Eine kritisch-soziologische Perspektive müsste an dieser Stelle auch den Anteil mitbedenken, den Künstler und Künstlerinnen an der Herausprägung der aktuellen Gesellschaftsformation haben. Mit ihrer flexiblen und unabhängigen Arbeitsweise sind sie die Blaupause jener psychopolitischen Wende gewesen, die die neoliberale Wirtschaft ausmacht - mit Forderungen nach permanenter Selbstoptimierung und einer hundertfünfzigprozentigen Identifikation mit dem eigenen Tun. Obwohl das Gros der in »Institutsprosa« versammelten Beiträge methodologisch einwandfrei und auf der Höhe der aktuellen Theoriediskussion operiert, wird dieser Mangel an Gesellschaftsanalyse doch spürbar - die Beiträge durchwirkt zumeist die (vorgeblich) wertfreie Gesellschaftsdiagnostik von Niklas Luhmanns Systemtheorie.

Zu Beginn liefert die Wiener Germanistin Claudia Dürr einen kritischen Überblick über die zumeist negative Presseresonanz für Schreib-Unis und für die Literatur ihrer Absolventen. Dürr versucht die Argumente der Feuilletons mit systematischen wissenstheoretischen Überlegungen zu entkräften. Wenn Kritiker die Lebensferne der Schreibschulautoren beklagen, attestiert Dürr ihnen nicht zu Unrecht ein Vorurteil. Doch auch sie unterliegt mit ihrer Pauschalverdächtigung einem solchen, da sie es grundsätzlich auszuschließen scheint, dass Jungautor*innen an Praxisdefiziten leiden könnten.

Mitherausgeber Kevin Kempke befasst sich ebenfalls mit dem Vorwurf der vermeintlichen Lebensferne der Schreibausbildung, wobei er zu Recht den Lebensbegriff problematisiert. Er arbeitet kritisch heraus, dass »Leben« gerade in der Praxis von Schreibschulen als Humankapital für Autoren angesehen wird. Das Erfahrungsparadigma wird seiner Ansicht nach überstrapaziert, etwa wenn es - im Kontext kultureller Aneignung - darum geht, wer sich überhaupt zu welchen Themen äußern darf.

Überzeugende Beiträge liefern auch Katja Stopka und Miriam Zeh. Stopka präsentiert eine archivarisch basierte (Kurz-)Geschichte des Johannes-R.-Becher-Instituts in Leipzig - mit dem Resümee, dass dort zwar literarische Qualität erzielt werden sollte, aber unter Umständen, die diese tendenziell verhinderten. Zeh nimmt in ebenso ironischer wie fundierter Form die Schreibratgeber der wichtigsten deutschen Literaturdozenten unter die Lupe.

Wenig instruktiv ist der Beitrag von Johanne Mohs und Marie Caffari vom Schweizer Literaturinstitut über »Mentoratsprozesse« bei Schreibschülern - er enthält nichts, was jemand, der schon einmal mit Lektoratsfragen betraut war, nicht schon kennen würde. Die interessante Frage, ob die Schreibschulen durch diese Textarbeit in Zeiten schwindender Betreuungsleistungen der Verlage diesen nicht einen Großteil der Arbeit im Vorfeld abnehmen, wird nicht gestellt.

Kevin Kempke/Lena Vöcklinghaus/Miriam Zeh (Hg.): Institutsprosa. Literaturwissenschaftliche Perspektiven auf akademische Schreibschulen. Spector Books, 262 S., br.,18 €.

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