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Von Entsetzen bis Begeisterung

Wie Demokraten in den USA die Wahl sehen

  • Moritz Wichmann
  • Lesedauer: 7 Min.

Ken Shirilla

Er sei »entsetzt, dass für einen großen Teil der Bevölkerung Faschismus eine Option ist«, und »enttäuscht von meinen Nachbarn«, sagt Ken Shirilla. Er meint die Menschen in Youngstown, der alten Arbeiterstadt im Mahoning Valley im Osten von Ohio. Der Landkreis hat am Dienstag mit knapper Mehrheit für Trump gestimmt. Im nördlich angrenzenden Trumbull County holte Trump schon 2016 knapp die Mehrheit und nun noch mehr Stimmen. Früher ist auch Shirilla jeden Tag die 20 Meilen nach Norden bis zur General Motors Fabrik in Lordstown gefahren. Den Job am Fließband hatte er als Studenten angefangen, dann aber das Studium nicht abgeschlossen, auch weil das Gehalt bei General Motors so gut war. Und natürlich war er Mitglied der United Auto Workers Gewerkschaft. »Ohne hat man früher keinen Job bekommen.«

Ken Shirilla
Ken Shirilla

Die Fabrik hat 2019 zugemacht, viele Arbeiter zogen weg – es war das Ende eines langen Niedergangs und ein weiterer Schlag für die von Deindustrialisierung gebeutelte Region. Trump hatte 2016 versprochen die Jobs, mit ihm würden die Jobs zurückkehren. »Es ist das, was sie hören wollen«, sagt der Frührentner über Gewerkschaftsmitglieder, die jetzt Trump wählen, obwohl die Stadt früher fest in Demokraten-Hand war. Den Wahltag hat Shirilla »draußen verbracht und das gute Wetter genossen«. Er hatte schon drei Wochen vorher per Early Voting abgestimmt. »Ich fühle mich in meiner eigenen Heimatstadt wie ein Fremder. Ich habe mich nicht geändert, die Leute um mich herum schon«, sagt er.

Eigentlich war sein Favorit in der Demokraten-Vorwahl Kamala Harris. »Die alten weißen Männer haben lange genug bestimmt, wo es langgeht«, sagt der 67-Jährige. Von den Demokraten wünscht er sich die Einführung der »Medicare For All«, eine universale staatliche Krankenversicherung. »Das sollte nicht davon abhängen, ob man einen Arbeitsplatz hat«. Einer der Gründe, warum Shirilla und viele anderen den Job bei General Motors mochten: Die gute Krankenversicherung, die die Gewerkschaft für ihre Mitglieder erkämpft hatte.

Nia Jackson-McCure

»Ich bin so begeistert, dass Joe Biden vielleicht Georgia gewinnen wird«, sagt Nia Jackson-McCure. Am Wahltag hatte sie zunächst Schwierigkeiten, den an der Rückseite einer Schule versteckten Eingang zum Wahllokal zu finden, weil es »bis mittags keine Hinweisschilder gab, wie mir ein Wahllokalmitarbeiter erzählt hat«, so die 30-Jährige, die als Consultant Kleinunternehmer bei Kreditanträgen berät. Das hat in ihr gleich einen Verdacht geweckt, dass die Republikaner im konservativen Südstaat es erneut den Einwohner der Schwarzen-Metropole Atlanta »schwierig machen wollen« zu wählen. Schwarze Frauen wie sie gehören zu den zuverlässigsten Wählern der Demokraten. Die im Vergleich zu 2016 deutlich gestiegene afroamerikanische Wahlbeteiligung hat Joe Biden in Michigan und Wisconsin entscheidend zum Sieg verholfen. In Georgia liegt Biden am Freitagnachmittag mit wenigen Tausend Stimmen vorne, nachdem Donald Trumps Vorsprung zuvor überwiegend durch die Auszählung von Briefwahlstimmen aus Atlanta immer weiter geschrumpft war.

Jackson-McCures Familie hat ihren Teil dazu beigetragen. »Mein Bruder hat Menschen zu den Wahllokalen gefahren«, erzählt sie. Es habe »viel Organizing« in Atlanta und Fulton County gegeben. Sie stimme nicht mit allem überein, »was die Demokraten machen«, meint aber: »Wir müssen die Pandemie unter Kontrolle bekommen«. Vor allem aber will sie »Politiker, die zuerst auf die Menschen gucken und nicht nur die Wirtschaft« – und eine Polizeireform. »Ich bin nicht für die vollständige Abschaffung der Polizei, aber das Geld was dort reingepumpt wird, sollte eher in die Community gehen«. Man habe jetzt »zum ersten Mal« drei schwarze Sheriffs in Atlanta. »Wir machen Fortschritte«.

Jim Bleil

Nia Jackson-McCure
Nia Jackson-McCure

Jim Bleil hat ein schwieriges Verhältnis zu seinen Nachbarn – und er hat Angst. Er ist schwul, lebt auf dem Land in »Trump country« nördlich von Pittsburgh. Zwischen Pittsburgh und Philadelphia ist Pennsylvania »wie Alabama«, lautet ein Sprichwort. Im »wilden« Teil von Pennsylvania laufen nachts Hirsche durch den Garten, es gibt viel Wald, hügeliges bis bergiges, kaum bevölkertes Land und vor vielen Häusern hängen Trump-Fahnen. Rote Bauernhäuser mit Getreidesilos und Felder vervollständigen das Bild konservativer Landidylle. Auch in Bleils Vorgarten laufen Hühner umher, seine Holzveranda unterscheidet sich nicht von dem seiner Nachbarn, er und sein Partner treten unauffällig auf.

Ihr Biden-Harris-»Yard-Sign« haben sie nicht an die Straße gestellt, sondern nur ins Fenster gehängt – neben den »Wir sind Team Zuhause-Bleiben«-Wimpel. Sie nehmen die Pandemie ernst. »Seid März ist hier niemand Fremdes mehr ins Haus gekommen«, erzählt der pensionierte Lehrer, der früher Austauschschüler bei sich aufgenommen hat. Er gehört zu einer aussterbenden Art ländlicher Demokraten, hat sich am Wahltag von seinen republikanischen Nachbarn umgeben in die Schlange vor dem Wahllokal gestellt. Trotzdem haben Menschen wie er dafür gesorgt, dass Donald Trump auf dem Land nicht mit zu hohem Vorsprung gewinnt und damit die hohe Stimmenzahl für Biden in den Städten übertrumpft.

»Manche Nachbarn vermuten sicher, dass wir schwul sind, dass wir nicht einfach nur zwei Männer sind, die zusammenleben«, sagt er. Er fürchtet sich vor dem feindlicheren Klima im Land. Schon vorher besaßen der 72-Jährige und sein Partner Waffen, »nur zur Verteidigung«. Nun hat er noch einmal Munition und Pfefferspray gekauft, nur zur Sicherheit. Vor ein paar Tage hatte er einen Streit mit einem Nachbarn über Schwangerschaftsabbrüche. »Es wurde hitzig, ich habe es dann beendet und gesagt ich gehe jetzt rein und du verlässt besser das Grundstück«, erzählt Bleil. Von Joe Biden wünscht er sich Unterstützung für mehr Bildung im Land und bessere Gesundheitsversorgung.

Ana Pérez

Jim Bleil
Jim Bleil

Ana Pérez hat den Wahltag mit einer Freiwilligenschicht vor einem Wahllokal in Austin verbracht, hat Wählern von einem Stadtverordneten der Democratic Socialists of America (DSA) erzählt, Greg Cesar. »Viele kannten ihn nicht, waren aber offen für seine Vorschläge – er hat seine Wiederwahl mit einem Erdrutschsieg geschafft«, sagt die junge Latina und DSA-Aktivistin. Sie tröstet sich über das schlechter als erhoffte Abschneiden progressiver wie zentristischer Demokraten-Kandidaten für das Repräsentantenhaus, den Senat und auch von Joe Biden damit, »dass unsere Stadt endlich für die Einführung einer Stadtbahn gestimmt hat«.

Pérez kommt aus einer politischen Familie: »Alles Hardcore-Demokraten, über den einen Trump-liebenden Cousin lästern alle«, erklärt sie. Die Studentin für Öffentlichkeitsarbeit sieht sich »nicht als Demokratin«, hatte aber gehofft, die Partei würde besser abschneiden. Gerade für das Staatsparlament, »weil die reaktionäre Republikaner-Mehrheit von dort aus viele lokale, linke Initiativen beschränkt«, erklärt sie. »Es ist extrem beunruhigend, dass Biden nur gerade eben gewonnen hat. Das zeigt, dass wir als DSA selber die Arbeiterklasse organisieren müssen«. Die ist im Jahr 2020 in den USA zunehmend divers und Latino-geprägt. Weniger Unterstützung aus der Community - keineswegs alle »Hardcore-Demokraten« - als noch für Clinton 2016 ist vermutlich der Grund, warum Joe Biden die Wahl in Florida, North Carolina und Texas verloren hat. Pérez meint: »Die Latinos, die ich kenne, die Biden nicht mögen, haben einfach nicht gewählt«, im Rio Grande Valley in Süd-Texas etwa, südlich von San Antonio, wo ein Teil von Pérez Familie immer noch lebt.

Bernie Sanders dagegen hatte in der Vorwahl unter Latinos mit seinem linkspopulisitschen Programm besonders gut abgeschnitten, sie aktiv umworben. »Die Community hat weniger Internet-Zugang, hier muss Haustürwahlkampf gemacht werden«, erklärt Pérez. Das hat das Team Biden in der Pandemie nicht getan – und ist dafür bestraft worden, meint die 29-Jährige. Die Demokratische Sozialistin wünscht sich die Einführung einer universalen Krankenversicherung und eine Abschaffung der Abschiebebehörde ICE. Sie erwartet von einer Biden-Regierung aber »mindestens eine Wahlrechtsreform«. Am Wahlabend hat sie, statt CNN zu gucken, in einer Whatsapp-Gruppe und auf Twitter die Wahlerfolge anderer DSA-Kandidaten verfolgt.

Ana Pérez
Ana Pérez
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