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»Es ist okay, den Fall eines Tyrannen zu feiern«
Linke US-Demokraten wehren sich gegen Vorwürfe von links wie rechts
Die Abwahl von Donald Trump fühle sich »richtig gut an«, sagt Keon Liberato. Aber er sei auch erschöpft, sagt der schwarze Gewerkschafter aus Philadelphia. Dort tanzten am Samstag wie in vielen anderen US-Städten zahlreiche Menschen auf den Straßen. Es gab Hupkonzerte und Spontankundgebungen. »Es ist wichtig, sich jetzt einen Tag Feiern zu erlauben«, sagte Liberato dem »nd«.
Der Aktivist ist auch Mitglied im Nationalen Politischen Komitee der Democratic Socialists of America (DSA) und Präsident der Teamster Local 3012 Eisenbahnergewerkschaft in Philadelphia. Seine Bemerkung zielt auf die vielen linken Kritiker, die am Wochenende darauf hinwiesen, wie wenig links Joe Biden ist. »Es ist okay, den Fall eines Tyrannen zu zelebriere.« Diese Parole verbreitete auch der Twitter-Account der DSA am Wochenende, nachdem alle großen US-Fernsehsender Joe Biden zum Sieger der Präsidentschaftswahl erklärt hatten.
Ein anderer US-Präsident ist in Sicht, ein »anderes Amerika« nicht. Für ein solches steht die kurz AOC genannte Sozialistin Alexandria Ocasio-Cortez, die nun mit einem haushohen Sieg in New Yorks 14. Wahlkreis aus Bronx und Queens erneut für die Demokraten in das Repräsentantenhaus gewählt wurde. Mit großem Einsatz hat die charismatische und basisnahe Politikerin, die den Einsatz der sozialen Medien virtuos beherrscht, erheblich dazu beigetragen, landesweit linke Wählerstimmen für Joe Biden - oder, besser gesagt, gegen Donald Trump - zu mobilisieren. Der Erleichterung über den Ausgang der Präsidentschaftswahl folgte schnell die Ernüchterung, wie AOC jetzt in einem Interview für die »New York Times« deutlich machte. Das Wichtigste sei, dass der »freie Fall in die Hölle« gestoppt sei. Doch in der Partei sei sie einer Zermürbungstaktik ausgesetzt. Diese müsse den Einfluss des Rassismus auf die Wählerschaft aktiv bekämpfen. Damit bot sie Angriffen des rechten Parteiflügels auf die Bewegung Black-Lives-Matter Paroli. Progressive Kandidaten, die eine öffentliche Krankenversicherung für alle fordern, hätten zudem sämtlich Erfolg gehabt. AOC ahnt den nach der Regierungsübernahme üblichen Rechtsschwenk.
Die 1989 in New York City geborene und 2018 erstmals in den Kongress Gewählte ist puerto-ricanischer Abstammung. In Boston studierte sie bis 2011 Wirtschaft und Internationale Beziehungen. Als Lehrkraft arbeitete AOC für eine NGO, die Hispanoamerikanern zu Bildungsabschlüssen verhilft. Als Abgeordnete stellt sie die Klassenfrage in den Mittelpunkt und tritt dezidiert für soziale und ökologische Gerechtigkeit ein. Peter Steiniger
Die Organisation konnte am Wochenende 10 000 Neueintritte seit Anfang Oktober verkünden und hat jetzt mehr als 80 000 Mitglieder. Die derzeit größte linke Organisation in den USA, die anders als manche linksliberale Organisationen nicht überwiegend aus inaktiven Papiermitgliedern besteht, hatte sich das Ziel gesetzt, bis Ende dieses Jahres 100 000 Mitglieder zu erreichen und die Anti-Trump-Stimmung für eine bessere Organisation der US-Linken zu nutzen. Dieses Ziel scheint nun zumindest in Reichweite zu sein für die weiter schnell wachsende Aktivistenorganisation, die im Frühjahr noch etwa 60 000 Mitglieder vermeldete.
Zudem waren DSA-Kandidaten in Lokalwahlen erfolgreich, die von Ortsgruppen der Organisation unterstützt wurden. Laut einer DSA-Mitteilung gewannen zudem 28 von 37 Kandidaten, die ein »nationales Endorsement«, also eine offizielle Unterstützung der Organisation erhalten hatten, ihre Wahlen. Damit gibt es jetzt kleine Fraktionen von demokratischen Sozialisten mit zwei oder mehr Parlamentariern in 14 Bundesstaaten. Darunter sind auch der Bergstaat Montana und der Farmerstaat Minnesota, der eine Geschichte ländlichen Linkspopulismus sowie städtischem progressivem Aktivismus hat. Letzteres vor allem in Minneapolis, wo die diesjährige Black-Lives-Matter-Protestwelle nach der Ermordung von George Floyd ihren Ausgang nahm.
»Während zentristische und Establishment-Demokraten ins Schwimmen geraten sind, können wir eine Erfolgsrate von 76 Prozent vorweisen«, heißt es in der Mitteilung. Die schnippische Bemerkung ist eine Reaktion auf die sofort in den ersten Tagen nach dem Wahltag einsetzende Debatte bei den US-Demokraten über die Gründe für das Abschneiden der Partei, das schwächer war als erhofft. Die hat es nach derzeitigem Auszählungsstand nicht geschafft, eine Mehrheit der Sitze im US-Senat zu erreichen; im US-Repräsentantenhaus hat sie zwar ihre Mehrheit verteidigt, aber fünf Sitze verloren. Establishment-Demokraten erklärten, zu linke Positionen der Partei wie etwa die im Zuge der Black-Lives-Matter-Proteste aufgekommene Parole »Defund the Police«, also Kürzungen bei der hochgerüsteten Polizei, hätten der Partei Stimmen in Wechselwählerbezirken gekostet.
Die DSA-Parlamentarierin Alexandria Ocasio-Cortez schoss in einem Interview mit der »New York Times« zurück. Establishment-Kandidaten hätten zum Teil schlicht schlechte Wahlkampagnen geführt und keine Hilfe etwa beim Digitalwahlkampf annehmen wollen. Zudem hätten alle progressiven Demokraten in Wechselwählerbezirken, die die Einführung einer staatlichen Krankenversicherung Medicare For All befürworten, gewonnen.
Auch bei parallel zu den Präsidentschaftswahlen in vielen Staaten und Landkreisen stattfindenden Volksabstimmungen konnten demokratische Sozialisten Wahlerfolge erringen. Acht von neun Initiativen, die von der DSA unterstützt wurden - und teilweise mit anderen Bündnispartnern von der Organisation entworfen wurden - setzten sich an der Wahlurne durch. Darunter eine Initiative für einen 15-Dollar-Mindestlohn in Florida, eine Initiative für einen lokalen »Green New Deal« in Maine und Initiativen zur stärkeren Besteuerung Wohlhabender und Immobilieneigentümer zur Finanzierung von Kitaprogrammen, zur besseren Finanzierung staatlicher Schulen und der Rechtsberatung räumungsbedrohter Mieter in einem Landkreis in Oregon, in Los Angeles, Kalifornien, und in Boulder, Colorado.
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