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Streit ums Meer
ASEAN sucht eine gemeinsame Stimme im Umgang mit chinesischen Gebietsansprüchen
Es wird ein außergewöhnliches Treffen, wenn sich ab diesem Mittwoch in Hanoi in Vietnam die Vereinigung südostasiatischer Nationen (ASEAN) zur Jahrestagung trifft. Das Land hat 2020 den Vorsitz inne, vom 13. bis 15. November stehen mehrere hochrangige Treffen an. Aufgrund der Covid-Pandemie finden diese unter Einschränkungen und teilweise digital statt. Hinzu kommt, dass das Gastgeberland neben dem Gipfel im Norden noch mit humanitärer Hilfe in Zentralvietnam beschäftigt ist. Die Gegend wird seit Wochen von starken Stürmen und Überschwemmungen heimgesucht.
Die Liste der Herausforderungen ist also lang. Doch Vietnam ist bei einem Anliegen bereits jetzt eine Überraschung gelungen. Im Juni gab es ein gemeinsames Statement der ASEAN-Länder zum Konflikt im Seegebiet, das in Europa als Südchinesisches Meer bekannt ist.
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
In Südostasien hat es viele Namen - Ostmeer heißt es in Vietnam, West Philippinisches Meer auf den Philippinen. Diese Namensgebung allein verdeutlicht die Konfliktlinien. Wem gehört das Seegebiet? Vietnam, die Philippinen, Malaysia, Brunei, Indonesien, Taiwan und China erheben Anspruch auf Teile des Gebiets. Im Falle China sogar auf die gesamte See, die der Ansicht der Volksrepublik nach unter den historischen Anspruch der eigenen »Nine-Dash-Line« fällt - neun Striche, die nach dem Zweiten Weltkrieg von der kommunistischen Regierung auf Karten gezogen wurden und die den eigenen Territorialanspruch darstellen. Während die ASEAN-Länder ihre Ansprüche untereinander diplomatisch klären konnten, ist dies mit China nicht gelungen.
Der Konflikt schwelt seit langem und lodert in unregelmäßigen Abständen immer wieder auf. China provoziert seit Jahren mit der Aufschüttung von Inseln und Militärbasen im Meer, um das eigene Hoheitsgebiet zu erweitern. Fischer, die mit ihren Booten in das Gewässer vorgedrungen waren, wurden in mehreren Vorfällen erschossen. Die USA hat aktiv Stellung gegen Chinas Ansprüche bezogen und unterstützt die Standpunkte der südostasiatischen Staaten, etwa durch Marineübungen mit eigenen Schiffen, um die Navigationsfreiheit in dem Seegebiet zu unterstreichen. Die US-Regierung ist unter Präsident Donald Trump nicht von ihrem Standpunkt abgerückt, zuletzt betonte Außenminister Mike Pompeo auf einer Asienreise im Oktober, dass China ohne legale Grundlage handele. Er bezog sich damit auf den Schiedsspruch unter der UN-Konvention zum Seerecht (UNCLOS) im Jahr 2016. Dieser bestätigte, dass das Südchinesische Meer nicht chinesisches Hoheitsgebiet sei. Es ist zu erwarten, dass sich die Position auch unter einem US-Präsidenten Joe Biden nicht ändern wird.
Mit Hoheitsrechten auf das Seegebiet ist der Anspruch auf eine Handelsroute verbunden, durch die Waren im Wert von um die 3,37 Billionen US-Dollar verschifft werden sowie 40 Prozent des chinesischen Warenhandels. Außerdem gibt es Öl- und Gasvorkommen sowie Fischbestände im Südchinesischen Meer. Mittlerweile ist die Frage über das Recht im Südchinesischen Meer auch ein Symbol nationaler Politik und Macht auf der internationalen Bühne geworden. Für die USA ist es eine Frage der globalen Ordnung und der eigenen Hegemonie. In Vietnam entfacht der Konflikt Kritik an der Regierung und sogar Proteste in der Bevölkerung als Antwort auf die fehlende Durchsetzungskraft. Damit geriet die vietnamesische Regierung unter Zugzwang, Erfolge in der Sicherheitspolitik vorzuweisen und in Verhandlungen mit China nicht nachzugeben.
Somit ist ein gemeinsamer Code of Conduct der ASEAN-Staaten, also ein Verhaltenskodex für ein abgestimmtes Vorgehen, für den vietnamesischen ASEAN-Vorsitz prioritär. Premierminister Nguyen Xuan Phuc sagte im Juni: »Wir bestätigten erneut die Wichtigkeit, Frieden, Sicherheit, Stabilität und Navigationsfreiheit im Luft- und Seeraum des Südchinesischen Meeres zu erhalten und zu stärken.« Le Thi Thu Hang, Sprecherin des Außenministeriums, fügte hinzu: »Die Wiederaufnahme der Verhandlungen für einen Code of Conduct nach der Unterbrechung aufgrund von Covid-19 ist Priorität für die ASEAN-Länder und China.«
Bislang war es nicht gelungen, eine gemeinsame Position der ASEAN-Staaten zu finden. Während Vietnam, die Philippinen, Malaysia, Brunei und Indonesien überwiegend ihre eigene Souveränität entgegen Chinas Position zu verteidigen suchen, halten sich Laos und Kambodscha zurück oder unterstützen sogar aktiv die chinesische Position. Philip Degenhardt, Büroleiter des Südostasienbüros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Hanoi, erklärt: »Kritische ASEAN-Resolutionen scheitern oft an den Vetos einzelner Mitgliedsstaaten, wie beispielsweise Kambodscha, welche selbst keinen eigenen Zugang zum Südchinesischen Meer besitzen.« Der kambodschanischen Regierung wird von mehreren Seiten vorgeworfen, abhängig von der chinesischen Regierung zu sein.
Vor diesem Hintergrund ist der kleine Erfolg der vietnamesischen Seite in diesem Jahr beachtlich. Ein gemeinsames Papier vom Juni ist in der Sprache vorsichtig und diplomatisch, doch beruft es sich auf die den legalen Rahmen der UNCLOS von 1982. Da China die UNCLOS-Entscheidungen nicht anerkannt hat und stattdessen auf bilaterale Verhandlungen setzt, ist dieser Widerspruch zu China ein Fortschritt im Zusammenhalt der Staatenunion. Es bleibt abzuwarten, ob in den kommenden Treffen dieser Woche weitere Schritte erreicht werden können.
Das ASEAN People’s Forum, die Plattform der Zivilgesellschaft der ASEAN-Staaten, tagte bereits vom 5. bis 7. November und überwiegend digital. Auch in dem Forum war die sicherheitspolitische Lage und die Frage nach dem Regionalismus der ASEAN ein zentrales Thema, und es wurden Wünsche und Arbeitsaufträge für die kommenden Tage formuliert. So kritisierten Vertreter der vietnamesischen Seite, dass der Konflikt im Südchinesischen Meer noch nicht ausreichend adressiert wurde. Eine Sprecherin zog den Schluss, dass der Konflikt im Südchinesischen Meer und die militärische Konfrontation zwischen den USA und China dort dazu beiträgt, dass die Covid-Pandemie weniger effizient und weniger koordiniert bekämpft wird. Eine Lösung für den Konflikt ist deshalb umso dringender.
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