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»Nach 16 Stunden bist du kaputt«
Der Kellner Oliver Riek will seinen Berufsstand retten – vor Ausbeutung, Personalmangel und den Folgen der Coronakrise
Moin. Sie sind Restaurantfachmann. Warum machen Sie diesen Beruf?
Er macht Spaß. Ich glaube, man braucht dafür so eine Art Gastgeber-Gen, um diesen Beruf länger machen zu können. Aber als ich damals angefangen habe, bei der Bundeswehr, habe ich schnell gemerkt, das macht Spaß. Und dann habe ich mich entschlossen, den Beruf zu lernen mit einer richtigen Ausbildung.
Was macht Spaß?
Die Arbeit mit Menschen macht Spaß. Man lernt sehr viele Menschen kennen. Man wird immer aufs neue herausgefordert, man lernt viel zu improvisieren. Und auch das macht Spaß, wenn man Feierabend hat, nach Hause fährt, den Tag Revue passieren lässt und sich sagen kann: Ich habe heute gerockt.
Im Moment »rocken« Sie nicht - wegen Corona muss die gesamte Gastronomie zum zweiten Mal in diesem Jahr dichtmachen. Wie sehen Sie die Situation und wie fühlen Sie sich?
Die Situation ist katastrophal. Die meisten, die ich kenne, sind komplett auf Kurzarbeit, wir müssen jetzt zu Hause sitzen. Das fühlt sich beschissen an. Die Gastronomie ist ohnehin ein Niedriglohnsektor, 70 Prozent vom Gehalt sind einfach zu wenig zum Leben. Es ist gut, dass der Staat jetzt Ausgleichszahlungen vornimmt. Aber für uns Beschäftigte bleibt bis auf das Kurzarbeitergeld nichts übrig. Wir fühlen uns im Stich gelassen.
Können Sie die Maßnahmen nicht nachvollziehen?
Ich kann grundsätzlich die Maßnahmen nachvollziehen. Aber wir haben jetzt acht Monate damit verbracht, Experten zu werden und Geld auszugeben, um die Hygienemaßnahmen umzusetzen. Das haben wir ohne Murren getan, weil uns die Gesundheit der Gäste wichtig ist. Ich will Corona gar nicht leugnen, im Gegenteil, das ist extrem gefährlich. Aber wir haben wirklich alles getan und die Zahlen des Robert-Koch-Instituts zeigen, dass die Gastronomie nicht das Infektionsgeschehen anheizt. Wenn das stimmt, sind wir sogar die vorbildlichste Branche überhaupt.
Aber Politiker gehen doch gern essen und mögen Restaurants. Warum bekommen einzelne Konzerne so viel Geld und die Beschäftigen in der Gastronomie werden sich selbst überlassen?
Natürlich ist es einfacher, große Konzerne zu stützen. Ich überweise Lufthansa neun Milliarden Euro, aber wenn ich Soforthilfen an die Gastronomie überweisen will, sind das so viele Betriebe, das ist ein riesiger Verwaltungsaufwand. Und ich sage es ganz ehrlich: Ich glaube, wir sind den Politikern egal. Die müssen ja auch nicht rechnen. Wenn mir jetzt die Waschmaschine abschmiert, ich könnte mir jetzt keine neue kaufen. Und das verstehen Politiker nicht, dass wir bei Kurzarbeit von 700 oder 800 Euro leben müssen.
Was wäre denn Ihre Forderung an die Politik?
Wir wollen 100 Prozent Aufstockung für die Beschäftigten im Hotel- und Gaststättengewerbe und wir fordern, dass Hilfszahlungen für Betriebe an Zahlungen für die Beschäftigten gekoppelt werden. Der Staat muss doch Betriebe als Ganzes sehen - mit den Beschäftigten. Ich verstehe das nicht, dass man diejenigen noch bestraft, die am wenigsten dafür können.
Was verdienen Sie als Kellner?
Das hängt erst mal von den Tarifverträgen ab. Aber im Schnitt, selbst wenn du ausgelernt hast: Mindestlohnniveau. Was ich das letzte Mal gehört habe: Ein Rezeptionist verdient 1950 Euro brutto. Und die Löhne werden sich nicht exponentiell steigern. Wenn Du dann Chef de Rang bist, also Stationskellner, da bist du bei 2100 brutto. Also das sind richtig miese Löhne.
Aber Sie sagen, es macht einen Unterschied, ob man in der Gewerkschaft ist oder nicht.
Ich würde jedem in der Gastronomie raten, in die Gewerkschaft einzutreten. Weil die ja nur so gut Tarifverträge verhandeln kann, wie sie Rückendeckung von der Belegschaft hat. Es geht beim Eintritt in die Gewerkschaft ja nicht darum, dass ich das nur mache, wenn ich ein Problem habe, wenn ich Beratung brauche oder Rechtsschutz. Da treten die allermeisten ein. Wenn wir aber in die Tarifverhandlungen gehen und haben nur eine geringe Mitgliederzahl - für wen verhandeln wir denn dann? In anderen Branchen, bei Coca-Cola zum Beispiel, sind 80 Prozent in der Gewerkschaft. Wenn der Betriebsrat da eine Lohnsteigerung haben will, dann fragt Coca-Cola nur noch: wie viel? Die trauen sich aber nicht, einen Streik zu provozieren. Und genau da liegt das Problem: Die meisten Gastronomiebetriebe in Deutschland sind kleine oder mittelständische Unternehmen. Bekomme erst mal 2,5 Millionen Beschäftigte, die in über 200 000 Betrieben arbeiten, zusammen auf die Straße.
Sehen Sie einen Unterschied zwischen den umsatzstärkeren Sterne-Restaurants und normalen Restaurants?
Man kann in der Sterne-Gastronomie ganz klar sagen, da herrscht ein enormer Leistungsdruck. Die haben zwar eine positive Außenwirkung. Wenn man Fernsehköche sieht, denkt man, boah sind die nett, das sind voll die Buddies. Aber einige von denen sind einfach Arschlöcher. Die sagen zu dir: Du kommst nicht zu mir, weil du Geld verdienen willst, sondern du willst was lernen. Dann hast du 15-, 16- oder 17-Stundenschichten. Das ist die Regel. Mit Teildiensten zum Beispiel, wo du um 10 Uhr anfängst und um 0.30 Uhr Feierabend hast. Und zwischendurch hast du vielleicht mal ne halbe Stunde Pause. Das ist richtig hardcore, das glauben einem viele Leute nicht.
Ist es in kleineren Restaurants besser?
Was alle gemeinsam haben, ist das Problem mit den sachgrundlosen Befristungen. Das hebelt das gesamte Arbeitsschutzprinzip in Deutschland aus. Darauf stützen sich viele Leute und sagen: du willst bei uns im Hotel einen Betriebsrat gründen, aber dein Vertrag läuft nächstes Jahr aus? Überleg dir das noch mal. Das gibt keiner offen zu, aber wenn du einen Vertrag auslaufen lassen kannst und dazu keinen Grund angeben musst, hast du für zwei Jahre jemanden, den Du komplett ausbeuten kannst.
Sie müssen wahrscheinlich sehr viel Geduld mitbringen, um immer freundlich zu bleiben.
Ja, man braucht ein dickes Fell, definitiv. Man muss aber nicht immer freundlich sein. Das ist meiner Meinung nach genauso ein Mythos wie »Der Kunde ist König«. Ich begreife die Gastronomie heute als ein Geschäft auf Augenhöhe. Ich entscheide nie, wie ich einen Gast behandele, sondern ein Gast entscheidet immer, wie ich ihn behandele. Wir brauchen klare Grenzen, denn die Leute kaufen eine Dienstleistung, nicht uns. Wenn ein Gast zum Beispiel einer Kellnerin einen Klaps auf den Hintern gibt, dann fliegt der raus. Da wird gar nicht diskutiert.
Gehen Sie denn selbst auch mal essen?
Selten. Ich gehe grundsätzlich nie in Sterne-Restaurants. Erstens weil ich die Kohle dafür nicht habe und zweitens weil ich die Zustände dort kenne und nicht bereit bin, das noch zu unterstützen. Ich gehe meistens anspruchslos essen, zum Griechen um die Ecke oder zum Dönerladen. Sonst komm ich aus diesem Kellnergefühl nicht raus. Ich guck mich um und sehe, was alles beim Service nicht läuft oder kontrolliere Karten auf Fehler und meine Frau nervt das dann total.
Stimmt es eigentlich, dass so viel Alkohol getrunken und gekokst wird in der Gastronomie?
Saufen macht man eher nach Feierabend. Aber Koksen definitiv, weil du brauchst die Power. Das ist ja so eine Sterne-Gastronomen-Droge. Du kannst 16 oder 17, manchmal sogar 18 Stunden am Stück nicht anders durchhalten. Denn du arbeitest ja nicht nur einen Tag lang so viel, du ballerst ja durch. Und wenn dann mal ein Kollege krank wird, dann sind es auch mal sechs Tage. Und das Pensum hältst du eigentlich nur durch, wenn du dir im Trockenlager ne schöne Koksline legst. Und weil das Zeug so teuer ist, bezahlen das teilweise die Chefs. Die sagen dann: »Geh mal nach hinten und atme mal tief durch!«
Das Interview ist ein Auszug aus einem Gespräch für den Youtube-Kanal »systemrelevant«, auf dem Arbeiter*innen aus unterschiedlichen Berufen zu Wort kommen und einen kritischen Blick auf unsere Gesellschaft werfen: www.systemrelevant.tv
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