Verzerrte Riffs, in Reihe geschaltet

Die Geburtsstunde des Heavy Metal: Vor 50 Jahren brachten Black Sabbath ihre Platte »Paranoid« heraus.

  • Frank Schäfer
  • Lesedauer: 4 Min.

William S. Burroughs lässt in seinem Cut-up-Roman »Nova Express« die Figur des »Uranium Willy, the heavy metal kid« auftreten. Der Musikkritiker Lester Bangs soll sich der Legende nach hier bedient haben, als er versuchte, die musikalische Sensation Black Sabbath in Worte zu fassen. Vermutlich hat er aber das Genre-Etikett »Heavy Metal« bloß popularisiert, frühe Belege von Bangs ließen sich bisher nämlich nicht finden. Von Barry Gifford stammt die erste dokumentierte Verwendung des Begriffs, in einer Besprechung des Electric-Flag-Albums »A Long Time Comin’« in der Ausgabe des »Rolling Stone« vom 11. Mai 1968: »This is the new soul music, the synthesis of white blues and heavy metal rock.« Etwas später, im »Rolling Stone« vom 12. November 1970, übernimmt Mike Saunders diesen Terminus und bezeichnet Humble Pie als ziemlich langweilige »noisy, unmelodic, heavy metal-leaden shit-rock band«.

Neben Burroughs zieht man meist noch Steppenwolfs »Born To Be Wild« (1968) als Inspirationsvorlage heran. Blöderweise ist das sogar plausibler. Erstens liegt der Song mit seiner einschlägigen Metapher »heavy metal thunder« für das Motorengeräusch großer Straßenmaschinen zeitlich näher dran. Zweitens ist diese neben Deep Purples »Smoke On The Water« wohl niedergedudeltste Hard-Rock-Hymne aller Zeiten für einen Musikkritiker absolut präsent, mit Sicherheit präsenter als Burroughs Avantgarde-Roman. Drittens bezeichnet das Bild schon ein akustisches Ereignis, liegt seine Instrumentalisierung und leichte semantische Umwidmung also auch insofern näher. Zumal das Adjektiv »heavy« als Attribut für eine laute, harte Musik durchaus schon in Gebrauch ist. Iron Butterfly etwa nennen ihr Debütalbum »Heavy« (1968), und auf ihrem Klassiker »In-A-Gadda-Da-Vida« aus demselben Jahr erklären sie, der erste Teil ihres Bandnamens stehe »symbolic of something heavy as in sound«.

Wer den Genrenamen auch immer erfunden hat, fest steht, dass Black Sabbath die erste Band sind, die ihn vollständig mit Leben füllen. Und das auch nicht von Anfang an. Während ihr Debüt »Black Sabbath« die Formel ein paar Mal ausprobiert, ist erst »Paranoid« ein vollgültiges Heavy-Metal-Album. Verzerrte Riffs, in Reihe geschaltet, punktgenau verschweißt, schwerfällig, brachial. Darüber schwebt diese klare, helle Stimme, die den verstörten Zeitgenossen wie ein Sektenpriester Endzeitbotschaften entgegenbellte. »War Pigs«, »Iron Man« und vor allem »Electric Funeral«. »Reflex in the sky warn you you’re gonna die / Storm coming, you’d better hide from the atomic tide / Flashes in the sky turns houses into sties / Turns people into clay, radiation minds decay.«

Black Sabbath sind der totale Gegenentwurf zum Hippietum. Das schwer entspannte Space-Schmusestück »Planet Caravan« kann gar nichts anderes sein als ein schöner, aber trügerischer Traum. Vom Sound und auch vom Text formulieren sie eine Absage an jegliche elysische Naherwartung. Bei ihnen geht alles den Bach runter, aber das wenigstens noch ein letztes Mal auf eingängige und auch kommerziell sehr erfolgreiche Weise. Der Single-Hit »Paranoid« war ein Standard in Rockdiscos, solange es so etwas wie Rockdiscos noch gab.

Zum 50. Geburtstag dieses Gründungsdokuments des Genres erscheint das Album in einem opulenten Box-Set. Neben dem schon bekannten Remastering von 2012 sowie recht soliden Aufnahmen zweier Konzerte in Montreux und Brüssel gibt es auch den Jahrzehnte vergriffenen »Quadraphonic Mix« aus dem Jahr 1974, hier allerdings auf Stereo heruntergebrochen. Der Mehrwert ist damit gleich null. Schlimmer noch, Ozzy Osbournes Stimme kommt fast schon aus dem Off, der Gesamtsound ist verwaschener und um einiges dumpfer. Ein unnötiger Gimmick. Die 23 Quad-Heads, die es noch gibt auf der Welt, müssen weiterhin auf die 2009er »Deluxe Edition« zurückgreifen. Fast alles, was Black Sabbath ins Werk setzen, wird irgendwie genretypisch. Auch ihr Arbeitsethos. Das Debüt haben sie an einem Tag eingespielt, jetzt brauchen sie fünf. Ihr unmenschliches Livepensum 1969/1970 hat die Band in Form gebracht. Der Stahl ist ausgehärtet. Das zeigen die Konzertaufnahmen aus dem Jahr 1970. Ein Begriff wie Tagesform hat in ihrem Kunstverständnis keinen Platz. Sie haben das Songmaterial unter allen Umständen im Griff.

Lester Bangs, der durchaus eine Weile gebraucht hat, um seine Ohren an diese musikalische Entsprechung einer Industriefertigungshalle zu gewöhnen, spricht einmal von der quasi-maschinellen Präzision des Heavy Metal. Er meint natürlich Black Sabbath.

Black Sabbath: »Paranoid«. 50th Anniversary Super Deluxe Box Set (BMG)

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