Wegducken ist keine Antwort

Oliver Kern und Moritz Wichmann analysieren, warum die Umfragen zur US-Wahl wieder so weit daneben lagen

MUM23 - Wegducken ist keine Antwort

Joe Biden, das scheint allen außer Donald Trump mittlerweile klar zu sein, wird neuer US-Präsident. Kein Kandidat vor ihm hat je so viele Stimmen bekommen wie er. Trotzdem sprechen manche von einer Enttäuschung. Ist der Wahlsieg Bidens nun ein historisch starkes Ergebnis, oder sind seine Demokraten unter ihren Möglichkeiten geblieben?

Max und Moritz - der linke Podcast zum US-Wahlkampf

Jede Woche analysieren Max Böhnel und Moritz Wichmann im Gespräch mit Oliver Kern den US-Wahlkampf. Am 2. November um 18 Uhr schauen "Max und Moritz" in einem Live-Podcast auf die letzten Umfragen und erläutern aus der linken Perspektive, worauf man in der Wahlnacht und in den Tagen danach achten sollte.

Beides. Es ist ein deutlicher Sieg geworden. Biden hat nicht nur die Rust Belt-Staaten Wisconsin, Michigan und Pennsylvania im Norden zurückgewonnen. Er schaffte gleichzeitig, wovon seine Partei seit Jahren träumt: Staaten im Süden wie Arizona und Georgia zu gewinnen. Biden könnte auch prozentual nah an die historischen Wahlsiege von Barack Obama 2008 und 2012 herankommen. Gerade liegt er bei 50,7 Prozent der Stimmen, 2012 hatte Obama 51 Prozent bekommen, und noch sind Millionen Briefwahlstimmen in New York, Illinois und Kalifornien auszuzählen. Barack Obama musste seinerseits nie gegen einen Amtsinhaber antreten. Das aber war immer schon schwieriger. Dennoch sind die Demokraten unter ihren Möglichkeiten geblieben, weil Umfragen sie vorher noch weiter vorn gesehen hatten. Staaten wie Florida, North Carolina und Iowa haben sie dann aber doch verloren. Da die Niederlage in Florida schnell in der Wahlnacht feststand, hat sich das mediale Narrativ der Enttäuschung gehalten.

Im Repräsentantenhaus hielten die Demokraten ihre Mehrheit zwar, verloren aber einige Sitze. Im Senat ist nur noch ein Gleichstand möglich. Wie erklärst du den Unterschied zur Präsidentenwahl?

Im Senat bleibt den Demokraten tatsächlich noch ein ganz schmaler Pfad zur Mehrheit. Dazu müssten sie im Januar beide Stichwahlen in Georgia gewinnen. Den Staat entschied Biden ganz knapp für sich, bei den Senatswahlen lagen aber die Republikaner vorn. Biden ist ein Kandidat, der die wenigen überzeugbaren Wähler in der Mitte für sich gewinnen und gleichzeitig die linke Basis motivieren kann. Es ist sehr unklar, ob Jon Ossoff und Raphael Warnock das im Januar auch schaffen. Vermutlich werden die Republikaner eine knappe Mehrheit halten. Und das würde Bidens Möglichkeiten sehr stark einschränken.

Haben denn eher die ganz linken oder die moderaten Demokraten an Zustimmung verloren?

Auf jeden Fall die Moderaten. Sie schaffen es nicht, sich offensiv gegen republikanische Falschinformationen und Sozialismus-Angst zur Wehr zu setzen. Sie versuchen nur, möglichst harmlos zu sein. Progressive sagen aber schon lange: Egal, was sie machen, die Attacke »Ihr seid Sozialisten!« kommt so oder so von den Republikanern. Darauf muss man bessere Antworten finden als sich wegzuducken. Biden hat da aggressiver agiert. Er hat diesen Vorwurf aktiv dementiert und auf seine populären Positionen beim Mindestlohn und der Krankenversicherung verwiesen.

Warum lagen die Umfragen denn wieder so weit daneben? Die Meinungsforscher meinten doch, sie hätten aus ihren Fehlern 2016 gelernt.

Sie waren wahrscheinlich sogar schlechter als 2016. In einem halben Dutzend Staaten lagen die Umfragefehler außerhalb der normalen Fehlerspannen. Vor allem aber lag der Fehler systematisch daneben, so dass fast überall Trump unterschätzt wurde. Vermutlich wurde falsch eingeschätzt, wie gut Trump seine Wähler mobilisieren kann, und dass Corona den Demokraten bei dieser Mobilisierung mehr geschadet hat. Außerdem scheint das Problem größer zu werden, dass weißen Arbeiter gar nicht mehr an Umfragen teilnehmen. Sie sind von normalen Medien und deren Meinungsforschern komplett abgekoppelt. Nichtsdestotrotz: Umfragen sind immer nur grobe Schätzungen. Und in vielen anderen Staaten lagen sie genau richtig. Für eine tiefe Analyse fehlen aber noch Daten. Das dauert ein paar Wochen. Es sind ja noch nicht mal alle Stimmen ausgezählt.

Es heißt Trump habe viele Latinos auf seine Seite gezogen. Das zeige sich in Florida. Wenn dem so wäre, hätte er aber Arizona nicht verlieren dürfen. Wie passt das zusammen? Wird hier der Begriff »Latino« zu sehr verallgemeinert?

Latinos sind eine sehr diverse Community. Gerade ältere und Kubano-Amerikaner in Miami sind sehr antikommunistisch, sehr republikanerfreundlich. Junge mexikanisch-stämmige Latinos in Arizona dagegen denken komplett anders. Gleichzeitig verändert sich etwas ethnienübergreifend. Schon 2016 war erkennbar, dass die Demokraten immer mehr zur Partei der Gebildeten werden. Bislang war das nur auf Weiße begrenzt. Die weiße Arbeiterklasse bewegte sich auf Trump zu. Jetzt aber ist das auch bei immer mehr Latinos und Schwarzen ohne Universitätsbildung zu erkennen. Es ist also nicht mehr so, dass Latinos und Schwarze zwangsläufig für die Demokraten stimmen, zumal das Thema Einwanderung gar kein Thema im Wahlkampf war. Es gibt dennoch immer mehr Latinos in der zweiten und dritten Generation, die sich als Amerikaner fühlen und neue Migranten nicht ins Land kommen lassen wollen. Bei denen hatte Trump einen gewissen Erfolg. Den sollte man aber auch nicht überbewerten.

In der Tat muss wählte die Mehrheit der Minderheiten weiter die Demokraten. Trump versucht gerade, den Sieg Bidens gerichtlich anzufechten. Hat er eine Chance?

In mehreren Staaten fordert er Nachzählungen. Die Erfahrung zeigt, dass sich dabei vielleicht ein paar Hundert Stimmen ändern. Er liegt aber überall fünfstellig zurück. Also das wird keine Wahlergebnisse ändern. Außerdem geht Trump gegen die Anerkennung von Briefwahlstimmen vor. Und hier wird bislang eine Klage nach der anderen abgewiesen, auch von relativ konservativen Richtern. Es rechnet keiner wirklich damit, dass die Republikaner damit die Wahl noch gewinnen. Das ist alles eher Wahlkampfgetöse vor den zwei Stichwahlen in Georgia. Und Trump sammelt nebenbei noch Spenden ein. Damit bedient er die Schulden aus seinem Wahlkampf. Das Ganze ist also a) eine große Verarsche der Basis, und b) der Versuch, sie bis Januar bei der Stange zu halten.

Geht es nicht auch ein bisschen um Trumps Ego? Er will doch nie als Verlierer dastehen.

An dieses Label wird er sich nun aber gewöhnen müssen. Von manchen Republikanern und ihm wohl gesonnenen Fernsehmoderatoren wird er schon darauf vorbereitet, dass er bald abtreten muss. Er bleibe ja mächtig in der republikanischen Politik und habe ein großes Vermächtnis. Da will man schon sein Ego streicheln.

Steckt bei Abgeordneten der Partei nicht auch Angst vor Trump dahinter? Mit einem Tweet kann er ganze Karrieren zerstören.

Ich glaube schon, dass Trump Kingmaker bleiben wird. Wäre er erdrutschartig besiegt worden, wäre es anders. Aber so ist klar, dass weiterhin fast die Hälfte des Landes hinter ihm steht. Das stärkt seiner Position. Der Trumpismus wird also weiterhin die Politik der Republikaner prägen.

Selbst wenn die Demokraten noch eine ganz knappe Mehrheit im Senat gewinnen sollten, wie viel ändert das am Ende wirklich? Moderate Parteimitglieder wie Joe Manchin aus West Virginia haben schon angekündigt, viele Träume der Linken selbst zu blockieren: das Ende des Blockadeinstruments Filibuster oder die Erweiterung des Obersten Gerichtshofs etwa.

Georgia ist wichtig. Ich sehe auch das, was Manchin gerade macht, als Wahlkampfgetöse an. Er will die Demokraten als möglichst zentristisch und parteiübergreifend darstellen. Selbst Bidens Rhetorik spricht davon, die Hand zu Trump-Wählern auszustrecken. Aber keiner macht sich Illusionen, dass da viel parteiübergreifende Zusammenarbeit möglich ist. Selbst moderate Senatoren der Demokraten wissen, dass sie von den Republikanern am Ende der Obama-Amtszeit nur blockiert wurden. Die Vorstellung dass sich das nun ändert, ist Blödsinn, mit Verlaub. Sollten die Demokraten in Georgia tatsächlich gewinnen, will Joe Manchin bestimmt auch nicht immer der einzige Nein-Sager in der eigenen Partei sein.

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