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Maximaler Druck gegen Heimstaden
Verhandlungspoker um Mieterschutz bei 130-Häuser-Deal geht in die letzte Runde
»Alle Stadträte machen nun Druck«, sagt Florian Schmidt, Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, zu »nd«. Der Grünen-Politiker spricht vom Druck auf Heimstaden, den skandinavischen Wohnungskonzern, der nach 130 Häusern mit 3902 Wohnungen in Berlin greifen will. Etwas mehr als die Hälfte der Häuser liegt in Milieuschutzgebieten, was den Bezirken prinzipiell die Möglichkeit eröffnet, Vorkaufsrechte auszuüben. Die Frist dafür läuft für den Großteil der Häuser am 23. November ab. Fast täglich demonstrieren Mieterinnen und Mieter betroffener Häuser inzwischen für die Ausübung. Am Samstag gingen rund 1000 Menschen in Kreuzberg gegen Verdrängung auf die Straße, diesen Sonntag soll um 14 Uhr auf dem Neuköllner Wildenbruchplatz demonstriert werden. Aus dem Kreuzberger Wrangelkiez wollen Betroffene als Fahrraddemonstration dazustoßen.
Die Dimension der Transaktion – der Kaufpreis liegt nach Angaben vom Heimstaden bei 830 Millionen Euro – ist außergewöhnlich groß. Der Mieterprotest auch. Seit Tagen werden Abgeordnetenhausmitglieder der Regierungskoalition förmlich mit E-Mails bombardiert. »Wir fordern, dass Sie nicht nur politische Bekenntnisse verkünden, sondern in diesem Nachtragshaushalt Fakten schaffen, damit ein Vorkauf auch realistisch durchgeführt werden kann!«, heißt in einer der zahlreichen »nd« vorliegenden Mails. Das ist der Tenor aller Schreiben. »Setzen Sie ein Zeichen gegen hochspekulative Geschäfte, deren negative Folgen insbesondere ihre WählerInnen treffen«, steht in einer weiteren Mail.
»Für die Linksfraktion im Abgeordnetenhaus kann ich Ihnen unsere volle Solidarität versichern«, schreibt die Linke-Wohnungspolitikerin Gaby Gottwald in einer »nd« vorliegenden Antwort. »Ziel ist es, für die Häuser in sozialen Erhaltungsgebieten von Heimstaden eine Abwendungsvereinbarung zu erhalten, die die Mieterinnen und Mieter absehbar vor Umwandlungen und Modernisierungsmaßnahmen mit hohen Folgekosten schützt. Aus Sicht der Linksfraktion sollten hier keinerlei Zugeständnisse an die Investoren eingegangen werden«, so Gottwald weiter. Der skandinavische Wohnungskonzern hat jedoch bisher keine Bereitschaft erkennen lassen, Vereinbarungen zu unterzeichnen, die für 20 Jahre die Aufteilung von Mietshäusern in Eigentumswohnungen und Luxusmodernisierungen ausschließen. Es sei expliziter politischer Wille der Linksfraktion, sollte Heimstaden Abwendungsvereinbarungen verweigern, für die dann nötige Ausübung von Vorkaufsrechten »entsprechende Mittel zur Verfügung zu stellen und dass wir diese Position mit Nachdruck bei Verhandlungen über den Berliner Haushalt vertreten«.
»Wir werden nicht dulden, tolerieren, dass hier sehr stark aufgeweichte Abwendungsvereinbarungen vorgelegt werden«, sagte Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel (Linke) bei der letzten Sitzung des zuständigen Ausschusses im Abgeordnetenhaus. Auch die Grünen-Wohnungspolitikerin Katrin Schmidberger versichert gegenüber »nd«, dass es Ziel ihrer Fraktion sei, die Ausübung von Vorkaufsrechten finanziell zu ermöglichen, sollte Heimstaden die von den Bezirken vorgelegten Abwendungsvereinbarungen nicht akzeptieren. SPD-Kollegin Iris Spranger wollte sich kürzlich auf Anfrage von »nd« dazu nicht äußern.
»Die einzige Sprache, die Heimstaden versteht, ist, zu zeigen, dass man umfänglich Vorkaufsrechte ausüben möchte«, sagt Baustadtrat Schmidt zu »nd«. Wegen der Bedeutung des Mega-Deals hat sich der Senat koordinierend eingeschaltet. Es gibt eine gemeinsame Verhandlungsgruppe aus der Wohnen-Staatssekretärin Wenke Christoph (Linke), der Finanz-Staatssekretärin Vera Junker (SPD) und, stellvertretend für die Bezirke, dem Neuköllner Stadtentwicklungsstadtrat Jochen Biedermann (Grüne). Mehrere Bezirksverordnetenversammlungen haben Resolutionen verabschiedet, die die Ausübung von Vorkaufsrechten fordern. Erstmals gab es so ein vom Senat koordiniertes Vorgehen im Sommer. Und es war schließlich erfolgreich. Berlins größter Vermieter, die Deutsche Wohnen, unterzeichnete schließlich im Juli Abwendungsvereinbarungen für 16 Häuser in fünf Bezirken.
»Zuletzt gab es von Heimstaden Signale, dass sie nur bei den Häusern Abwendungsvereinbarungen unterzeichnen werden, wo wir konkret das Vorkaufsrecht ausüben wollen«, berichtet Schmidt. »Wenn das die Strategie ist, mit Riesenpaketen den Vorkauf im nennenswerten Umfang unmöglich zu machen, dann muss das Land eben, zum Beispiel über den Bodenfonds, das ganze Paket an sich ziehen, um mit erhobener Brust in die Verhandlungen zu gehen«, sagt der Friedrichshain-Kreuzberger Stadtrat.
Nach nd-Informationen sind einige Genossenschaften bereit, sogar ohne Zuschüsse des Landes Häuser aus dem Paket zu übernehmen. Zudem ist »nd« darüber informiert worden, dass es im Rahmen der Gespräche zwischen den Bezirken Überlegungen gab, eine vertragliche Lösung für alle 130 Häuser zu finden, also auch für jene knappe Hälfte, für die keine Milieuschutzregelungen greifen. Im Gegenzug für den Schutz aller Häuser hätten die Regelungen, die eine Aufteilung in Eigentum und Luxusmodernisierungen ausschließen, beispielsweise statt auf 20 auf 15 Jahre befristet werden können. Allerdings nur, wenn das rechtlich nicht als Präjudiz für eine allgemeine Absenkung der Standards für Abwendungsvereinbarungen ausgelegt werden könnte. »Dann hätte der zusätzliche Schutz für die vielen weiteren Mieterinnen und Mieter die zeitliche Reduzierung für die Häuser in Milieuschutzgebieten aufwiegen können«, erklärt eine beteiligte Person. Diese Idee scheint jedoch nicht weiterverfolgt worden zu sein.
In den nächsten Tagen finden die entscheidenden Gespräche darüber statt, wie Senat und Bezirke mit Heimstadens Riesendeal umgehen werden. Zumindest scheinen bisher zaudernde Bezirksstadträte nicht mehr bereit zu sein, dem Konzern Zugeständnisse zu machen und sich auch mit einer weniger weitreichenden Abwendungsvereinbarung zufrieden zu geben. Dem Vernehmen nach will sich Heimstaden vor allem nicht einem Verbot von Umwandlungen in Eigentum für 20 Jahre beugen. Das stelle eine Wertminderung dar, die die Investoren – darunter Rentenversicherungsfonds – nicht akzeptieren würden, soll demnach die Begründung sein. »Das Land muss der Souverän sein und umfassend ausüben, sonst droht ein Dammbruch«, sagt Florian Schmidt.
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