Der größte Handelsblock der Erde

Das RCEP-Abkommen zwischen China und 14 Pazifikstaaten vereint ein Drittel der globalen Wirtschaft

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

14 Volkswirtschaften im asiatisch-pazifischen Raum bildeten am Sonntag zusammen mit China den größten Freihandelsblock der Erde. Nach acht Jahren und Dutzenden Verhandlungsrunden wurde am Rande des virtuellen Gipfeltreffens des südostasiatischen Staatenbundes Asean in Hanoi die »Regionale Umfassende Wirtschaftspartnerschaft« oder RCEP, wie der Pakt abgekürzt wird, von den Regierungschefs unterzeichnet. Der Vertrag betrifft mehr als zwei Milliarden Menschen und steht für ein Drittel der weltweiten Wirtschaftsleistung.

Mit dem RCEP-Abkommen schließen die traditionellen Konkurrenten China und Japan erstmals ein Handelsbündnis. Das Finanzministerium in Peking schreibt in einer Erklärung »von einem historischen Durchbruch«. Auch die Zusammenarbeit zwischen Tokio und Seoul gilt als bemerkenswert. Im Zweiten Weltkrieg hatte die japanische Armee Korea und China teilweise besetzt. Mit im RCEP-Boot sitzen neben den Asean-Mitgliedern auch noch die »westlichen« Staaten Australien und Neuseeland. Bevor der Vertrag in Kraft tritt, müssen die jeweiligen Regierungen und Parlamente noch zustimmen.

Greifen dann alle Kapitel des Vertrages, werden Zölle über 20 Jahre schrittweise abgebaut. Zölle auf schätzungsweise 90 Prozent der gehandelten Güter wären dann abgeschafft; Fisch, Agrarprodukte und strategische Güter bleiben weitgehend außen vor. Der Handel untereinander soll erleichtert werden, selbst wenn Teile aus einem Drittland verbaut wurden. Bislang stoßen solche grenzüberschreitenden Lieferketten in Asien oft auf Zollschranken. Außerdem soll der digitale Datenverkehr sicherer werden.

Anders als etwa in den Handelsabkommen, welche die EU abschließt, spielen Klima, Patentschutz und Arbeitsbedingungen kaum eine Rolle. Insgesamt stellt RCEP nur geringe Anforderungen an die Länder, darunter Thailand, die Philippinen und Indonesien. Eine Liberalisierung der über Zölle hinausgehenden Handelsbeschränkungen hält sich in Grenzen. Auch daher dürften die Auswirkungen auf die Handelsbilanzen zunächst überschaubar bleiben. Anders sieht es bei gegenseitigen Investitionen aus. Hier erwartet die UN-Handelsorganisation Unctad einen »deutlichen Anstieg«.

Für die USA ist das neue Freihandelsabkommen in der Pazifikregion eine wirtschaftspolitische Niederlage. Der damalige US-Präsident Barack Obama wollte die US-Präsenz im asiatisch-pazifischen Raum stärken. Eine Transpazifische Partnerschaft (TPP), eine Freihandelszone unter US-Führung, sollte Chinas Expansion stoppen. Obama scheiterte, und sein Nachfolger Donald Trump kündigte mit einer seiner ersten Amtshandlungen TPP auf.

In diese politische Leerstelle stießen China und Japan, das seinen Einfluss in der Region ebenfalls ausbauen will. Anderseits werden die Expansionen der zweit- und drittgrößten Volkswirtschaften der Erde auch mit Misstrauen in Asien beobachtet. Politische Spannungen gibt es besonders im Südchinesischen Meer. Dort streiten die Anrainer um rohstoffreiche Gebiete. So erheben etwa neben China auch Malaysia, Taiwan, Vietnam, die Philippinen und Brunei Anspruch auf die winzigen Spratly-Inseln.

Indien bremste unterdessen RCEP lange aus. Angesichts der politischen Spannungen mit dem wirtschaftlich erfolgreichen Nachbarn China verzögerte die Regierung Narendra Modis das Verfahren, bis die potenziellen Partner die Geduld verloren. Modi will die heimischen Bauern und den kleinteiligen Einzelhandel vor ausländischer Konkurrenz schützen. Daran scheiterte bislang ebenfalls ein Freihandelsabkommen mit der EU. Für die drittgrößte Volkswirtschaft Asiens bleibt die Tür jedoch offen.

RCEP muss ein »Weckruf für Europa« sein, warnte der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jürgen Hardt. »Wir können nicht abwarten, bis China auch zu einem Abschluss mit den Ländern Südamerikas kommt.« So ist das Mercosur-Abkommen der EU mit wichtigen Ländern Südamerikas weitgehend ausverhandelt, aber wegen umweltpolitischer Bedenken derzeit auf Eis gelegt. Auch das ebenfalls umstrittene CETA-Abkommen mit Kanada ist noch nicht ratifiziert. Außerdem, so der Merkel-Vertraute, bleibe ein Handelsabkommen mit den USA »essenziell«. Es sollte auf der Wunschliste an den neuen US-Präsidenten ganz oben stehen. Wie der gerade gewählte Joe Biden zu RCEP und einem Handelsabkommen mit der EU stehen wird, ist allerdings offen. Biden will wie Trump angeblich unfaire ausländische Handelspraktiken bekämpfen.

Ganz so verschlafen, wie mancher Wirtschaftskommentator in Deutschland meint, ist die EU keineswegs. Freihandelsverträge mit Japan, Singapur, Südkorea und Vietnam sind geschlossen. Australien und Neuseeland dürften bald folgen. Und Anfang Dezember treffen sich die Außenminister der EU und Asean-Staaten routinemäßig zum nächsten Gipfel. Virtuell, versteht sich.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -