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Entlastungsangriff in Berlin
Nach Raub im Dresdner »Grünen Gewölbe« nimmt sächsische Polizei bei Großrazzia drei Verdächtige fest
Sachsens Polizei gab am Dienstag Stauhinweise für die Bundeshauptstadt. Im gesamten Berliner Stadtgebiet sei »mit erheblichen Verkehrseinschränkungen« zu rechnen, hieß es. Grund war eine Großrazzia im Zusammenhang mit dem Raub im »Grünen Gewölbe« vor fast genau einem Jahr. Mit sage und schreibe 1638 Beamten aus Sachsen, sechs weiteren Bundesländern und von der Bundespolizei wurden Wohnungen und Garagen durchsucht - sowie drei Tatverdächtige festgenommen. Das Zahlenverhältnis verblüfft. Zum Vergleich: Bei der Leipziger Demonstration von »Querdenken« gegen die Corona-Schutzmaßnahmen, zu der am 7. November 20 000 teils gewaltbereite Teilnehmer gekommen waren, hatte die sächsische Polizei 2700 Beamte für ausreichend angesehen.
Wegen der völlig außer Kontrolle geratenen Demonstration in Leipzig, bei der Hygienemaßnahmen missachtet, ein Demonstrationsverbot glatt ignoriert und die Polizei von Hooligans überrannt worden war, steht neben der Polizeiführung vor allem Sachsens CDU-Innenminister Roland Wöller in der Kritik - und damit eben jener Politiker, der dem Juwelenraub vom 25. November 2019 eine fast staatspolitische Dimension gegeben hatte. Er hatte den Einbruch, bei dem sich die Täter im Morgengrauen Zugang zu den Ausstellungsräumen im Dresdner Schloss verschafft, eine Vitrine brutal aufgebrochen und drei Garnituren edler historischer Schmuckstücke entwendet hatten, als »Anschlag auf die kulturelle Identität Sachsens« bezeichnet und ihn damit verbal in eine Reihe mit Terrorakten gestellt. Sein Parteifreund und Ministerpräsident Michael Kretschmer hatte beklagt, bestohlen worden seien nicht nur die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD), sondern »wir Sachsen!«.
Der schiere Umfang der Polizeiaktion in Berlin wirkte nun so bemessen, als wolle man dieser Dimension gerecht werden. In sozialen Netzwerken kursierten umgehend bissige Kommentare. »So viele uniformierte sächsische Truppen dürften das letzte Mal 1760 in Berlin eingedrungen sein«, twitterte der Dresdner Grüne und Anwalt Wolf-Georg Winkler in Anspielung auf den Siebenjährigen Krieg, an dem Sachsen auf der einen und Preußen auf der anderen Seite beteiligt waren. Sarkastisch merkte er zudem an, wenn es um den »sächsischen Stolz« gehe, seien »plötzlich ausreichend Kräfte vorhanden«. Das Ausmaß der Razzia und die erfolgreichen Verhaftungen dürften auch zur Ehrenrettung für die sächsische Polizei zehn Tage nach dem Debakel von Leipzig dienen - und als Entlastungsangriff für deren Führung und den unter Druck stehenden Minister. Landespolizeipräsident Horst Kretzschmar ließ sich am Dienstag lächelnd bei einem Besuch im Führungsstab fotografieren. Wöller äußerte sich bis zum Nachmittag nicht.
In den Monaten seit dem Einbruch hatten die Ermittler der Sonderkommission »Epaulette«, die nach einer bei dem Raub entwendeten Achselschleife benannt wurde, wenig Informationen über Fahndungsfortschritte nach außen dringen lassen. Dass die Spur nach Berlin führt, ließen Durchsuchungen in Autowerkstätten vor einigen Wochen ahnen, bei denen es um die Präparierung des Fluchtfahrzeugs ging. Nun scheinen die Ermittler entscheidende Schritte weiter gekommen zu sein, wie die Festnahme dreier »dringend« Tatverdächtiger belegt. Bei diesen handle es sich um deutsche Staatsbürger im Alter von 23 und 26 Jahren, die, wie der Dresdner Polizeisprecher Thomas Geitner anfügte, »in Berliner Clanfamilien zu Hause sind«. Diese wurden in Dresden einem Ermittlungsrichter vorgeführt. Zwei weitere Verdächtige werden per Öffentlichkeitsfahndung gesucht.
Ob auch Teile des Raubguts sichergestellt wurden, ist offen. Marion Ackermann, Generaldirektorin der SKD, drückte ihre Hoffnung aus, dass die Schmuckstücke gefunden werden und »bald wieder an ihren angestammten Ort zurückkehren können«. Die SKD hätten »umfangreiche Maßnahmen« ergriffen, um die Sicherheit zu verbessern. Darauf hofft auch Rico Gebhardt, Chef der Linksfraktion im Landtag. Allerdings seien noch viele Fragen zu möglichen Versäumnissen offen, weshalb die Akten zu dem Fall auch nach Verhaftung der mutmaßlichen Täter nicht geschlossen werden dürften. Die AfD warf Kretschmer vor, keine personellen Konsequenzen gezogen zu haben.
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