Familientreffen per Video

Beim G20-Gipfel geht es um die Verteilung von Corona-Tests und Impfstoffenn - auch in ärmere Länder

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Kurz vor Beginn des G20-Videogipfels an diesem Sonnabend heizte sich der Konflikt zwischen Australien und China immer weiter auf. Peking blockiert Kohlelieferungen, australische Frachter werden nicht mehr entladen, und die Seeleute bleiben an Bord gefangen. Gleichzeitig kritisiert Peking über Medien die australische Regierung scharf: Sie habe einen politischen Feldzug gegen Peking begonnen und torpediere das Megaprojekt Neue Seidenstraße. Beobachter sehen darin den Versuch Staatspräsidents Xi Jinpings, Druck auf argwöhnische Gipfelteilnehmer auszuüben.

Auslöser ist die harte Haltung der rechtskonservativen Regierung von Premier Scott Morrison. »Die Liste der von Canberra getroffenen Entscheidungen, die Peking verärgert haben, ist lang«, analysiert die Denkfabrik Internationale Politik und Gesellschaft (IPG), die auch die Bundesregierung berät. Am Dienstagabend gaben die Regierungschefs von Japan und Australien zudem bekannt, dass sie sich im Grundsatz auf ein Militärabkommen geeinigt haben. Australien war weltweit der erste Staat, der die chinesischen Technologiekonzerne Huawei und ZTE vom Aufbau seines 5G-Mobilfunknetzes ausschloss. China reagierte mit Strafzöllen.

Anderseits ist die gegenseitige Abhängigkeit groß. Erst am letzten Sonntag hatten beide Länder den asiatischen Freihandelsvertrag RCEP unterzeichnet. Für China ist Australien der wichtigste Kohle- und Rohstofflieferant. Im vergangenen Jahr gingen 38 Prozent der australischen Warenexporte nach China. Deutschland liegt bei weniger als zehn Prozent. Australien müsse starke Handelsbeziehungen zur Volksrepublik aufrechterhalten, warnte denn auch der Gouverneur der Zentralbank, Phillip Lowe, vor einer weiteren Zuspitzung.

Der scheidende amerikanische Präsident Donald Trump könnte den Gipfel, der ursprünglich in Saudi-Arabien stattfinden sollte, nutzen, die Volksrepublik erneut für die Pandemie verantwortlich zu machen. Trump nannte Sars-CoV-2 schon mal das »China-Virus«. Im Zentrum der Beratungen steht der Kampf gegen die Pandemie. Im März hatten sich die Regierungschefs auf einem außerordentlichen Videogipfel über erste Maßnahmen in der Krise verständigt. Nun geht es um die Verteilung von Corona-Tests und Impfstoffen, auch in ärmere Länder.

Den G20 gehören 19 Staaten sowie die EU an, also die wirtschaftlich starken Länder, in denen Impfstoffe entwickelt, produziert und vom Gesundheitssystem finanziert werden können. Der »Rest« der Welt ist daher abhängig von Lieferungen aus den G20. Viele Schwellen- und Entwicklungsländer können sich dies nicht leisten, sie sind hoch verschuldet. Der sogenannte Lockdown hat nach Einschätzung des Internationalen Währungsfonds (IWF) die Schuldentragfähigkeit zahlreicher Länder arg in Mitleidenschaft gezogen. Sambia, dessen Wirtschaft von Kupferexporten abhängt, steht nun als erstes Land vor der Pleite. Auf dem G20-Finanzministertreffen vor einer Woche wurden die Zins- und Tilgungszahlungen von über 70 Ländern zwar bis Mitte 2021 ausgesetzt. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) sprach von einem »starken Signal internationaler Solidarität«. Es beweise: Wenn es darauf ankomme, seien die G20 handlungsfähig. Kritikern geht das Moratorium der G20 jedoch längst nicht weit genug. So wurden die staatlichen Forderungen nicht reduziert, und private Gläubiger bleiben außen vor. Auch hier ist China gefordert. Für viele afrikanische und wohl auch südamerikanische Staaten ist die Regierung in Peking der größte Geldgeber.

»Familientreffen« nannte mancher G20-Teilnehmer in der Vergangenheit den Gipfel, der 2017 in Hamburg stattfand. Wobei besonders die sogenannten Kamingespräche unter vier oder sechs Augen geschätzt wurden. Legendär: Außerhalb des Protokolls kamen sich so Angela Merkel und Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi und Russlands Wladimir Putin politisch näher.

Dabei sind die Gipfel nur der sichtbarste Teil. »Im Vorfeld entwickelt sich zwischen den Regierungen ein dichter Prozess der politischen Abstimmung auf verschiedenen Arbeitsebenen«, heißt es aus dem Kanzlerinnenamt. Und die Themen für den Gipfel werden durch »die Sherpas« (O-Ton Bundesregierung) vorbereitet, die sich mehrmals im Jahr träfen. Deutscher Spitzensherpa ist der Ökonom Lars-Hendrik Röller, Sohn des früheren Dresdner-Bank-Chefs Wolfgang Röller. Er gilt als einer der engsten Vertrauten Merkels.

Bis Corona sollte ein anderes Großprojekt im Mittelpunkt des Gipfels stehen: Eine Reform der globalen Unternehmensbesteuerung. Sie soll verhindern, dass multinationale Konzerne Unterschiede zwischen Steuergesetzen verschiedener Nationalstaaten ausnutzen, um ihre Steuerlast zu reduzieren. Zukünftig sollen Konzerne angemessen zur Finanzierung der öffentlichen Haushalte beitragen. Die zustimmungsfähigen, durchaus weitgehenden Vorschläge der Industriestaatenorganisation OECD wurden ins nächste Jahr vertagt.

Derweil macht sich vorsichtiger Optimismus breit. Der IWF rechnet für dieses Jahr zwar noch mit einem Minus der Weltwirtschaft von insgesamt 4,4 Prozent. Doch für 2021 wird - auch von deutschen Ökonomen - wieder ein kräftiges Wirtschaftswachstum erwartet. China könnte mit einem überdurchschnittlichen Plus von etwa 9 Prozent weiterhin als Taktgeber der Weltwirtschaft agieren. Australiens Rohstoffexporteure werden davon profitieren.

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