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Die Übersichtlichkeit des Charles Bukowski

Kann man noch etwas Neues über Bukowski schreiben? Frank Schäfer hat es getan - mit seinem Handbuch »Notes on a Dirty Old Man«

Shortstories und Gedichte, damit wurde Charles Bukowski bekannt. Die Gedichte sind meistens besser, weil sie die kürzeren Shortstories sind: Erzählgedichte, ungereimt, brutal und lustig geht es ans alltäglich Eingemachte. Er hat zudem eine ziemlich geniale und auch traurige Autobiografie über seine Jugend verfasst. Und das berühmte, aber gar nicht so gute Buch über den Mann mit der Ledertasche, das davon handelt, wie er tagsüber für die Post schuftet und sich dann abends hinsetzt und seine Texte schreibt. Vom Ethos her toll, so soll man sich als Schriftsteller reinhängen, na klar, aber als Roman - naja. Bukowski hätte dieses Jahr 100. Geburtstag gefeiert. Geboren wurde er am 16. August 1920 in Andernach als Sohn einer deutschen Näherin und eines US-amerikanischen Soldaten, der die Familie 1923 mit in die USA nimmt. Bukowski wächst in Los Angeles auf, wo er auch stirbt, am 9. März 1994, an Leukämie.

Man hat das Gefühl, dass zu Bukowski schon alles gesagt und geschrieben worden ist. Doch man kann sich auch täuschen, wie Frank Schäfer in seinem neuen Bukowski-Würdigungsbuch »Notes on a Dirty Old Man« zeigt. Es ist benannt nach der berühmten Kolumne, die Bukowski von 1967 bis 1976 in verschiedenen Zeitschriften der US-amerikanischen Alternativszene schrieb: »Notes of a Dirty Old Man«. Die war ein Sammelsurium von Texten jeder Art (Traktate, Gedichte, Stories, Skizzen und Szenen). Schäfer hat auf 271 Seiten sein eigenes Bukowski-Sammelsurium zusammengestellt. Ein Anmerkungs- und Anekdotenapparat zum Wirken von »Buk«, wie ihn seine Fans nennen. Man könnte auch Handbuch dazu sagen, es gibt knapp 50 Kurzessays, thematisch geordnet von A bis Z, aber nicht biografisch-chronologisch. Schäfer nennt es eine »persönliche Bukowskipedia«.

Die Bücher

Frank Schäfer:

Notes on a Dirty Old Man
Verlag Zweitausendeins
272 S., geb., 17,90 €


Florian Günther:

Der Berliner Dichter und Fotograf Florian Günther ist der Herausgeber von »Drecksack«, dessen Untertitel »Lesbare Zeitschrift für Literatur« nicht übertrieben ist.

Im Sommer gab es eine sehr gute Sonderausgabe zum 100. von Bukowski.
Der »Drecksack« ist nun zehn Jahre alt geworden.
Herzlichen Glückwunsch!


Liebesgedichte oder sowas ähnliches
Moloko Print Verlag
172 S., kt., 14,80 €

Gedichte aus dem Hochparterre
Moloko Print Verlag
180 S., kt., 14,80 €

Aus der Traum. 75 Gedichte
Moloko Print Verlag
174 S., kt., 14,80 €

Lyrikbeilage vom 21. November herunterladen>>

Es geht um Bukowskis Verhältnisse, die gesundheitlich und die geistigen und die finanziellen. Aber auch die zu seiner Mutter, seinem Verleger, zu Gott, zur Homosexualität und zu seinem Übersetzer Carl Weissner, der ihn auf dem deutschen Markt durchsetzte, mit ein paar Tricks und vor allem mit dem kleinen Augsburger Maro-Verlag, dem er Bukowski gar nicht aufschwatzen musste, die waren schon vorher von ihm begeistert. Und dann gab Weissner dort eine Gedichtsammlung mit einem unwiderstehlichen Titel heraus: »Gedichte, die einer schrieb, bevor er im achten Stockwerk aus dem Fenster sprang«. Der Poptheoretiker Helmut Salzinger, gewissermaßen der Diedrich Diederichsen der frühen 70er Jahre, forderte daraufhin in »Sounds«, dass Bukowski Schullektüre werden müsste.

Im deutschsprachigen Raum schlugen diese Erzählgedichte über das Saufen, Abhängen, auf Pferde wetten, Lieben und Frustschieben und die damit verbundenen Gewalterfahrungen noch mehr ein als in den USA, weil ihre Form der lässigen Drastik und ihre Haltung des melancholischen Ausgeschlossenseins auf eine Schlips-und-Kragen-Literaturszene stießen, der so etwas offensiv Prosaisches völlig fremd war. Vielleicht den interessanteren Dichtern wie Jandl, Artmann oder Rühmkorf weniger, den Romanschriftstellern mit ihrem stupiden Beschreibungsfetischismus aber allemal. In den USA gab es für Bukowski mehr Konkurrenz, da hatte es schon in den 50er Jahren die Beats gegeben und vorher die Noir-Kriminalschriftsteller sowieso, die lange vor ihm angefangen hatten, keine erzählerischen Umwege mehr gehen zu wollen, sondern möglichst direkt zu werden - so wie es Elmore Leonard als einer von den Krimileuten formuliert hatte, als er zehn Regeln für das Schreiben aufstellte. Die zehnte Regel lautet: »Die Teile weglassen, die der der Leser wahrscheinlich überspringen wird«.

Genau das macht Bukowski in seinen Gedichten und genau so verfährt auch Frank Schäfer. Er ist Fan, Kritiker und Literaturwissenschaftler, allwissender Erzähler von Bukowskis Leben und dabei auch noch aufrichtiger Skeptiker der Legendenbildung, die Bukowski selbst kultivierte und vor allem sein Übersetzer Weissner, etwa, wenn er für den Buchrücken des ersten Bukowski-Bands in Deutschland ein Zitat von Henry Miller erfand: »Jede Zeile von Bukowski ist infiziert vom Terror des amerikanischen Albtraums«. Weissner behauptete auch über ihn: »Was er schreibt, ist eine Autobiografie in Fortsetzungen, in täglichen Raten - Stories eines Mannes, der weiß, dass er auf der Kippe steht; jeder Satz kann sein letzter sein, aber der Ton bleibt cool, gelassen, konzentriert«. Dieser Mann, der so viele Scheißjobs durchgemacht hatte, konnte ab Mitte der 70er Jahre sehr gut von seinen Texten leben. Und vom Image des Zerstörten, der auch ein bisschen so in die Kameras blickte, wenn welche da waren.

Für Schäfer sind Bukowskis Stil und seine Themen, für die er fünf Kategorien findet (»Schweinkram, Crime Stories, Fantastische Geschichten, Armutsgeschichten, Gonzoreportagen«) eine »kalkulierte und sehr effektvolle Entschlackung« des Literarischen. Geprägt von einer »na, sagen wir mal Übersichtlichkeit« und beseelt von einer fast schon klassenkämpferischen Mission: »Er will eine triviale Literatur, weil er gegen die hohe Literatur rebelliert, die nur mit einem Collegeabschluss zu verstehen oder halbwegs zu goutieren ist. Literatur, Kunst überhaupt, sollte nicht nur eine Beschäftigung für eine kleine Bildungselite sein, sondern für alle.« Und deshalb schreibt Bukowski so, »als würde er mit einem sprechen. Seine Kunst ist dialogisch, und das ist vermutlich eine der Hauptursachen seines Erfolgs«.

Im Schatten des Meisters

Florian Günther

Es ist schon merkwürdig: Du sagt,
du magst Randy Newman, und
schon kommt einer um die
Ecke und erzählt dir, dass ihn auch
Bukowski mochte. Du machst
dir ein Bier auf, und derselbe
Typ steht neben dir und
sagt: Bukowski war auch son
Säufer wie du.

Das Bukowski mein Held ist,
hab ich nie bestritten.

Aber allmählich gehen mir diese
Typen auf die Eier.

Man traut sich ja schon gar
nicht mehr zu pimpern, denn eh
du dichs versiehst, steckt einer
seinen Kopf zu dir herein und
sagt: Bukowski hatte auch ne Frau.

Sah genauso aus, wie die.


Wieder so ein Kritiker

Yeah, sagte er, ich weiß wie du das machst
mit deinen Gedichten: 'Ich riß ihr die Schlüpfer runter
und mit einem einzigen Stoß rammte ich ihr das Ding
bis rauf ins Hirn'.

Ha, ha, sagte ich.
Doch, doch, sagte er, ich weiß Bescheid wie das läuft
mit deinen Gedichten: 'Mir gefiel sein Gesicht nicht,
deshalb habe ichs ihm mit ner Flasche zu Matsch geschlagen,
und dann habe ich ihm das Hemd runtergerissen und den
Boden
damit aufgewischt.'

Yeah, sagte er, ich weiß genau wie du
das machst: 'Ich...'

Naja, weißt schon, was ich meine,
Mhm. Ich weiß, was du meinst.

Er stand auf und ging. Ich stand auf
und schmiß seine leeren Bierdosen
in die Mülltonne.

Dann setzte ich mich wieder
an meinen Drink.

Übersetzung: Carl Weissner

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