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Das Virus und die Weltmacht

Die Coronakrise macht den USA wirtschaftlich schwer zu schaffen und belastet damit zusätzlich das Verhältnis zu den Verbündeten

  • Marco Overhaus
  • Lesedauer: 7 Min.

Die Coronakrise hat weitreichende negative Konsequenzen für die US-Wirtschaft und für die öffentlichen Haushalte auf Landes- und Bundesebene. So prognostiziert der Internationale Währungsfonds für die USA 2020 in seinem World Economic Outlook vom Juni 2020 einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um acht Prozent. Um die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie abzufedern, haben die Trump-Administration und der Kongress bereits mehrere große Ausgabenpakete beschlossen. Damit könnte das Defizit des Bundeshaushalts auf das höchste Niveau seit dem Zweiten Weltkrieg ansteigen.

Verschärfend kommt hinzu, dass dieses enorme Haushaltsdefizit auf einen historisch hohen Schuldenstand trifft. 2009 lag der Anteil der öffentlichen Schulden der USA (nur auf Bundesebene) noch bei 52 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, 2019 waren es immerhin schon 79 Prozent. Laut Prognosen der Haushaltsbehörde des US-Kongresses könnte der Wert 2020 auf 101 Prozent hochschnellen. Aufgrund der weiterhin einmaligen Stellung des US-Dollar als weltweit wichtigster Reservewährung haben die USA zwar viel größere Spielräume beim Schuldenmachen als andere Länder. Die Aussicht auf einen öffentlichen Schuldenstand, der größer ist als die gesamte Wirtschaftsleistung der USA, dürfte aber den Druck auf Regierung und Kongress zur Begrenzung des Schuldenbergs stark erhöhen - und in beiden politischen Parteien die Argumente der Fiskalkonservativen stärken.

Marco Overhaus

Der Autor, Jahrgang 1975, ist Politikwissenschaftler. Er arbeitet in der Forschungsgruppe Amerika bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Unter anderem war er als Referent im Auswärtigen Amt tätig. Der hier veröffentlichte Text, entnommen der Novemberausgabe des außenpolitischen Journals »Welttrends«, erschien ursprünglich in einer Langfassung in der Publikationsreihe »SWP-Aktuell«. Der Beitrag wurde vor der US-Präsidentenwahl geschrieben, eröffnet aber in der Analyse der Folgen, die aus der Coronakrise erwachsen, eine Perspektive weit darüber hinaus. Im jüngsten »Welttrends«-Heft ist der Artikel von Overhaus Teil eines Themenschwerpunkts »Die USA nach vier Jahren Trump«.

Zum Weiterlesen: welttrends.de

Historisch betrachtet, hingen die Höhen und Tiefen des US-Verteidigungshaushalts weniger von der wirtschaftlichen Lage der USA als vom jeweiligen sicherheitspolitischen Umfeld ab. Entscheidend waren die jeweiligen Bedrohungswahrnehmungen der Entscheidungsträger. Entsprechend hoch waren die Ausgaben in Zeiten internationaler Spannungen und Kriege: der Zweite Weltkrieg, der Korea-Krieg, Vietnam und die Kriege in Irak und Afghanistan.

Zuletzt zeigte die globalen Finanzkrise nach 2008, wie stark die politischen Beharrungskräfte zugunsten hoher Militärausgaben in den USA sind. Trotz der damaligen Krise blieb das Militär von tiefen Einschnitten weitgehend verschont. Das Gesetz zur Kontrolle des Haushalts von 2011 definierte zwar Ausgabenobergrenzen für das US-Militär. Aufgrund von Haushaltskompromissen zwischen den beiden Parteien griffen die Kürzungsvorgaben des Gesetzes für das Militär jedoch erst 2013. Die dann folgenden Einschnitte in Höhe von 37 Milliarden US-Dollar waren für das US-Verteidigungsministerium zwar schmerzhaft. Im historischen Vergleich (gemessen in absoluten und inflationsbereinigten Zahlen) blieben die Ausgaben dennoch auf hohem Niveau - und begannen während der ersten beiden Amtsjahre von Trump wieder deutlich zuzulegen.

Ob die USA »zu viel« oder »zu wenig« für ihre Verteidigung ausgeben, hängt ohnehin von den jeweiligen sicherheitspolitischen Prioritäten als Bewertungsmaßstab ab. So kam eine vom Kongress eingesetzte überparteiliche Expertenkommission 2018 sogar zu dem Schluss, dass sich die USA am Rande der »strategischen Insolvenz« befänden. Die Schlussfolgerungen basierten allerdings auf der impliziten Annahme, dass die USA überall ihre militärische Dominanz wahren müssen - sowohl mit konventionellen als auch mit atomaren Waffen.

Die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie dürften künftig die Einsicht in der Administration und im Kongress stärken, dass die USA sicherheits- und verteidigungspolitisch nicht mehr alles machen können und Prioritäten setzen müssen - zumal, wenn der Ausweg über hohe Haushaltsdefizite und Schuldenstände nicht mehr so offen steht wie früher.

Unter dem Schlagwort des principled realism (prinzipieller Realismus) hat die Trump-Administration die Bedeutung nationaler Souveränität starker, unabhängiger Staaten hervorgehoben. Der Unilateralismus ist seit Jahrzehnten - mehr bei der Republikanischen als bei der Demokratischen Partei - eine starke Strömung in der US-Außenpolitik. Donald Trump hat das Souveränitätsdenken und den Nationalismus jedoch zu einer zentralen Kategorie in der Außenpolitik erhoben. Diese Sichtweise hat sich auch im Verhalten der USA in der Coronakrise deutlich niedergeschlagen. So hat Washington früher als Europa und andere mit nationalen Abschottungsmaßnahmen auf die Krise reagiert, multilaterale Institutionen wie die Weltgesundheitsorganisation offen infrage gestellt und sich internationalen Initiativen zur Bewältigung der Krise weitgehend entzogen.

Die Coronakrise könnte in Washington insofern zu einem Umdenken führen, dass nichtmilitärische, globale Bedrohungen wie Pandemien wieder stärker in den Fokus rücken. In der Trump-Administration gibt es jedoch keine Anzeichen dafür, dass dies auch zu einer größeren Wertschätzung multilateraler Zusammenarbeit führen könnte. Eine Rückkehr der USA zu mehr internationaler Zusammenarbeit bei der Bewältigung globaler Gefahren wäre wohl nur im Falle eines Machtwechsels im Weißen Haus zu erwarten. Der demokratische Herausforderer Trumps, Joe Biden, verspricht in der Außenpolitik auch »mehr Offenheit, mehr Kooperation und mehr Allianzen« als Gegenentwurf zu Donald Trump.

Mehr Kontinuität als Wandel dürfte in Washington auch nach einem möglichen Wahlsieg Bidens dagegen mit Blick auf die Großmächtekonkurrenz mit China herrschen. Berichte, denen zufolge China auch während der Pandemie seinen aggressiven Kurs im Südchinesischen Meer weiter verfolgt und die Öl- und Gas-Exploration anderer Staaten in der Region behindert hat, stützen Befürchtungen in beiden politischen Lagern in Washington, dass Peking die Corona-Pandemie nutzen will, um die USA in der Welt zu schwächen und seinen expansiven außen- und sicherheitspolitischen Kurs fortzusetzen. Die chinesische Führung verkündete, trotz Corona im laufenden Jahr die Ausgaben für Verteidigung um 6,6 Prozent zu steigern - weniger Zuwachs als im letzten Jahr, aber immer noch robust.

Die Ergebnisse einer Umfrage des Pew Research Center zeigen zudem, dass auch bei den Anhängern der Demokraten die negativen Sichtweisen gegenüber China während der Coronakrise weiter zugenommen haben.Insgesamt scheint sich der Anti-China-Konsens sowohl unter den außenpolitischen Eliten als auch in der Bevölkerung während der Pandemie weiter gefestigt zu haben. So verwundert nicht, dass auch Herausforderer Biden betonte, dass er »tough with China« (hart gegenüber China) sein wolle.

Die kritische Sicht auf China wird flankiert durch die im Pentagon und in beiden politischen Parteien verbreitete Erwartung, dass auch andere Gegenspieler der USA wie Russland, Iran oder Nordkorea Covid-19 als Möglichkeit zur Schwächung der USA sehen. Diese überparteilich geteilten Bedrohungswahrnehmungen lassen es zumindest kurz- und mittelfristig - in den kommenden vier bis sechs Jahren - wenig plausibel erscheinen, dass sich die USA in der Folge der Coronakrise von ihren verteidigungspolitischen Bündnissen in Asien und Europa distanzieren oder sogar trennen. Corona wird allerdings dazu beitragen, dass Konflikte über Lastenteilung mit den Bündnispartnern - nicht zuletzt mit Deutschland - weiterhin offen und teilweise heftig ausgetragen werden, und zwar auch dann, wenn der nächste US-Präsident Biden heißt.

Die Beharrungskräfte im außen- und sicherheitspolitischen Establishment der USA und der Konflikt mit China sprechen gegen eine grundsätzliche Kurskorrektur der US-amerikanischen Politik - zumindest in den ersten Jahren nach der Pandemie. Langfristig jedoch könnten die gesellschaftlichen Folgen von Corona einen Prozess beschleunigen, der sich bereits seit dem Ende des Kalten Krieges in den USA beobachten lässt. Die gesellschaftliche Zustimmung zu kostenträchtigen internationalen Verpflichtungen und zu einem auf wirtschaftliche Öffnung ausgerichteten außenpolitischen Narrativ ist nicht bedingungslos. Sie hing in den sieben Dekaden nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs von dem glaubwürdigen Versprechen größerer wirtschaftlicher Inklusivität und Gleichheit innerhalb der US-Gesellschaft ab. Die Enttäuschung darüber, wie weit die USA von diesem hehren Ziel entfernt sind, ebnete 2016 Donald Trump den Weg ins Weiße Haus.

Politisch brisant ist heute der massive Einbruch des Arbeitsmarktes infolge der Pandemie. Laut einem Bericht der Vereinten Nationen sind 40 Prozent der Haushalte in den USA nicht in der Lage, unvorhergesehene Ausgaben in Höhe von mehr als 400 US-Dollar zu stemmen, ohne neue Schulden aufzunehmen oder einen Teil ihres Eigentums zu veräußern. So könnte Corona auf längere Sicht - über die Spanne von zwei oder drei Präsidentschaften hinweg - die gesellschaftlichen Grundlagen für eine global ausgerichtete US-amerikanische Sicherheitspolitik weiter schwächen.

Deutschland und andere europäische Partner der USA müssen sich darauf einstellen, dass die USA bereits vorher jenen Weltregionen sicherheitspolitisch den Rücken kehren, die für die EU besonders relevant sind, wie Afrika und dem Mittleren Osten. So könnte Europa dort in Zukunft noch mehr auf sein eigenes sicherheitspolitisches Gewicht angewiesen sein. Die Idee von einer größeren Eigenständigkeit Europas von den USA bekäme eine neue Bedeutung.

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