»Guatemalas herrschende Klasse bedient sich«

Danilo Rivero über die Massenproteste gegen den Haushalt der Regierung

  • Knut Henkel
  • Lesedauer: 4 Min.

Feuer im Parlament, eine Demonstration mit mehr als 10 000 Teilnehmern, die gegen Korruption und die Verabschiedung des Haushalts durch das Parlament protestierten, ein Vizepräsident, der den Präsidenten Alejandro Giammattei zum Rücktritt aufforderte. In Guatemala zeichnet sich eine erneute politische Krise ab, richtig?

Ja, die Geschichte wiederholt sich, denn die Korruption ist eine Geißel unserer Gesellschaft. Das international Aufsehen erregende Feuer im Parlament könnte allerdings durch Provokateure gelegt worden sein - ich habe mehrere sehr aggressiv auftretende junge Männer beobachtet, die dafür verantwortlich sein könnten. Diese Bilder könnten gewünscht gewesen sein, das Ganze könnte fingiert sein, denn es kursieren auch Bilder, die zeigen, dass im Parlament alles zum Löschen bereit stand. Warum?

Auffällig war auch, dass Spezialeinheiten der Polizei überall präsent waren, nur nicht am und um das Parlament - das ist komisch. Zudem waren Türen und Fenster des Parlaments geöffnet. All dieses Details sind für mich sehr widersprüchlich. Zudem ist die Demonstration, die vor dem Präsidentenpalast begann, pazifistisch aufgetreten - ich teile die Einschätzung von einer gewaltbereiten Demonstration nicht, die vor allem im Fernsehen transportiert wird.

Danilo Rivero

Der Experte für ländliche Entwicklung und Migration arbeitet für die Vereinigung für den Fortschritt der Sozialwissenschaften in Guatemala (AVANCSO). Er hat die Demonstrationen in Guatemala-Stadt am Samstag beobachtet. Über die Lage in Guatemala sprach mit Rivero für »nd« Knut Henkel.

Was ist der Auslöser der Proteste?

Ein Haushalt, der auf Schulden fußt und der der Korruption Tür und Tor öffnet. Es sind vor allem die großen Konzerne, die davon profitieren sollen. Kleine, mittelständige Unternehmen, aber auch die Bauern und die einfache Bevölkerung bleiben außen vor. Sie sollen in der Pandemie keine Unterstützung erhalten - die herrschende Klasse bedient sich und der Rest geht leer aus.

Das ist der Auslöser der Proteste und hinzu kommt, dass für die Opfer der Hurrikans »Eta« und »Iota« kaum Mittel bereitgestellt wurden - das schürt die Wut auf eine Regierung, die die Korruption erleichtert. Auch für die Bekämpfung der Unterernährung, ein gravierendes Problem in Guatemala, sind keine ausreichenden Mittel zur Verfügung gestellt worden - das kann Menschenleben kosten.

Hinzu kommt, dass der Haushalt nachts im Schnellverfahren ohne Diskussion durchgepeitscht wurde und dass bei den Sozialausgaben der Rotstift angesetzt wurde. Auch für das Gesundheitssystem wurde trotz Pandemie nicht mehr Geld bewilligt. Die Demonstration ist ein erster Aufschrei gegen all diese Versäumnisse ....

Hat Guatemala erneut eine korrupte Regierung?

Ja, die zudem enge Verbindungen zu Drogenringen haben könnte. Dafür spricht auch, dass parallel die Justiz geschwächt wird - durch die Wahl von Richtern, die als korrupt bekannt sind. Seit dem Abzug der UN-Kommission gegen die Straflosigkeit in Guatemala (CICIG) im September 2019 wird versucht, die Justiz unter Kontrolle zu bringen. Das ist Teil der Realität und ein weiterer massiver Rückschritt für die Demokratie in Guatemala.

Werden die Proteste Folgen haben? Vizepräsident Guillermo Castillo hat Präsident Alejandro Giammattei zum Rücktritt aufgefordert - mit Verweis auf den undemokratisch verabschiedeten Haushalt.

Die Proteste, die sich in dieser Woche ausweiten könnten, werden sicherlich einen Dialog zwischen Regierung und Zivilgesellschaft zur Folge haben. Aber ich habe kaum Hoffnung, dass es grundsätzliche Änderungen geben wird. Präsident Alejandro Giammattei interessiert die Zivilgesellschaft nicht sonderlich.

Wie beurteilen Sie die Bilanz der ersten zehn Monate von Alejandro Giammattei - der Auftakt mit den Maßnahmen gegen die Pandemie war doch eher positiv?

Das ist richtig, im März und April hat er umsichtig reagiert, um die Verbreitung des Coronavirus einzuschränken. Grundsätzlich war aber kein Gesundheitssystem in der Region auf eine Pandemie vorbereitet, und das guatemaltekische wurde in den vergangenen Jahren kaputtgespart. Da hätte Giammattei durchaus Initiativen ergreifen können, aber die Tendenz zur Privatisierung der Gesundheitsversorgung setzt sich fort.

Das kommt nicht überraschend, denn Alejandro Giammattei ist in Guatemala kein Unbekannter. Er hat drei- oder sogar viermal für die Präsidentschaft kandidiert. Alle, die es wissen wollten, wussten, dass er korrupt, erzkonservativ ist und wenig von Transparenz hält. Das hat sich mit diesem Haushalt mehr als bestätigt. Aber es hat seit April auch mehr und mehr Enthüllungen von Korruptionsfällen gegeben. Was mich überrascht hat, ist die Tatsache, dass er sehr repressiv vorgeht. Die Polizei hat am Samstag Tränengasgranaten, aber auch Gummigeschosse in Augenhöhe verschossen - es gibt ein Todesopfer und mehrere Schwerverletzte. Giammattei tritt immer autoritärer auf.

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