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Wohlstand muss bei Kindern ankommen
Die christliche Kinderstiftung Arche ruft neuen Aktionstag gegen Kinderarmut und Ausgrenzung aus
»Der gesellschaftliche Misserfolg ist der Erfolg der Arche«, sagte der Gründer der christlichen Kinderhilfsorganisation Arche am Dienstag anlässlich des 25-jährigen Jubiläums der Stiftung am 25. November. Damals waren es »20 Kinder in meinem Wohnzimmer«, so Pfarrer Bernd Siggelkow. Inzwischen gibt es bundesweit 27 Arche-Standorte für rund 4500 Kinder mit Freizeit-, Essens-, und Bildungsangeboten. Der Jahresbedarf der Arche, fast vollständig durch Spenden finanziert, liegt nach Angaben Siggelkows bei zwölf Millionen Euro. Der Arche-Förderkreis der DekaBank steuerte nach eigenen Angaben in den vergangenen zwölf Jahren rund zwei Millionen Euro bei.
Doch ein Grund zum Feiern ist die »Expansion« der Arche für Siggelkow nicht. Zwar sind fast 20 Jahre vergangen, seit der erste Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung vorgelegt wurde. Man kann nun nicht mehr einfach behaupten, dass es in Deutschland keine Kinderarmut gebe. Doch seitdem habe sich die Armutsrate von Kindern in Deutschland verdreifacht, so Siggelkow. Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung wächst in Deutschland fast jedes fünfte Kind in Armut auf, das sind hochgerechnet 2,8 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. »Wir haben gesellschaftspolitisch zu wenig unternommen, um uns für Kinder starkzumachen, die in existenziellen Nöten leben.« Dies möchte Siggelkow mit dem am Dienstag zum ersten Mal ausgerufenen Aktionstag gegen Kinderarmut und Ausgrenzung am 24. November ändern: »Wir möchten das 25-jährige Jubiläum der Arche nutzen, um den Kindern in der Gesellschaft eine Stimme zu geben.«
Auch der Soziologe Lars Alberth kritisiert, dass Kinder gesellschaftlich marginalisiert seien und an vielen Stellen Räume für sie fehlten. Häufig scheiterten sie, wenn sie Hilfe suchen. Wiederholte Beschwerden würden oft abgetan mit: »Nun ist es aber gut«, so der Professor für Theorien und Methoden der Kindheitsforschung im Porträt der Leuphana Universität Lüneburg.
Siggelkow und sein Aktionsbündnis fordern konkret die Einführung einer Kindergrundsicherung in Höhe von 600 Euro pro Monat. Diese solle zur Hälfte direkt an die Familien fließen, zur anderen Hälfte an Bildungseinrichtungen. Eine Kindergrundsicherung fordert auch die Linke. Zudem fordert das Bündnis, Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern, einen umfassenden Kinderschutz mit niedrigschwelligen Angeboten und Chancengleichheit durch Bildung unabhängig vom Einkommen der Eltern. Eine weitreichende - und wohl derzeit kaum mehrheitsfähige - Forderung ist die Ablösung des föderalen Schulsystems durch ein einheitliches, bundesweites Schulsystem, das sich an den Bedürfnissen der Kinder orientiert.
Die Corona-Pandemie wird sich voraussichtlich negativ auf Kinderarmut auswirken. Siggelkow sprach vom herausforderndsten Jahr, das er je erlebt habe: »Die Kinder sind müde, die Eltern überfordert und die Familien an der Grenze ihrer Kraft.« Insbesondere nimmt er einen gewachsenen Bedarf an Freizeitgestaltung und schulischer Unterstützung wahr. Ein Bereich, in dem ohnehin eine starke Unterversorgung bestehe. Um den Infektionsschutz zu wahren, bietet die Arche derzeit digitale Hausaufgabenbetreuung an. »Da sind wir geforderter denn je«, sagt Siggelkow. Auch am Wochenende bekämen Mitarbeiter Anrufe, um Hausaufgaben zu besprechen. Die Kinder könnten wegen der Abstandsregeln- und Kontaktbeschränkungen meist nur noch einmal pro Woche in die Einrichtungen kommen. Weltweit prognostiziert das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen Unicef einen Anstieg der Kinderarmut um 15 Prozent.
»Unsere Gesellschaft treibt benachteiligte Kinder an den Rand«, sagt Siggelkow und kritisiert, dass der wirtschaftliche Wohlstand des Landes nicht bei den Kindern ankomme. Es werde oft gesagt, dass Kinder unsere Zukunft sind. Aber: »Kinder sind unsere Gegenwart«, so Siggelkow. »Es ist unsere Aufgabe, jungen Menschen eine Perspektive zu geben.«
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