- Wirtschaft und Umwelt
- Befristete Beschäftigungsverhältnisse
Frist bleibt Frust
Bildungsgewerkschaft kämpft nach zehn Jahren Kampagne immer noch für mehr Dauerstellen an Unis
Es war ein zwiespältiges Jubiläum, das die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) am Donnerstag mit einer Konferenz begangen hat. Vor zehn Jahren startete die Gewerkschaft mit ihrem »Templiner Manifest« eine Kampagne für bessere Arbeitsbedingungen im »Mittelbau« der Hochschulen. Und trotzdem besteht das alte Problem fort: Das Gros der wissenschaftlichen Mitarbeiter ist noch immer befristet beschäftigt, hangelt sich von Vertrag zu Vertrag. Und die Coronakrise hat die Situation vieler noch verschärft.
Der Einsatz der Gewerkschaft und der Betroffenen für den »Traumjob Wissenschaft« ist also genauso dringlich wie 2010. Der stellvertretende GEW-Vorsitzende Andreas Keller verwies am Donnerstag erneut darauf, dass sich der Anteil der befristet Beschäftigten seit der Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes 2016 und der Verabschiedung des »Qualitätspakts Lehre« an Unis um nur einen Prozentpunkt auf 89 Prozent verringert hat. An den Fachhochschulen ist der Anteil der dauerhaft Angestellten etwas höher. Das hatte eine im Auftrag der GEW erarbeitete und im März veröffentlichte Studie ergeben. Nur die durchschnittliche Dauer der Erstverträge für wissenschaftliches Personal hat sich demnach um vier auf gut 28 Monate verlängert.
Die Gewerkschaft hat wegen der unveränderten Situation Zehntausender, die neben Promotion oder Habilitation Studierende betreuen, Seminare geben und viele andere Aufgaben erledigen, eine Onlinepetition unter dem bekannten Kampagnenmotto »Dauerstellen für Daueraufgaben« gestartet. Darin fordert sie, dass mindestens die Hälfte des wissenschaftlichen und künstlerischen Personals auf unbefristeten Stellen beschäftigt werden sollte. Weiter verlangt die Gewerkschaft eine Verbesserung der Grundfinanzierung der Hochschulen um 40 Prozent. Eine von der GEW in Auftrag gegebene und nun veröffentlichte Expertise zeigt, dass der Anteil unbefristeter Beschäftigungsverhältnisse in dem Maße steigt, wie sich die finanzielle Ausstattung der Einrichtungen verbessert. Anne Krüger, Ko-Autorin der Untersuchung zu »Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen in der Wissenschaft seit 2006«, wies darauf hin, dass der Status quo auch einen »permanenten Wissensabfluss« bedingt.
In der Petition werden außerdem wirksame Mitbestimmungsrechte für das wissenschaftliche Personal gefordert. Zudem müssen nach Ansicht der Gewerkschaft wegen der coronabedingten Beeinträchtigungen der Arbeit sämtliche befristeten Verträge um mindestens zwölf Monate verlängert werden.
Auf der Konferenz herrschte überraschende Einigkeit, was das Ziel von 50 Prozent Dauerstellen betrifft. Selbst Michael Meister (CDU), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesbildungsministerium, bekannte sich in seinem Referat dazu, ebenso auf einer Podiumsdiskussion die Hochschulexperten der demokratischen Bundestagsfraktionen.
Sie unterstützten zudem die Forderung in der Petition nach einem gleichberechtigten Zugang zu wissenschaftlichen Karrieren unabhängig von Geschlecht, familiärer Situation, sozialer Herkunft und körperlichen Beeinträchtigungen. Kai Gehring (Grüne) erinnerte daran, dass über all diese Fragen bereits seit 15 Jahren diskutiert werde, ohne dass sich viel geändert habe. Nicole Gohlke (Linke) äußerte die Hoffnung, dass die parteiübergreifende Einigkeit zu schnellen Veränderungen führt. Sie erinnerte daran, dass ihre Fraktion in dieser und der vorigen Legislaturperiode beantragt habe, dass die Bundesregierung jede neu geschaffene feste Stelle im Wissenschaftsbetrieb zwei Jahre lang mit 10 000 Euro fördern solle, um so einen Anreiz für die Erhöhung des Anteils der unbefristeten Stellen zu schaffen. Dies sei aber jeweils nicht nur von der Großen Koalition, sondern auch von den anderen Oppositionsparteien abgelehnt worden. Stefan Kaufmann (CDU) merkte an, die Initiative der Linken sei zwar »etwas überambitioniert« gewesen, zeigte sich aber im Grundsatz offen für eine »Entfristungsinitiative« des Bundes.
Höchste Zeit dafür wäre es, denn die miserablen Bedingungen führen dazu, dass der Nachwuchs massenhaft ins Ausland oder in die Wirtschaft abwandert.
Sonja Bolenius vom DGB-Bundesvorstand verwies in einem Kommentar während der auf Facebook live übertragenen Konferenz auch darauf, dass ein Großteil der befristeten Jobs auch noch Teilzeitstellen sind. »Das reicht für viele nicht wirklich zum Leben«, schrieb die Gewerkschafterin. Dies war eines der Ergebnisse des Mitte November veröffentlichten DGB-Hochschulreports. Dieser habe auch offenbart, dass der Anteil der unbezahlten Überstunden wächst, je kürzer die vertragliche Arbeitszeit ist, berichtete Bolenius und forderte: »Die Vollzeitstelle muss das Regelarbeitsverhältnis werden. Auch in der Wissenschaft!«
Es wird also bei den Betroffenen, die sich in den letzten Jahren zunehmend organisierten, weiter einen langen Atem brauchen. Zumal auch Projekte wie das sogenannte Tenure-Track-Programm, mit dem unter anderem einige Juniorprofessuren geschaffen wurden, nach Angaben von GEW-Vize Keller vor allem den »Ausstieg aus der Wissenschaft« gestalten. Die entsprechenden Personalentwicklungskonzepte würden die Perspektiven für eine dauerhafte Beschäftigung an Hochschulen und Unis selbst kaum verbessern, monierte Keller.
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