- Politik
- Sozialpolitik der AfD
Neoliberale Kümmerer
Rente, Grundsicherung, Staatsbürgergeld: Die AfD will auf ihrem Bundesparteitag sozialpolitische Leitlinien verabschieden
AfD-Parteichef Jörg Meuthen befindet sich in einem Zwiespalt: Über Jahre hat die Partei mit sich gerungen, wie sie sich in der Sozialpolitik positionieren soll. Rente, Grundsicherung, Arbeitslosengeld - zu all diesen Fragen hatte die AfD bisher keine einheitliche Antworten. Bisher war das durchaus so gewollt: Die Marktradikalen um Meuthen adressieren mit ihren Vorstellungen von einem möglichst schlanken Staat eine andere Zielgruppe als der national-soziale Flügel um Björn Höcke. Der Thüringer AfD-Landeschef ist auch der Auslöser dafür, warum sich die Partei an diesem Wochenende im nordrhein-westfälischen Kalkar zu ihrem Sozialparteitag trifft. Geplant ist dieser schon länger. Höcke beantragte solch ein Treffen bereits vor zwei Jahren auf dem Bundesparteitag in Augsburg. Seitdem wurde der Sozialparteitag mehrfach verschoben, zuletzt platzte der Termin im Frühjahr aufgrund der ersten Coronawelle. Das Wiederaufflammen der Infektionszahlen seit Oktober hält die AfD dieses Mal jedoch nicht davon ab, mit 600 Delegierten in Präsenz zusammenzukommen.
Augsburg war für Meuthen auch das Signal, dass es für seine marktradikalen Ansichten in der AfD in dieser Form keine Mehrheiten gibt. Seine damals gehaltene sozialpolitische Rede riss im Saal kaum jemanden vom Stuhl. Der Vorschlag des Parteichefs: Die durch Beiträge von Angestellten und Unternehmern finanzierte gesetzliche Rentenversicherung abschaffen und durch eine steuerfinanzierte Mindestrente ersetzen. Alles darüber hinaus sollte durch private Altersvorsorge finanziert werden. Meuthens Vorstellung steht fundamental dem entgegen, was Höcke und der ebenfalls aus Thüringen stammende AfD-Sozialpolitiker Jürgen Pohl unter »sozialem Patriotismus« verstehen. Dieser steht für mehr Staat in der Sozialpolitik, etwa durch mögliche Rentenzuschläge, die allerdings nur für deutsche Staatsbürger offen wären. Zwei Jahre nach Augsburg hat sich die AfD-Programmkommission auf einen Leitantrag verständigt, der versuchen soll, allen Seiten irgendwie gerecht zu werden.
Unter anderem vorgesehen: Abgeordnete, Selbstständige und ein Großteil der Beamten sollen künftig auch Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen, Ausnahmen würden für Bundeswehr, Polizei, Zoll und Justiz gelten. Gleichzeitig aber soll das Rentenniveau von 47 auf 44 Prozent abgesenkt werden. Stattdessen will man die private Altersvorsorge weiter stärken.
Das Wie bleibt im Leitantrag reichlich unkonkret, deutet aber eine starke Deregulierung an. Es ist die Rede davon, die Einkommenssteuerbefreiung für kapitalgedeckte Altersvorsorgemodelle wie Riester- und Rürup-Rente abzuschaffen und »durch flexiblere sowie unbürokratischere Modelle« zu ersetzen.
Für Kinder mit deutscher Staatsbürgerschaft und dauerhaftem Lebensmittelpunkt in der Bundrepublik soll der Staat von der Geburt bis zum 18. Lebensjahr monatlich 100 Euro auf ein Spardepot einzahlen. Ob das Geld danach ausgezahlt wird oder was damit konkret passiert, lässt der Leitantrag offen.
Wirkliche Änderungen in der Gesundheitspolitik sieht der Leitantrag nicht vor. Das System aus gesetzlicher und privater Krankenversicherung soll bestehenbleiben, expliziet gelobt wird der Wettbewerb als »sinnvoll«, von dem »alle« profitieren. Eine Zusammenlegung wird kategorisch mit dem Argument abgelehnt, dass sich aus einer »Einheitskasse« eine »Holzklasse« mit schlechteren Leistungen entwickeln würde.
Auf dem Weg zur nächsten NPD
Debatte zum weiteren Umgang mit der AfD entbrannt
So richtig zufrieden scheinen in der AfD mit diesem Leitantrag allerdings viele nicht zu sein. Dem Antragsheft zufolge liegen dem Parteitag 42 Änderungsanträge vor, die keinesfalls nur im Detail Kritik an den Vorschlägen der Programmkommission üben. Ein Antrag stammt ausgerechnet vom Bundesfachausschuss, der für Rente, Arbeit sowie Sozialpolitik zuständig ist und dem zufällig auch Meuthen angehört. Das Gremium will den ausgehandelten Kompromiss torpedieren und schlägt stattdessen ein Sozialkonzept vor, dass im Prinzip den von Meuthen entwickelten marktradikalen Vorstellungen entspricht. Kommt dieser Antrag nicht durch, hält sich der Fachausschuss eine Hintertür offen. Er will die Delegierten darüber abstimmen lassen, das Gesamtkonzept noch einmal überabreiten zu lassen.
Nicht im Leitantrag enthalten, aber ausgerechnet von Meuthen und Co-Parteichef Tino Chrupalla eingebracht wird ein Antrag für ein sogenanntes Staatsbürgergeld. Das Konzept sieht vor, dass jeder deutsche Staatsbürger monatlich 500 Euro vom Staat erhält. Im Gegenzug würden viele Sozialleistungen wie Hartz IV, Elterngeld und BAföG wegfallen. Kombiniert werden soll dieses Modell mit einer radikalen Vereinfachung der Einkommensteuer, die dann nur noch Sätze in Höhe von 25 Prozent (bis 250 000 Euro) und 50 Prozent vorsieht.
Wirklich geheuer scheint Chrupalla das Konzept aber nicht zu sein. Er unterstütze zwar eine Überprüfung der Machbarkeit, sagte aber, der Vorschlag stamme »aus dem Zentrallabor des Neoliberalismus«.
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