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Faule Ausreden
Asiens Erfolge in der Pandemie zeigen: Es kommt weniger auf die Mentalität der Menschen an, sondern auf konsequente Politik.
In den Diskussionen zur Corona-Pandemie hört man immer wieder, ein gewichtiger Grund, weshalb die Infektions- und Todeszahlen in einigen asiatischen Ländern so niedrig lägen, sei eine ominöse »asiatische Mentalität«. Dabei kursieren in den Köpfen hierzulande recht konkrete Vorstellungen davon, was diese Mentalität ausmacht. Asiatische Menschen dächten kollektiver als im Westen, heißt es. Außerdem seien sie es gewohnt, sich ihrer Obrigkeit widerspruchslos unterzuordnen; soziale Kontrolle, auch auf elektronischem Weg, interessierten sie kaum. Alles Punkte, die die Bekämpfung des Virus in ihren Heimatländern deutlich einfacher mache.
Dazu ist zunächst einmal zu sagen, dass es so etwas wie eine asiatische Mentalität nicht gibt. Asien ist als Kontinent deutlich diverser als Europa. Der Iran gehört dazu, genauso wie der größte Teil Russlands, die Türkei, Israel oder Indien. In diesen Staaten ähnelt das Pandemiebild durchaus dem in den Staaten des globalen Westens. Im Iran zum Beispiel ist das Virus offenbar seit Monaten außer Kontrolle. Nur in Indien sieht es - was die Sterblichkeit angeht - etwas besser aus, wofür selbst indische Wissenschaftler bisher keine tragfähige Erklärung haben.
Keine einheitliche Strategie
Mit »asiatischer Mentalität« in der Regel tatsächlich gemeint ist die Ostasiens - also China, Japan und Korea. Allenfalls ist dabei noch Südostasien eingeschlossen, das von Myanmar über Vietnam bis nach Indonesien reicht. Doch auch hier sind die Menschen kulturell sehr heterogen und unterscheiden sich mindestens so voneinander, wie ein idealtypischer Portugiese von einem ebenso typischen Norweger. Hinzu kommt, dass die Regierungsformen in diesem Teil der Welt hoch divers sind - sie reichen von autoritären Diktaturen bis zu liberalen parlamentarischen Demokratien nach westlichem Vorbild -, genauso wie das Wohlstandsniveau und die daran gekoppelte medizinische Versorgung. So zählen Japan oder Südkorea zu den Staaten mit einem der höchsten Pro-Kopf-Einkommen weltweit, während Kambodscha oder Laos am unteren Ende der Skala rangieren. Auch das sind Unterschiede, die sich auch auf das Denken und Fühlen der Menschen auswirken.
So sind denn auch die Maßnahmen, die die Staaten der Region zur Pandemiebekämpfung ergriffen haben, nicht einheitlich ausgefallen. China oder Vietnam haben sehr stark auf harte Lockdowns gesetzt, jedenfalls in bestimmten Regionen, Thailand und Taiwan auf frühzeitige Schließung der Grenzen, Südkorea auf konsequentes Testen und Nachverfolgen von Infektionen, während Japan ganz auf Lockdowns verzichtet und stattdessen mehr an die Eigenverantwortung appelliert hat. Natürlich gibt es neben den Unterschieden auch einige kulturelle Gemeinsamkeiten in den Staaten der Region, und ja, es mag sein, das einige davon - wie das traditionelle Tragen von Atemschutzmasken im Winter - geholfen haben, das Virus schneller unter Kontrolle zu bekommen. Nur waren diese Aspekte nicht entscheidend.
Viel wichtiger war, dass etliche Regierungen Ost- und Südostasiens früh und deutlich kommuniziert haben, dass das Virus hochansteckend und gefährlich ist. Genauso schnell wurden nicht nur Maßnahmen ergriffen, sondern auch den Menschen konkrete Handlungsanweisungen gegeben. Kaum hatten die Medien über den Ausbruch in Wuhan berichtet, gab es auf Plakaten, Flyern, LED-Screens und Bannern in den Straßen Pekings dezidierte Empfehlungen: Maske tragen, Hände waschen, Wohnung lüften, Abstand halten.
Genau diese klare Kommunikation zu Covid-19 hat zu Beginn der Pandemie in Deutschland und in den meisten anderen westlichen Staaten gefehlt. Zwar wurde die Gefährlichkeit des Virus von der deutschen Bundesregierung nicht so lange geleugnet wie von den Regierungen Großbritanniens oder dem Präsidenten der USA. Aber auch hierzulande behauptete der Gesundheitsminister Ende Januar noch, das Infektionsgeschehen bei der »neuen Lungenkrankheit« sei milder als bei einer Grippe. Selbst der Virologe Christian Drosten erzählte am 28. Januar in der Tagesschau, es gäbe für den normalen Bürger im Moment keinen Grund zur Sorge, sich im Alltag zu infizieren, und riet bis Ende Februar von der Beschaffung und dem Tragen von Alltagsmasken ab.
Abgesehen von einem deutlich zu späten Handeln, haben diese frühen abwiegelnden Botschaften das Vertrauen der Bevölkerung in den westlichen Nationen in die Kompetenz ihrer Regierungen und Behörden untergraben, vor allem als sie wenig später korrigiert werden mussten. Das war nicht nur die Initialzündung für die Corona-Leugner-Bewegungen; es hat auch dazu geführt, dass Teile der Bevölkerung viele dieser späteren Empfehlungen eher auf die leichte Schulter nahmen. Auch das ein Grund, weshalb die Infektionszahlen im Westen nach anfänglichen Erfolgen wieder in die Höhe schnellten.
Dass aber klare Kommunikation und sofortiges entschlossenes Handeln viel wichtiger sind als Mentalitätsunterschiede, kann man am Beispiel Neuseelands ablesen. In diesem Land, das mehrheitlich von europäischen Einwanderern geprägt ist und das deshalb auch dem globalen Westen zugerechnet wird, hat die Regierung von Jacinta Adern ähnlich hart und entschlossen wie einige asiatische Staaten auf den Ausbruch reagiert, mit Einreiseverboten, strenger Quarantäne und harten Lockdowns. Auch hier wurden die Maßnahmen von Anfang an von Aufklärungskampagnen begleitet. Das Ergebnis ist dasselbe wie in vielen Ländern Ost- beziehungsweise Südostasiens. Covid-19 ist in Neuseeland praktisch ausgerottet, und eine Corona-Leugner-Bewegung ist faktisch nicht vorhanden.
Glaube an den schlanken Staat
Auch in Deutschland hat es zu Beginn der Pandemie einen Moment gegeben, in dem man das Virus ähnlich hätte eindämmen können. Nur wurde dieses Zeitfenster nicht genutzt. Das hatte unterschiedliche Ursachen: Arroganz gegenüber Konzepten, die nicht aus dem Westen, sondern aus Ländern des globalen Südens oder Ostens stammen, und Unfähigkeit der westlichen Eliten zählen sicher dazu. Der wichtigste Grund aber dürfte der, gerade in den westlichen Gesellschaften verbreitete neoliberale Irrglaube an den schlanken Staat sein, der sich möglichst wenig in gesellschaftliche Abläufe einzumischen hat, und selbst Bereiche wie Gesundheitsvorsorge dem Markt beziehungsweise der Eigenverantwortung überlässt. Überall dort, wo diese Ideologie das Regierungshandeln bestimmt, hatte es auch das Virus einfacher. Nur wer das nicht wahrhaben will, sucht seine Erklärungszuflucht bei der Mentalität, die sich angeblich bei Europäern und Asiaten so grundsätzlich unterscheidet.
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