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Diego, ein Fall für Nietzsche
Sonntagsschuss
Ich muss zugeben, ich bin immer noch ein bisschen überrascht über die Welle, die der Tod von Diego Armando Maradona in den Medien ausgelöst hat. Selbst der »Spiegel« macht diese Woche mit einer Geschichte über den Verstorbenen auf. Mit der Titelzeile »Cry for me«. Noch besser hat mir allerdings der Titel der französischen Equipe gefallen: »Dieu est mort« (»Gott ist tot«). Wenn schon bald Nietzsche selbst noch ein paar Gedanken zum Tod eines Fußballers loswerden würde - mich würde auch das nicht mehr wundern.
Natürlich hatte auch ich ein paar Erinnerungen an Maradona, aber die waren zu vage geworden, um noch ein Gesamtbild zu ergeben. Die »Hand Gottes«, das per Hand erzielte Tor, das er höheren Mächten in die Schuhe schob, hat mich damals geärgert. Heute bin ich erwachsen und verzeihe den vielen tausend Diegos auf den Fußballplätzen dieser Welt großmütig. Man sollte bei solch kleinen Gaunereien nicht zu kleinkariert sein. Nicht in Zeiten, in denen jeder Schüler eine Sechs bekommt, wenn er in der Bio-Klassenarbeit beim Abschreiben erwischt wird. In denen man aber Ministerin bleiben und Hoffnungsträgerin einer einst stolzen Partei werden kann, wenn man 120 Mal abgeschrieben hat, um sich mit fremden Federn schmücken zu können.
Aber irgendwie befiel mich in den letzten Tagen dann doch eine andächtige Stimmung, wenn mir mal wieder ein Diego-Foto über den Weg lief. Bis ich tatsächlich vor dem Rechner saß und mir einen Sechs-Minuten-Clip über die schönsten unter Maradonas Abermillionen schöner Dribblings anschaute. Seither bin auch ich bekehrt, die Trainer (»Die Liebe zum Fußball ist die Liebe zu Diego Maradona«) und Ex-Spieler (»Der Ball machte, was er wollte«), die Maradona dieser Tage vom Totenbett ins Grab preisen, haben einfach Recht. Schon kommen auch wieder Kindheitserinnerungen hoch und ergeben mit den Youtube-Schnipseln ein Ganzes: Der Mann konnte sich in der eigenen Hälfte den Ball holen, einen 60-Meter-Sprint ansetzen und auf einem Fußballfeld das machen, was ein begabter Skifahrer beim Riesenslalom macht: im absoluten Geschwindigkeitsrausch aus der Hüfte heraus alles wegwedeln, was ihm in die Quere kommt.
Maradonas Slalomstangen waren die Gegenspieler. Was müssen sie ihn gehasst haben, all die normalsterblichen Mittelfeld- und Abwehr-Statisten, an denen er vorbeizog, als wären sie gar nicht da. Zumal Maradona ja auch stets alles getan hat, um sie alle zu demütigen. Bernd Schuster, noch so ein Hochbegabter aus den 80ern, berichtete zu Maradonas Ehren, wie er beim Aufwärmen 40-Meter-Flanken auf den Elfmeterpunkt schlagen musste, während Maradona dort hochsprang, eine Pirouette drehte, und den Ball in der Luft mit der Hacke ins Tor schoss.
Schuster und Maradona mag das Spaß gemacht haben. Wenn die gegnerischen Spieler in den 80ern so ähnlich tickten wie in den Jahrzehnten davor und danach, reifte währenddessen in ihnen der sehr feste Vorsatz, den beiden Angebern möglichst bald die Knochen neu zu sortieren.
Und das versuchten sie dann ja auch mit allen Kräften. Teils sieht man in den Videosequenzen drei-vier versuchte Fouls, rüde Attacken auf Sprunggelenk, Schienbein und Knie. Abwehrspieler, die von vorne, von hinten und von der Seite heransprangen, um ihn endlich zu Fall zu bringen. Doch Maradona hatte das Foul schon mitgedacht und den nächsten Haken exakt so eingebaut, dass er um ein paar Zentimeter an den heranschießenden Stollen vorbeiführte. Tempo hat er dabei übrigens nicht verloren, wenig später war er vorm Torwart - und der Ball im Netz.
Interessant ist auch, wie wenig die Stürmer damals geschützt wurden. Spiele von Maradonas Barcelona gegen, sagen wir mal, Athletic Bilbao würden heute nicht unter neun Roten Karten für Athletic-Spieler zu Ende gehen. Damals galt offenbar eher die Regel, dass kein Foul vorliegen kann, wenn der am Boden Liegende noch atmet. Maradona hatte sowieso keine Lust, seinen Freudentanz mit dem Ball zu unterbrechen, nur weil irgendein Minderbegabter sich dachte, dass ein Freistoß glimpflicher ausgehen könnte als eine Fortsetzung des Dribblings. Maradona strauchelte, aber, wenn es irgendwie ging, lief er weiter. Bei Neymar ist es umgekehrt.
Christoph Ruf, Fußballfan und -experte, schreibt immer montags über Ballsport und Business.
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