• Berlin
  • Corona und soziale Folgen

Mehr Ungleichheit, mehr Gewalt

Die Pandemie verstärkt in den Bezirken vor allem soziale Alltagsprobleme

  • Maximilian Breitensträter
  • Lesedauer: 3 Min.

Regierungsverordnungen, die massiv in die Grundrechte eingreifen. Parlamente, die bei gewichtigen gesellschaftlichen Entscheidungen kaum eine Rolle spielen. Tausende Menschen auf den Straßen, die die Bundesrepublik »Corona-Diktatur« schmähen und demokratische Kernfragen verschwörungsideologisch und extrem rechts umdeuten: Wie steht es um die Demokratie und die Freiheitsrechte in der Covid-19-Pandemie? Diese Frage stand im Mittelpunkt einer Diskussionsrunde, die am Montagabend im Zentrum für Demokratie (ZfD) im Berliner Bezirk Treptow-Köpenick stattfand und wegen der geltenden Kontaktbeschränkungen als Live-Podcast auf YouTube gestreamt wurde.

Exekutive bekommt mehr Rechte

»Ich glaube, dass die Demokratie in Deutschland insgesamt bisher gut durch die Coronakrise gekommen ist«, meint Robin Celikates, Professor für Sozialphilosophie und Anthropologie am Institut für Philosophie und Vizedirektor des »Center for Humanities and Social Change« an der Freien Universität Berlin. Als Forscher mit dem Schwerpunkt Demokratietheorie und gesellschaftliche Gegenwartsdiagnose hat Celikates auch die Entwicklungen in anderen Ländern im Blick. »Wenn wir uns in Europa umsehen und etwa nach Ungarn oder auch nach Frankreich schauen, wo der Staat die Pandemie nutzt, um Sicherheitsgesetze zu verabschieden, die massiv in die Presse- und Versammlungsfreiheit eingreifen, sehe ich diese Tendenz in Deutschland nicht«, so Celikates. Nichtsdestotrotz sei in der Krise auch hierzulande politische Entscheidungsgewalt zunehmend auf die Exekutive verlagert worden. »Insbesondere beim ersten Lockdown konnten wir dies beobachten«, erläuterte er. Inzwischen versuche man auch vonseiten der Bundesregierung, wieder mehr Befugnisse an den Bundestag und die Landesparlamente abzugeben.

Für die Linke-Bezirkspolitikerin aus Treptow-Köpenick Karin Kant ist die transparente Kommunikation der Anti-Corona-Maßnahmen der Schlüssel zum Erfolg. »Ich sehe es kritisch, dass immer noch zu wenig gesagt wird, warum und mit welchem klaren Ziel welche Maßnahmen getroffen werden«, sagte Kant. Sinn und Zweck einer konkreten Maßnahme müsse eindeutiger von der Politik erklärt werden, »um die Leute mitzunehmen«. Dann könnte man das Ausschlachten der Pandemie durch rechtsextreme Gruppen auch besser verhindern. Insgesamt sieht die Politikerin den demokratischen Prozess durch die Coronakrise nicht gefährdet. »Im Bezirk geht das politische Handeln an Alltagsthemen weiter, auch darüber schaffen wir Transparenz in unserem kleinen Mikrokosmos«, sagte Kant.

Ihr SPD-Kollege aus Treptow-Köpenick kann dem nur zustimmen. »Ich finde die Idee, in Berlin mit einer Corona-Ampel vorzugehen, besser als das, was auf Bundesebene passiert«, sagte Paul Bahlmann. Das Ampelsystem schaffe Transparenz, weil jeder sehen könne, wie sich etwa die Sieben-Tage-Inzidenz oder die Auslastung der Intensivbetten entwickelten.

Häusliche Gewalt und Enge mehr im Fokus

Auch in der Bezirksverordnetenversammlung spüre man die Auswirkungen der Krise, konstatierte Paul Bahlmann. »Es sind Themen wie häusliche Gewalt, die es natürlich auch schon vor Corona gab, die aber jetzt verstärkt diskutiert werden«, sagte der Sozialdemokrat. Linke-Politikerin Karin Kant schätzte die Lage ähnlich ein: »Mich ärgert, dass es erst zu einer Pandemie kommen musste, damit diese gesellschaftspolitischen Probleme wirklich thematisiert werden«, sagte sie. Denn auch vor Corona habe man gewusst, dass es häusliche Gewalt gibt oder dass die beengten Wohnverhältnisse in Geflüchteten-Unterkünften gesundheitsschädlich sind.

Demokratieforscher Celikates griff diese Aspekte auf. »Wir sehen, dass unterschiedliche Bevölkerungsgruppen sehr ungleich der Pandemie ausgesetzt sind«, sagte er. Dies könne man in der Arbeitswelt beim Thema Homeoffice ebenso beobachten wie bei der Frage nach dem Zugang zum Gesundheitssystem. Die Politik dürfe diese Ungleichheiten in der Krise nicht ignorieren.

Eine Aufzeichnung der Veranstaltung »Demokratie in der Krise - Krise der Demokratie« gibt es auf www.zentrum-für-demokratie.de

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.