Erschütternde Stürme

Eine Studie legt nahe, dass die Folgen von Taifunen Erdbeben auslösen können.

  • Michael Lenz
  • Lesedauer: 4 Min.

Auf den Philippinen gehören Naturkatastrophen zum Alltag. Der südostasiatische Inselstaat liegt am pazifischen Feuerring, der geologisch aktivsten Zone der Erde. An dieser Linie ereignen sich rund 90 Prozent aller Beben weltweit. Immer mal wieder bricht einer der 24 aktiven Vulkane aus, zuletzt in diesem Jahr der Feuerberg Taal. Fast täglich wackelt in dem Inselstaat im Pazifik die Erde und über den Weiten des Ozeans brauen sich Taifune zusammen, von denen durchschnittlich zwanzig im Jahr über die Philippinen hinwegfegen und Tod und Verwüstung hinterlassen.

Alleine in den vergangenen zwei Monaten erreichten vier tropische Wirbelstürme die Hauptinsel Luzon, von denen die beiden Rolly und Ulysses genannten in die Kategorie Supertaifune fielen. Sie brachten wolkenbruchartige Regenfälle und Stürme mit Spitzengeschwindigkeiten bis 250 Stundenkilometern. Hunderttausende Menschen flohen vor den Unwettern, suchten Unterschlupf in Evakuierungszentren, in denen wegen schwieriger Abstandsmöglichkeiten der Gefahr einer Ansteckung mit dem Coronavirus groß war.

In der Stadt Marikina, die zur Metropoleregion Manila gehört, stand das Wasser hüfthoch. Schuld war nicht nur der Regen in Marikina selbst, sondern auch das Wasser, das sich von den Hügeln der Umgebung ins Bassin des Flusses Marikina ergoss. Weiter südlich löste der Taifun Rolly am Vulkan Mayon Lahare genannte Schlammfluten aus, die 300 Häuser unter sich begruben.

Überschwemmungen und Erdrutsche haben eines gemeinsam: Bodenerosion. Das heißt, es werden Unmengen Erdreich bewegt, was ungeahnte Folgen haben kann: Erdbeben. Diesen Zusammenhang von Taifunfolgen und Erdbeben hat jetzt erstmals ein internationales Wissenschaftlerteam nachgewiesen, an dem Experten vom Deutschen GeoForschungsZentrum (GFZ) Potsdam beteiligt waren.

Die Insel Taiwan im westlichen Pazifik ist eine der tektonisch aktivsten Regionen der Welt, da dort die Philippinische Platte mit der Eurasischen Platte kollidiert. Vor elf Jahren ging der Taifun Morakot als einer der schlimmsten tropischen Wirbelstürme in die Geschichte der Insel ein. Innerhalb von nur drei Tagen fielen im August 2009 dreitausend Liter Regen pro Quadratmeter. Zum Vergleich: In Berlin und Brandenburg sind es durchschnittlich 550 Liter pro Quadratmeter - im Jahr. Die Wassermassen in Taiwan verursachten Überschwemmungen und zahlreiche massive Erdrutsche. Mehr als 600 Menschen starben, der wirtschaftliche Schaden belief sich auf umgerechnet rund drei Milliarden Euro.

Die Analysen der Potsdamer Forscher und ihrer internationalen Kollegen ergaben, dass es in den zweieinhalb Jahren nach dem Taifun Morakot wesentlich mehr kleinräumige und flache Erdbeben gab als zuvor und dass diese nur in dem Gebiet auftraten, das umfangreiche Massenverluste durch Erosion erlitten hatte. GFZ-Forscher und Letztautor Niels Hovius sagt: »Wir erklären diese Veränderung der Seismizität durch eine Zunahme der Krustenspannungen in geringer Tiefe, weniger als 15 Kilometer, in Verbindung mit der Oberflächenerosion.« Die zahlreichen Erdrutsche hätten enorme Lasten bewegt und Flüsse das Material aus den verwüsteten Regionen abtransportiert. »Die fortschreitende Beseitigung dieser Last verändert den Zustand der Spannungen im oberen Teil der Erdkruste so stark, dass es zu mehr Erdbeben in geologischen Verwerfungen kommt.«

Aktive Gebirgsketten, wie es sie in Taiwan gibt, sind durch »Überschiebungen« im Untergrund geprägt. In der Regel ist es der fortwährende Druck der sich bewegenden und verhakten Erdkrustenplatten, der zum Bruch führt, Erdbeben entstehen lässt, die wiederum Hangrutsche und verstärkte Erosion verursachen. »Die Arbeit der GFZ-Forschenden und ihrer Kolleginnen und Kollegen zeigt jetzt erstmals, dass auch der umgekehrte Weg möglich ist: Massive Erosion beeinflusst die Seismizität - und das in geologisch extrem kurzer Zeit«, erläutert Hovius und fügt hinzu: »Oberflächenprozesse und Tektonik sind in einem geologischen Wimpernschlag miteinander verbunden.«

Lassen sich die Erkenntnisse aus Taiwan verallgemeinern und zum Beispiel auf die Philippinen übertragen? »Nein, wir haben nur dieses eine Extremfallbeispiel. Eine breitere Studie wurde nicht durchgeführt. Ich gehe (aber) davon aus, dass jede Änderung (der Seismizität durch Taifune) am oder unter dem Rand der statistisch fundierten Erkennung liegt«, sagt Hovius.

Menschen schicken Sonden in entlegene Gebiete des Weltalls oder entwickeln in Rekordzeit einen Impfstoff gegen Corona. Aber über Erdbeben weiß die Wissenschaft noch vergleichsweise wenig. Daher ist die Studie ein weiterer Puzzlestein in der Seismologie. Hovius betont: »Erdbeben gehören zu den gefährlichsten und zerstörerischsten Naturgefahren. Ein besseres Verständnis der Erdbebenauslösung durch die Tektonik und durch externe Prozesse ist entscheidend für eine realistischere Einschätzung der Erdbebengefährdung, insbesondere in dicht besiedelten Regionen.«

Erst im vergangenen August ließ ein Erdbeben Häuser in der Metropole Manila Häuser schwanken. Leichtere Beben sind in Manila aber nichts Ungewöhnliches. Aber etwa alle 400 Jahre wird Manila von einem schweren Erdbeben erschüttert, warnen die Experten des Seismologischen Instituts der Philippinen (Phivolcs). Das letzte große Beben ereignete sich vor rund 360 Jahren.

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