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Großer Vorteil: Nichts zu sagen
Best of Menschheit, Teil 49: Angela Merkel
Der Mensch hat im Kapitalismus zu sich gefunden und Deutschland in Angela Merkel. Kein Mensch kann sich mehr eine andere Befreiung von den Zwängen der Zurichtung der Welt vorstellen als im individuellen Aufstieg in einen anderen Konsum, und Deutschland kann nichts besseres mehr sein, als das nichtssagende, aber in der Handlung gnadenlose Weitermachen, das wenigstens nicht stolz rechtsextrem ist.
Deutschland hat es in all seinen Inkarnationen nur zu einem einzigen Staat geschafft, der nicht Mord und Totschlag exportierte. Das aber zum Preis konservierter Kleinbürgerlichkeit, einer streng bewachten Mauer und einem Misstrauen nach Innen und Außen, das klare Sprache suspekt werden ließ. Als in der politischen Bürokratie dieses Staates Sozialisierte, fällt es Angela Merkel leicht, nichts zu sagen, egal wie viel sie redet. Ein Merkmal, das in dem Deutschland, in das die Heimat der Kanzlerin eingegliedert wurde, von großem Vorteil ist.
Dies ist ein Land, das nicht nur Kleinbürgerlichkeit konservierte, sondern in allen Gewalten und privaten Unternehmungen die zweite und dritte Führungsebene des Nationalsozialismus, aber gleichzeitig behauptet(e), es habe - zum Vorbild anderer Nationen! - die Vergangenheit aufgearbeitet und bewältigt, steckt so tief im Widerspruch zur Ratio, dass zweideutiges Sprechen schon zu eindeutig ist. Nulldeutig muss es sein - und das kann Merkel wie niemand sonst.
Klar, auch ihr rutscht mal ein »Wir schaffen das« raus, wenn es um die Aufnahme Kriegsgeflüchteter geht. Und dann gerät sie versehentlich ins Zentrum rassistischer Agitation.
Doch ist das nur ein Missverständnis. Denn gemessen an den Ministern, die sie machen lässt und an der Politik, die sie selbst vorantreibt, bedeutet »Wir schaffen das« nicht anderes als »Wir werden die Leute, die ihr hasst, schon wieder los werden.« Nur eben nicht so vulgär, wie besorgte Bürger es gern hätten.
Dies ist der Staat der Frau, die noch kurz vor dem, was längst überall - von Nazis übernommen - »Flüchtlingskrise« heißt, einem gut »integrierten« (deutscher Fachbegriff für Züchtigungsfantasien) weinenden Mädchen im Fernsehen eiskalt erklärte, dass das Beste, was sie für sie tun kann, die bürokratische Beschleunigung ihrer Abschiebung ist.
Entsprechend verhindert Deutschland Familiennachzug, schiebt bis in Kriegsgebiete ab, fördert ein mörderisches europäisches Grenzregime, paktiert zum Zwecke des Menschenwegsperrens mit einem türkischen Islamisten - und verdient gut am Waffenexport genau dahin, wohin die Menschen doch zurück sollen.
Es ist nahezu magisch, wie Angela Merkel trotzdem in diesem Spiel als eine Gute dasteht. Und es ist ein Trick, den sie immer wieder neu hervorzaubert. Auch aktuell in der Pandemie: Effektiv betreibt Deutschland eine zynische Politik, die so viele Tote in Kauf nimmt, wie das noch nicht ganz auf Betriebswirtschaft ausgerichtete Gesundheitssystem verträgt. Doch das bisschen dafür nötige Eindämmung genügt dem gleichen dicken rechten Rand und seinen liberalen Ausläufern bereits, um durchzudrehen und Angela Merkel als die vergleichsweise Vernünftige dastehen zu lassen. Stets hätte sie gern mehr gewollt, aber am Ende steht immer wieder ein »Lockdown light«, der eher Protestantismus ist und Merkel’scher kaum sein könnte: ein undifferenziertes Verbot alles Vergnüglichen oder Erholsamen (mitsamt rassistischem Raunen übers Feiern der Undeutschen) bei kühlem Aufrechterhalten der Arbeit und der dieser angehängten Kinderverwahrung.
Deutschland ist die permanent empfundene Notwendigkeit, zu eigenen Gunsten leider anderen Leid zufügen zu müssen. Vor allem denjenigen, die ohnehin schon in Not sind oder sich erdreisten, vom Leben mehr als freudarmes Durchwerkeln zu verlangen. Und Merkel hat dieses Spiel perfektioniert. Sie ist, man kann es so eindeutig sagen, die beste Deutsche aller Zeiten.
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