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Keiner will mit dem Sieger
Sozialdemokraten sind stärkste Kraft bei rumänischen Parlamentswahlen
Nach der Parlamentswahl in Rumänien kann die pro-europäische Regierungspartei PNL von Ministerpräsident Ludovic Orban voraussichtlich weiterregieren. Zwar wurden die oppositionellen Sozialdemokraten den am Montag veröffentlichten ersten Ergebnissen zufolge mit rund 30 Prozent der Stimmen stärkste Kraft. Doch richtig freuen kann sich die Partei vermutlich darüber nicht. Denn die PNL des liberal-konservativen Orban, die nach Auszählung von 90 Prozent der Stimmen auf rund 25,5 Prozent kam, könnte mit dem erst kürzlich entstandenen Mitte-rechts-Bündnis USR-Plus eine Koalition eingehen. Dieses ist Teil von der Bewegung Renew Europe (Europa erneuern) des französischen Präsidenten Emmanuel Macron und kam auf 15 Prozent der Stimmen. Ebenfalls ins Parlament eingezogen sind die Partei der ungarischen Minderheit in Rumänien mit sechs Prozent sowie die rechtsradikale Partei für die Vereinigung der Rumänen mit neun Prozent. Letztere tritt für die Vereinigung Rumäniens und der Republik Moldau ein und betrachtet sich als Gegner aller anderen Parteien. Die Wahlbeteiligung lag auch pandemiebedingt bei historisch niedrigen 32 Prozent.
Vertreter der Nationalliberalen PNL, der USR-Plus und der Ungarnpartei haben bereits ihre Bereitschaft signalisiert, sich an einer Regierung zu beteiligen, schlossen aber eine Zusammenarbeit mit der PSD aus, so dass sich eine zukünftige Koalition dieser drei Parteien abzeichnet. Als wahrscheinlichster Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten gilt Amtsinhaber Ludovic Orban, der die Unterstützung des Staatspräsidenten Klaus Johannis genießt. Während er bisher einer Minderheitsregierung vorsteht, kann er nun auf eine parlamentarische Mehrheit hoffen.
Trotz beachtlichen Wirtschaftswachstums in den vergangenen 20 Jahren ist Rumänien immer noch das zweitärmste Land der Europäischen Union - und zugleich eines der korruptesten. Millionen Rumänen haben das Land gen Westen verlassen. Die Infrastruktur wurde kaum modernisiert, auf dem Land leben immer noch Millionen Menschen ohne fließendes Wasser. Öffentliche Dienstleistungen, wie zum Beispiel Gesundheit, sind teilprivatisiert und hochgradig korrupt - Ärzte leben eher vom Schmiergeld der Patienten als von ihrem Gehalt. Wem das Geld für die allgegenwärtige Korruption fehlt, hat das Nachsehen.
Gerade die armen Rumänen, zu denen die meisten Rentner gehören, sind bei Wahlen die Basis der sozialdemokratischen PSD, deren Hochburgen vor allem in den strukturschwachen Regionen des Südens und Ostens des Landes liegen. Dementsprechend hatte die PSD noch vor dem Sturz ihrer Regierung 2019 für die Zukunft eine 40-prozentige Erhöhung der Renten beschlossen. Auch Mindestlohnerhöhungen gehören regelmäßig zu den Maßnahmen von PSD-Regierungen.
Gleichzeitig gilt die Partei als korrupteste im Land. Sie hat nach dem Sturz Nicolae Ceausescus alte Netzwerke der kommunistischen Partei aufrecht erhalten, um ein Geflecht persönlicher Beziehungen in Politik, Staatsunternehmen und privatisierten Unternehmen zu knüpfen. Aus der Verbindung linker Sozialpolitik, Korruption und auch einer gehörigen Portion Nationalismus konnte sie über die Jahre immer wieder Erfolge schmieden, die nun jedoch zu schwinden scheinen. Vor vier Jahren hatte die Partei noch 45 Prozent der Stimmen erhalten.
Orbans PNL hatte angekündigt, das Haushaltsdefizit zurückschrauben zu wollen und stellt dazu die Rentenerhöhung der PSD infrage. Mit Hilfe der Strukturfonds der Europäischen Union will sie das Land entwickeln. Letztere werden in Rumänien wegen fehlender Projekte in der Regel unvollständig abgerufen, wodurch das Geld verfällt.
Der wahrscheinliche Koalitionspartner USR-Plus hat seinen Wahlkampf unter das Motto »Für ein Rumänien ohne Diebstahl« gestellt und tritt vor allem als Anti-Korruptionspartei auf. Die noch junge Partei konnte damit seit vergangenem Jahr schon einen Achtungserfolg bei den Europawahlen erringen; seit diesem November stellt sie mit dem gebürtigen Baden-Württemberger Dominic Fritz den Oberbürgermeister von Timisoara, Rumäniens drittgrößter Stadt. Die Initiative hat nun Staatspräsident Johannis. Er muss einen der Parteivorsitzenden mit der Regierungsbildung beauftragen.
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