Werbung

Dammbruch light in Magdeburg

Regierungschef Haseloff lässt den Rundfunkstaatsvertrag scheitern

  • Max Zeising
  • Lesedauer: 4 Min.

Am Ende hat es gar nicht lange gedauert. Einmal mehr waren die Koalitionäre von CDU, SPD und Grünen am Dienstagmorgen in Magdeburg zusammengekommen. Und schon bald verkündete Ministerpräsident Reiner Haseloff dem »Kenia«-Kabinett, die Regierungsvorlage zum neuen Rundfunkstaatsvertrag zurückzuziehen. Damit verhinderte der Regierungschef die geplante Abstimmung im Landtag am 16. Dezember - mit wesentlichen Folgen.

Zum einen: Der große Knall bleibt aus, die Regierungskoalition bleibt nun doch zusammen. »Mit dieser Lösung geht die Koalition gefestigt aus der Krise hervor und wird ihre Arbeit zum Wohle des Landes bis zum Ende der Legislaturperiode fortsetzen«, sagte Haseloff. Wäre es zu einer Entscheidung im Landtag gekommen, hätte die CDU gemeinsam mit der AfD gestimmt - damit hätte die Koalition, die Befürworter als »Bollwerk gegen rechts« bezeichnen, keine Grundlage mehr gehabt. Die Folge wären Neuwahlen oder eine CDU-Minderheitsregierung mit wechselnden Mehrheiten gewesen - wodurch die AfD möglicherweise deutlich mehr Macht erhalten hätte.

Der Stahlknecht-Nachfolger

Nach der Entlassung von Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) im Zuge des Koalitionsstreits um den Rundfunkbeitrag soll sein Parteifreund, Finanzminister Michael Richter, zusätzlich das Innenressort übernehmen. Das wurde am Montag aus Landtagskreisen in Magdeburg verlautet. Eine Bestätigung aus der Staatskanzlei gab es zunächst nicht.

Richter ist seit Juni 2019 Finanzminister. Er übernahm den Posten damals von seinem zurückgetretenen Amtsvorgänger André Schröder (CDU). Zuvor war Richter bereits Staatssekretär im Finanzministerium gewesen.

Stahlknecht hatte vergangene Woche in einem Interview mit der Magdeburger »Volksstimme« das Verfahren zur Ermittlung des Rundfunkbeitrages angezweifelt und im Falle eines Bruchs der Koalition mit SPD und Grünen eine CDU-Minderheitsregierung ins Spiel gebracht. Ministerpräsident Reiner Haseloff hatte seinen Innenminister daraufhin entlassen. AFP/nd

Genau diesen möglichen Machtzuwachs der Rechtsradikalen wollten SPD und Grüne verhindern, weshalb sie sich - und das ist die zweite Folge - zu einem großen Schritt entschieden: Sie rückten von ihrer ursprünglichen Position ab, den Rundfunkstaatsvertrag nicht gefährden zu wollen. Der Vertrag ist nun vorerst gescheitert, denn er wäre nur dann pünktlich zum 1. Januar in Kraft getreten, wenn alle Bundesländer bis dahin zugestimmt hätten. Sachsen-Anhalt ist das einzige Bundesland, das keine Mehrheit dafür zustande bringt - denn die CDU beharrt stoisch auf ihrem »Nein«.

»Die Fliehkräfte innerhalb der CDU sind enorm, der Machtkampf um den Kurs tobt. Die CDU hat diesem Land großen Schaden zugefügt. Sachsen-Anhalt ist bundespolitisch isoliert, die Folgen noch nicht absehbar«, erklärte die Grünen-Fraktionschefin Cornelia Lüddemann nach der Kabinettssitzung: »Unter normalen Umständen wäre dies der Moment, eine solche Koalition zu verlassen. Derzeit sind aber keine normalen Zustände. Die Pandemielage in Sachsen-Anhalt spitzt sich von Tag zu Tag dramatisch zu.« Landeschef Sebastian Striegel ergänzte: »In dieser schweren Situation können wir das Land nicht einer in der Tendenz handlungsunfähigen CDU überlassen - und erst recht nicht einer rechtsextremen AfD.«

Auch die Sozialdemokraten machten deutlich, dass ihnen dieser Kompromiss nicht gefällt, sie ihn aber notgedrungen mittragen. »Wir müssen feststellen: Das ist kein guter Tag für die Medienpolitik in Deutschland«, sagte SPD-Fraktionschefin Katja Pähle: »Wir erkennen an, dass der Ministerpräsident seine Entscheidung mit dem Ziel getroffen hat, eine gemeinsame Abstimmung von CDU und AfD zu verhindern und so die Koalition zu erhalten. Mit der Aufgabe des Staatsvertrags zahlt er dafür jedoch einen erheblichen politischen Preis im Kreis der Regierungschefs der Länder.«

Die Idee, den Rundfunkstaatsvertrag gar nicht abstimmen zu lassen, ist allerdings nicht neu: Bereits letzte Woche hatte Haseloff einen Antrag in den Medienausschuss eingebracht, in dem die Landesregierung aufgefordert werden sollte, den Vertrag zurückzuziehen und neu zu verhandeln. Als Grund nannte der Ministerpräsident die wirtschaftlichen Auswirkungen in Folge der Corona-Pandemie. Damals hatten SPD und Grüne den Vorschlag noch zurückgewiesen. Nun, nach einer Woche zäher Verhandlungen, in der sich die CDU kein Stück bewegt hat, sehen sie offensichtlich keine andere Möglichkeit mehr, um einen weiteren Machtzuwachs der AfD zu verhindern.

Bloß kein nächstes Adenauer-TV
Anstatt über einen 86 Cent höheren Rundfunkbeitrag zu streiten, sollte das System der öffentlich-rechtlichen Medien weiterentwickelt werden, fordert Robert D. Meyer. Ein europäisches System muss her.

Kritik an diesem unüblichen Vorgang kommt von der Linksfraktion. »Das Harakiri des Ministerpräsidenten Reiner Haseloff sowie der gesamten Landes-CDU ist an Peinlichkeiten nicht mehr zu überbieten«, sagte Fraktionschefin Eva von Angern: »Das Zurückziehen des Staatsvertrages ist ein absurdes Schauspiel, was die CDU mit Herrn Haseloff als Ministerpräsidenten hier inszeniert, und widerspricht allen parlamentarischen Gepflogenheiten.« Die Spitzenkandidatin für die Landtagswahl 2021 erklärte die Koalition als »Bollwerk gegen rechts« für gescheitert.

In der Tat: Auch ohne gemeinsame Abstimmung im Landtag haben sich AfD und CDU mit ihrem Vorhaben, den Rundfunkstaatsvertrag und die damit verbundene Erhöhung des Rundfunkbeitrages um 86 Cent pro Monat scheitern zu lassen, durchgesetzt - zumindest kurzfristig. Es ist nun vielleicht kein Dammbruch, aber ein Dammbruch light. Nur: Wäre dieser ausgeblieben, hätte es vermutlich den richtigen Dammbruch gegeben. Nun haben die Koalitionäre beschlossen, die Entscheidung über den Rundfunkstaatsvertrag de facto den Gerichten zu überlassen. MDR-Intendantin Karola Wille hatte bereits zuvor angekündigt, im Falle eines Scheiterns vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.